Der US-General Petraeus will Dorfmilizen im Kampf gegen die Taliban einsetzen. Doch der afghanische Präsident Karsai warnt davor.

Kabul/Hamburg. Mit wuchtigen Worten hatte US-General David Petraeus bei seinem Amtsantritt als Kommandeur der internationalen Truppen in Afghanistan den Aufständischen den Kampf angesagt. "Wir sind hier, um zu siegen", hatte er vor gut einer Woche verkündet. Doch nun wurde der Vier-Sterne-General bei seiner Strategie im Kampf gegen die Taliban ausgebremst. Ausgerechnet vom afghanischen Präsidenten Hamid Karsai.

Laut "Washington Post" äußerte Karsai beim ersten Treffen der beiden erhebliche Einwände gegen den US-Plan, afghanischen Dorfbewohnern verstärkt dabei zu helfen, die Taliban in eigener Regie zu bekämpfen. Der von Karsai kritisierte Plan wurde von Stanley McChrystal, dem im Juni entlassenen Vorgänger von General Petraeus, entwickelt. Petraeus will daran anknüpfen - doch beißt damit bei Karsai auf Granit. Es gebe Bedenken, dass das Vorgehen das Problem unkontrollierbarer Kriegsherren noch vergrößere.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Rainer Arnold, teilt die Bedenken an dieser Strategie: "Der Zivilbevölkerung in Afghanistan wird so das Signal gegeben, dass private Armeen und Milizen legitim sind - und sogar mit Waffen von der Regierung und der Nato unterstützt werden." Dabei komme es gerade darauf an, staatliche Sicherheitsorgane wie Armee und Polizei zu stärken. "Dorfmilizen das staatliche Gewaltmonopol zu übertragen untergräbt das Vertrauen der Menschen in die Regierung noch stärker", sagte Arnold dem Abendblatt. McChrystal kam mit Karsai sehr gut aus. Doch es ist fraglich, ob Petraeus eine ebenso gute Beziehung zum afghanischen Präsidenten entwickeln kann wie sein Vorgänger. Die Spannungen zu Beginn der Amtszeit von Petraeus verstärken diese Sorge.

Dabei ist ein konsequentes Vorgehen der afghanischen Regierung und der Nato enorm wichtig, denn die Sicherheitslage bleibt kritisch. Aufständische verstärken ihre Attacken. Am Wochenende verübten sie im Norden Afghanistans eine Serie von Anschlägen, bei denen mehr als ein Dutzend Menschen starben. Auch im Rest des Landes gab es Attacken. Die Zahl der Todesopfer lag nach Angaben von Nachrichtenagenturen bei weit über 20. Auch Soldaten der Bundeswehr wurden bei zwei Sprengstoffattacken im Unruhedistrikt Char Darah bei Kundus verletzt. Erstmals setzten die deutschen Truppen daraufhin in einem Gefecht mit Aufständischen ihr schwerstes Geschütz ein: die Panzerhaubitze 2000.

Die Soldaten feuerten nach Bundeswehrangaben fünf Schuss ab, um die Bergung eines bei einem Anschlag beschädigten Fahrzeugs zu ermöglichen. Nach Einschätzungen von Experten ist es der erste Einsatz schwerer Artillerie in der Geschichte der Bundesrepublik.

Der Verteidigungsexperte der SPD Arnold sieht das kritisch: "Die militärischen Berater der Bundesregierung waren unterschiedlicher Meinung über den Einsatz der Artillerie. Im Gefecht kann die Haubitze sicher hilfreich sein, vor allem bei der Verwendung von Nebelmunition. Doch mit ihrem Einsatz steigt das Risiko von Opfern in der Zivilbevölkerung." Der Bundeswehr-Experte der Grünen, Winfried Nachtwei, teilt die Kritik. Zwar gebe sie der Bundeswehr eine psychologische Unterstützung und wirke als eine Art Schutzwall im Kopf der Soldaten. "Dennoch birgt der Einsatz der Haubitze im dicht besiedelten Gebiet um Kundus die Gefahr, dass die Zivilbevölkerung zu Schaden kommt. Das will man weiterhin unbedingt vermeiden", sagte Nachtwei dem Abendblatt.

Aus Sicht der Bundeswehr sei die Unterstützung durch die Artillerie jedoch erforderlich geworden, da in den vergangenen Monaten die Anzahl der Anschläge auf Soldaten zugenommen habe. "Jeder militärische Einsatz birgt immer die Gefahr von Opfern unter der Zivilbevölkerung. Diese müssen möglichst vermieden werden", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums dem Abendblatt. Daher müsse jede Situation von der Führung vor Ort verantwortungsbewusst bewertet werden, um Waffenwirkung und Kräfte entsprechend einzusetzen. Das gelte auch beim Einsatz der Panzerhaubitze.

Der langjährige Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat den deutschen Afghanistan-Einsatz als "Lehrstück" dafür bezeichnet, wie eine solche Mission nicht angegangen werden sollte. Zu Beginn des Bundeswehr-Einsatzes sei dessen Ziel nicht definiert worden, sagte der 83-jährige FDP-Politiker dem Deutschlandfunk. Viel zu lange sei nicht gesagt worden, dass dort Soldaten im Krieg stünden. Er kritisierte zudem die mangelnde Bewaffnung der Bundeswehr. Es könne nicht sein, dass der Einsatz politisch beschlossen werde, aber Bewaffnung und Ausrüstung nach Kassenlage erfolgten, sagte Genscher.