Der geistliche Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, hat eine vor allem für westliche Beobachter erstaunliche Kehrtwende vollzogen.

Berlin/Teheran. Während das Regime bisher offensiv die Version verbreitet hatte, ausländische Mächte hätten die Proteste nach den Wahlen geschürt, sagte Chamenei vor Studenten in Teheran: "Ich beschuldige die Anführer der jüngsten Vorfälle nicht, mit anderen Ländern wie den USA und Großbritannien verbündet zu sein, weil dies für mich nicht bewiesen ist."

Chamenei stellte sogar eine mögliche Strafverfolgung der brutalen Bassidschi-Schlägertrupps in Aussicht, die während der Unruhen zahlreiche Oppositionelle verfolgt hatten. Zwar lobte er die "Arbeit" der Bassidschi insgesamt, aber "bestimmte Verbrechen" müssten untersucht werden, sagte er dem staatlichen Sender Press TV zufolge. Das sorgte für Aufsehen: Denn für die Befehligung der Bassidschi-Milizen soll maßgeblich Chameneis Sohn Modschtaba verantwortlich sein, den der kranke Geistliche als Nachfolger aufbauen will.

Zuletzt war während des berüchtigten Schauprozesses gegen mehr als 100 Oppositionelle auch die 24-jährige Sprachlehrerin Clotilde Reiss beschuldigt worden, sie habe im Auftrag westlicher Mächte den Aufruhr mitgesteuert.

Für Beobachter in Teheran sind Chameneis Äußerungen zwar überraschend, aber erklärbar. Chamenei ist seit den mutmaßlich gefälschten Präsidentenwahlen von vielen Seiten unter Druck geraten. Nicht nur die Oppositionspolitiker Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karroubi, auch der Ex-Reformpräsident Mohammad Chatami sowie Ex-Staatspräsident Ajatollah Akbar Haschemi Rafsandschani hatten die Hardliner zur Vernunft gerufen. Mächtige und beim Volk beliebte moderate Großajatollahs wie Ali Montazeri hatten die Niederschlagung friedlicher Proteste verurteilt.

Vor allem Mehdi Karroubi sorgte mit Vorwürfen für Aufsehen, wonach es in den Gefängnissen nicht nur Folter, sondern auch Vergewaltigung von Frauen und Männern gegeben habe. Chamenei sah sich in einer bisher einmaligen Aktion Ende Juli gezwungen, das Kharisak-Gefängnis in Süd-Teheran zu schließen, über das es Folterberichte gegeben hatte. Eines der Opfer soll sich an einen engen Vertrauten Chameneis gewandt und seine Erfahrungen geschildert haben.

Chamenei signalisiert Milde, weil er nun die eigene Haut und seine Macht retten will. Zum anderen gibt ihm die eigene Religion vor, dass man sich jetzt, im Fastenmonat Ramadan, besonders menschlich und gerecht verhalten solle. Deswegen betonte er nun, die Justiz müsse ihre Urteile künftig auf Basis "solider Beweise" sprechen. Das könnte im günstigsten Fall darauf hindeuten, dass die Schauprozesse demnächst eingestellt werden.