Tony Blair hat geringe Chancen auf EU-Spitzenamt. Staats- und Regierungschefs stimmen Prags Bedingungen zu.

Brüssel/Hamburg. Die Staats- und Regierungschefs der EU machen es sich nicht leicht bei ihrem Treffen in Brüssel. Das Ringen um konkrete EU-Zusagen zur Klimaschutzfinanzierung beim Weltklimagipfel im Dezember in Kopenhagen gestaltet sich zäh. Die Personaldebatte um die künftigen EU-Spitzenjobs nach dem Reformvertrag reißt nicht ab, obwohl die Gipfelteilnehmer sie am liebsten zum Schweigen bringen würden.

In Sachen Reformvertrag dagegen gab es gestern Abend den Durchbruch. Der Gipfel stimmte den Bedingungen Tschechiens zu. Die Chancen, dass mit dem tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus nun auch der Letzte den Reformvertrag unterzeichnet, sind deutlich gestiegen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die mit ihrem neuen Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in Brüssel anreiste, will über das künftige Spitzenpersonal erst reden, wenn Prag Vollzug gemeldet hat. Dennoch waren Personalfragen das beherrschende Thema in Brüssel.

Die Chancen für den ehemaligen britischen Premier Tony Blair auf den Posten des "Mister Europa", des ersten ständigen EU-Ratspräsidenten, sind nur noch gering. Seine eigene Parteifamilie, die Sozialistische Partei Europas (SPE), versagte dem Labour-Politiker die Unterstützung. Wie Fraktionschef Martin Schulz in der "Berliner Zeitung" deutlich machte, müsse der Inhaber des Amtes aus einem Land kommen, das bei allen EU-Politikbereichen mitmache. "Also auch beim Euro oder dem freien Reiseverkehr im Schengen-Raum. Auf Großbritannien trifft das nicht zu."

Doch an Kandidaten herrscht kein Mangel: Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker hatte bereits Anfang der Woche Interesse signalisiert. Lettland will die ehemalige Präsidentin Vaira Vike-Freiberga vorschlagen, auch Mary Robinson, die ehemalige irische Präsidentin, und Finnlands Staatspräsidentin Tarja Halonen sind im Gespräch. Häufig genannt wurden gestern der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende und der frühere belgische Premier Guy Verhofstadt. Als Favorit von Merkel gilt Wolfgang Schüssel, der konservative frühere österreichische Bundeskanzler. Offenbar haben Konservative und Sozialdemokraten einen "Deal" vereinbart: Der erste ständige Ratspräsident, der künftig als "Chef der Chefs" die Gipfeltreffen leiten soll, wird wohl aus dem konservativen Lager kommen, der künftige EU-"Außenminister" aus dem sozialdemokratischen.

Die entscheidende Voraussetzung, die Spitzenposten zu besetzen, ist die Ratifizierung des Reformvertrags durch Tschechien. Sollte das tschechische Verfassungsgericht nun Anfang November den Vertrag erneut für legal erklären, könnte dieser nach Unterschrift durch Klaus zum Jahresende in Kraft treten.

Die Gipfelrunde applaudierte, als Schwedens Premierminister Fredrik Reinfeldt die Einigung verkündete. Mit einer ergänzenden Formel soll erneut klargestellt werden, dass die im Lissabon-Vertrag enthaltene Grundrechtecharta keine Rechtsgrundlage für mögliche Klagen gegen die sogenannten Benes-Dekrete von 1945 ist. Auf Grundlage dieser Dekrete waren mehr als zwei Millionen Sudetendeutsche und Hunderttausende von Ungarn aus der damaligen Tschechoslowakei vertrieben worden. In der nun nachträglich genehmigten Fußnote heißt es, der Europäische Gerichtshof habe kein Recht, tschechische und slowakische Verwaltungsvorschriften unter Berufung auf die Grundrechtecharta für illegal zu erklären. Nach einer Einigung mit den Regierungen Tschechiens und der Slowakei ging es im Kreis der Staats- und Regierungschefs vor allem darum, die Zustimmung von Ungarn, Deutschland und Österreich zu bekommen. Die drei Staaten hatten nachdrücklich gefordert, dass in keinem EU-Text die Benes-Dekrete namentlich erwähnt werden dürften.

Eine schlechte Figur machte die Gipfelrunde hingegen beim Klimaschutz, Angela Merkel zeigte sich besorgt über das Stocken der Verhandlungen. Die Zeichen für ein gemeinsames ehrgeiziges Klimapaket der EU werden mit jedem Tag schlechter. Wie viel Geld die Union beim Klimagipfel in Kopenhagen auf den Tisch zu legen bereit ist, darüber ist ein Streit zwischen den Mitgliedern entbrannt - mit Deutschland als Bremser.

Berlin will am liebsten gar keine konkreten Zahlen im Schlusskommuniqué sehen. Nach Meinung der Bundesregierung schwächt eine klare Zielvorgabe die Verhandlungsposition Europas gegenüber anderen Industrienationen. Merkel drängte auf klare Zusagen der USA und Chinas. Nach Einschätzung der EU-Kommission benötigen die Entwicklungsländer ab 2020 rund 100 Milliarden Euro jährlich, um den Temperaturanstieg zu stoppen. Einen Großteil davon müssen die Industrieländer aufbringen. Im Gespräch sind 22 bis 50 Milliarden Euro pro Jahr.