Das Kind war mit einem 80-Jährigen verheiratet worden. Die Regierung in Saudi-Arabien erwägt nun ein Gesetz über ein Mindestalter.

Hamburg/Riad. In einem für Saudi-Arabien aufsehenerregenden Verfahren hat ein zwölfjähriges Mädchen seine Scheidung von seinem 80-jährigen Mann erwirkt. Zum ersten Mal hatte die staatliche Menschenrechtskommission in einem derartigen Fall eingegriffen und dem Kind einen Anwalt zur Verfügung gestellt. Der Fall und seine möglichen juristischen und politischen Konsequenzen könnte weitreichende Auswirkungen auf andere Staaten der islamischen Welt haben, die Kinderehen erlauben.

Das Mädchen aus dem Ort Buraida nahe der Hauptstadt Riad hatte unbeirrt von massivem gesellschaftlichen Druck aus dem konservativen Umfeld für die Scheidung gekämpft. Es war gegen seinen Willen mit dem ältesten Vetter seines Vaters verheiratet worden - gegen ein Brautgeld von 85.000 Rial, rund 15.000 Euro. Die Ehe wurde vollzogen.

Im Verlaufe des Verfahrens prüften drei Komitees aus Medizinern, Kinderpsychologen und Religionsexperten den Fall. Die saudische Menschenrechtskommission hat den Fall der Zwölfjährigen nun genutzt, um für heiratsfähige Mädchen ein Mindestalter von 16 Jahren gesetzlich festlegen zu lassen. Es wird erwartet, dass das Innenministerium den Empfehlungen folgt. "Unser Hauptziel ist es, sicherzustellen, dass sich so etwas nicht noch einmal ereignet", sagte Alamud al-Hejaila, ein Anwalt der Kommission. "Natürlich wird es Widerstand geben, aber wir glauben, dass sich die öffentliche Meinung in Saudi-Arabien in dieser Hinsicht geändert hat."

Saudi-Arabien nimmt als Hüterin der heiligen Stätten Mekka und Medina sowie als Geburtsland des Propheten Mohammed eine herausragende Stellung im Islam ein. Eine gesetzliche Regelung gegen Kinderehen könnte daher Auswirkungen auch auf andere islamische Staaten haben. Auch in Pakistan, Bangladesch, dem Jemen oder Ländern südlich der Sahara kommen Kinderehen häufig vor.

Noch im vergangenen Jahr hatte sich ein Richter in der saudischen Stadt Onaisa geweigert, dem Scheidungsantrag einer Achtjährigen und ihrer Mutter stattzugeben. Das Kind war mit einem 47-Jährigen verheiratet worden. Immerhin hatte der Richter den Ehemann dazu veranlasst, eine Erklärung zu unterschreiben, keinen Sex mit dem Mädchen zu haben, bis es in die Pubertät komme. Der Großmufti von Saudi-Arabien, Scheich Abdul Asis al-Scheich, hatte dieses Urteil mit den Worten kommentiert: "Ein zehn- oder zwölfjähriges Mädchen kann verheiratet werden. Jene, die glauben, es ist dazu zu jung, haben unrecht und sind unfair. Und es ist falsch zu sagen, das sei nicht erlaubt." Der Zeitung "Al Hayat" sagte der Kleriker: "Wir hören viel in den Medien über Hochzeiten minderjähriger Mädchen. Wir sollten aber wissen, dass die Scharia (das islamische Rechtssystem) Frauen kein Unrecht antut."

Die in Saudi-Arabien derzeit erbittert geführte Diskussion über Kinderehen hat einen religiösen Kern. Kleriker und tiefgläubige Muslime verweisen auf den Propheten Mohammed. Dieser hatte als über 50-Jähriger im Hause seines besten Freundes und späteren Kalifen Abu Bakr dessen lebhafte Tochter Aisha kennengelernt. Nach überlieferten Quellen heiratete Mohammed das Mädchen, als es sechs Jahre alt war und vollzog mit ihm die Ehe, als es neun war. Aisha wurde seine Lieblingsfrau und eine Hauptquelle der Hadithe - der Überlieferungen und Aussprüche Mohammeds. Die Ehe des Propheten mit Aisha gilt vielen strenggläubigen Muslimen als Legitimation für Kinderehen. Im Januar hatte jedoch der angesehene saudische Kleriker Scheich Abdullah al-Manie geäußert, die Ehe des Propheten vor 14 Jahrhunderten könne nicht dazu herhalten, Kinderehen in der heutigen Zeit zu rechtfertigen.