Der inhaftierte Öl-Magnat steht wegen angeblicher Unterschlagung von Erdöleinnahmen wieder vor Gericht.

Moskau. Der inhaftierte russische Unternehmer Michail Chodorkowski erhebt schwere Vorwürfe gegen das Justizsystem seines Landes. In einem seiner seltenen Interviews, das die Zeitung "Die Welt" heute mit der russischen Ausgabe von "Newsweek" veröffentlicht, sagt der frühere Chef des Ölkonzerns Yukos: "Die Praxis, zivile oder Schiedsgerichtsfälle künstlich in Kriminalfälle zu verwandeln, wie es an uns erprobt wurde, hat Dutzende und Hunderte neuer Yukos-Fälle kleineren Umfangs geschaffen."

Kaum jemand zweifele heute daran, dass ein Gericht in Russland "unter politischem Druck ungesetzliche Entscheidungen fällen kann", sagt der heute 46-Jährige, der von 2005 bis Anfang dieses Jahres im sibirischen Straflager Krasnokamensk einsaß. Seine Strafe aus dem Jahr 2005 lautet auf acht Jahre Haft unter anderem wegen Betrugs, Steuerhinterziehung und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Beobachter sehen freilich auch einen Zusammenhang zum prowestlichen politischen Engagement Chodorkowskis. Inzwischen steht er abermals in Moskau vor Gericht.

Diesmal lautet die Anklage, die auch den Geschäftspartner Platon Lebedjew trifft, auf Unterschlagung von Erdöleinnahmen im Wert von umgerechnet rund 19 Milliarden Euro. Das Gericht hat in diesem Verfahren bislang eine mündliche Aussage des Angeklagten abgelehnt. "Die Anklage baut darauf, dass das Gericht jedes Dokument, jedes Gesetz im Sinne der Obrigkeit interpretiert", sagt Chodorkowski und fügt hinzu: "Die Schuld für ein nicht existierendes Verbrechen anzuerkennen ist für mich unannehmbar."

Rückblickend macht Chodorkowski den einstigen Präsidenten und heutigen Premierminister Wladimir Putin und dessen Stellvertreter Igor Setschin schwere Vorwürfe. Beide seien in der Anfangsphase am Fall Yukos beteiligt gewesen: "Sie haben den politischen Willen geformt." Nun werde das Verfahren von Bürokraten vorangetrieben. Über die Rolle des seit 2009 amtierenden Präsidenten Dmitri Medwedew meint der prominenteste Gefangene Russlands: "Ich glaube, Dmitri Medwedew unterscheidet sich tatsächlich von Wladimir Putin, aber gleichzeitig habe ich keine Zweifel, dass der aktuelle Präsident völlig loyal gegenüber dem vorhergehenden ist." Erneut fordert Chodorkowski eine "echte, vollwertige Gerichtsreform". Zudem kritisiert er den Einfluss des Staates in der Wirtschaft. Die Folge seien hohe Kosten, geringe Produktivität, Intransparenz und Korruption.