Die Gaddafis: von Terrorhelfern zu Partnern des Westens. Aber jetzt bröckelt der schillernde Clan.

Hamburg. Wenn eines Tages die komplette Geschichte der schrecklich netten Familie Gaddafi aus Libyen in Buchform vorliegt, werden Hollywoods Produzenten nach den Filmrechten grapschen. Tausendundeine zu 99 Prozent wahre Geschichten über einen diktatorischen, wandelbaren Vater, abtrünnige, wüste Söhne und eine resolute, nahezu fanatische Tochter - das dürfte der Renner in den Kinos weltweit werden. Von den Staaten, mit denen und in denen sich die Gaddafis schlugen, ist die Schweiz der neueste Eintrag im libyschen Jahrbuch der Eigentümlichkeiten.

Muammar al-Gaddafis (66) Sohn Motassim-Bilal (31) hat mächtig Ärger mit den Eidgenossen. Das hat zu erheblichen diplomatischen Verwicklungen geführt. Von den geschätzt sieben Söhnen und einer Tochter des Revolutionsführers ist er derjenige Sprössling, dem auf wundersame Weise der Beiname "Hannibal" zufiel. An dem Image eines schrecklichen Berufssohnes arbeitet Hannibal seit Jahren.

In der Schweiz sollen er und seine schwangere Frau im Juli ihre Bediensteten misshandelt haben. Aussagen und Atteste belegen das. Schon vor vier Jahren war Hannibals Porsche auf den Pariser Champs-Élysees mit 140 Kilometern pro Stunde elektronisch gemessen worden. Anschließend missfiel ihm die Inneneinrichtung seines Hotelzimmers so sehr, dass er es wortreich umräumte. Schließlich vermöbelte er auch noch seine Freundin in der Stadt der Liebe.

Die Schweizer Polizisten fackelten jetzt nicht lange und verhafteten ihn wegen Misshandlung seiner Hausangestellten. Schwester Aischa (32), die zum Anwälteteam des Diktators Saddam Hussein gehört hatte, paukte ihn dank 500 000 Schweizer Franken Kaution aus der U-Haft. Im Gegenzug wurden in Libyen Schweizer Geschäftsleute verhaftet, die Zahl der Direktflüge reduziert, warnt das eidgenössische Außenministerium vor Reisen in Gaddafis Familien-Reich.

Italien bot seine Vermittlung an, der Sprecher des französischen Außenministeriums warnte avor, dass die libysch-schweizerische Krise Auswirkungen auf die ganze Welt habe. Das ist das ganz große Latinum der Diplomatensprache - dabei ging es nur um einen missratenen Sohn.

Was wirklich mit den Gaddafis los ist, darüber rätselt die Welt mit Bangen. Sein zweitgeborener Sohn Seif al-Islam (36) sollte Papa politisch beerben. Am Freitag verkündete er seinen Rückzug aus der Politik. In einem "Wald der Diktaturen" lebten die arabischen Völker, sagte er. Man ahnte die Kritik am machtvollen Vater.

Der viertgeborene Mutassim Billah (34) soll einmal an einem Putschversuch gegen den Staatschef beteiligt gewesen sein.

Der drittgeborene Saadi (33) wurde mehrfach Fußballer des Jahres in Libyen. Nach seinem Wechsel zu Perugia Calcio 2003 und einem 15-minütigen Einsatz gegen Juventus Turin wurde er drei Monate wegen Dopings gesperrt. Später wechselte Saadi zu Udinese.

Der neuerliche Trubel um die Gaddafis lässt wieder an der Verlässlichkeit des Regimes zweifeln. Zwar hatte sich auch der zahm gewordene Diktator noch im vergangenen Dezember die erste Selbstdarstellungs-Tour in Paris seit 34 Jahren gegönnt: Besuch bei Staatspräsident Nicolas Sarkozy, Seine-Bootsfahrt, Shoppingtour und eine Führung durch den Louvre. Sarkozy sagte, es habe politische Gespräche auch über Menschenrechte gegeben. Gaddafi meinte, darüber sei nun nicht gesprochen worden. Dennoch war zwischen Gaddafis Land und dem Rest der Welt vieles wieder im Lot.

Terrorhelfer aus dem Ölstaat waren 1986 in die Anschläge auf die Berliner Diskothek La Belle 1986 und den PanAm-Jumbo verwickelt, der auf das schottische Dorf Lockerbie stürzte. Langsam hatte sich Gaddafi in den vergangenen Jahren an den Westen herangerobbt. Er vermittelte bei der Freilassung deutscher Geiseln, zahlte Entschädigungen für Terror-Opfer. Die USA nahmen die Libyer von der Schurken-Liste. Frankreichs Pläne einer Mittelmeerunion schließen Gaddafis Heimat mit ein. Zuletzt gab es Wirbel, weil deutsche Elitepolizisten libyschen Einheiten in der Ausbildung geholfen haben sollen.

Beim diesjährigen Gala-Abend "Cinema for peace" der Berlinale saß der jetzt politisch enttäuschte Sohn Seif am Tisch der Unternehmerin Margarita Mathiopoulos. Über die Proteste aus der Filmwelt sagte er, er habe sie nicht vernommen. Zur Zukunft der Familie und Libyens sagte er am Freitag: "Erzählt mir nicht, dass ich der Sohn Gaddafis bin und deshalb die Macht übernehmen werde."