Die Abgeordneten forderten Kommissionspräsident Barroso zur Klärung der Frage auf, ob Schelewa private Geschäftsinteressen verheimlicht habe.

Brüssel. Die Zukunft der neuen EU-Kommission, die am 1. Februar ihr Amt antreten soll, ist ungewiss. Im Europäischen Parlament sind die Anhörungen der designierten EU-Kommissare in schweres Fahrwasser geraten. Gegenseitige Beschuldigungen und der Vorwurf, "Tribunale" abzuhalten, machen die Runde. Die Vereinbarung zwischen den großen EP-Fraktionen, die eine geräuschlose Anhörung vorsah, droht nun zu platzen. Vor allem die bulgarische Kommissaranwärterin Rumiana Schelewa und der litauische Bewerber Algirdas Semeta, die beide der konservativen Mehrheitsfraktion EVP angehören, stehen wegen gravierender Defizite in Fachfragen oder der möglichen Verschleierung von privaten Geschäften in der Kritik.

Unabhängig vom Verlauf der Anhörungen droht das Parlament EU-Kommissionschef José Manuel Barroso zudem, die Abstimmung über die neue Kommission auf unbestimmte Zeit zu verschieben, falls er den Abgeordneten nicht mehr Rechte, beispielsweise bei Gesetzesinitiativen, einräumt. Der zuständige EU-Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne (CDU) sagte der "Welt": "Entweder gibt es eine Rahmenvereinbarung, oder ich werde den Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament empfehlen, die Abstimmung über die neue Kommission zu verschieben." Für Barroso ist die Situation heikel. Sollte auch nur ein Kandidat abgelehnt werden, muss er ihn auswechseln - andernfalls könnte das Parlament am Ende die gesamte Kommission ablehnen.

Wegen der Querelen um Schelewa und Semeta telefonierten die Fraktionschefs gestern mehrfach miteinander, es gab Krisensitzungen. Die Konservativen forderten von ihrem eigenen Kandidaten Semeta neue schriftliche Zugeständnisse zur Arbeit der Antibetrugsbehörde Olaf, die dieser in der Anhörung nicht hatte abgeben wollen. Die Christdemokraten sind unzufrieden, "weil nur unsere Kandidaten im Kreuzfeuer stehen".

Die Bulgarin Schelewa galt schon im Vorfeld als Wackelkandidatin. In der Anhörung warfen ihr Abgeordnete der Grünen und Liberalen illegale Nebentätigkeiten vor. Die amtierende Außenministerin ihres Landes, zunächst jovial auf Deutsch, Englisch und Bulgarisch parlierend, wechselte bei heiklen Fragen in ihre Muttersprache, kam mit der limitierten Redezeit nicht zurecht und ließ es durchweg an fundierten Antworten auch aus ihrem Bereich der humanitären Hilfe fehlen. Nun sollen die juristischen Dienste des Parlaments und der Kommission klären, ob Schelewas amtliche Mitteilung an das Europaparlament, sie sei von 2001 bis 2003 und von 2006 bis 2007 "Führungskraft" des bulgarischen Unternehmens Global Consult gewesen, wirklich stimmte.

Die liberale bulgarische Abgeordnete Antonija Parwanowa hatte Schelewa vorgeworfen, sie habe ihre Tätigkeit als Alleininhaberin der Firma bis 2009 verschwiegen. Dass Schelewa erst danach einräumte, sie habe das Unternehmen verkauft, könne sich aber an den Verkaufspreis nicht erinnern ("Es war kein größerer Betrag"), stärkte das Vertrauen in ihre Glaubwürdigkeit nicht. Und zu Berichten über angebliche Mafiakontakte ihres Ehemannes sagte sie: "All diese Beschuldigungen gegen meinen Mann oder mich sind völlig unbegründet."