Die radikalislamischen Taliban-Milizen rücken im Nordosten des Pakistans scheinbar unaufhaltsam vor. Nach dem Swat-Tal ist nun auch der Distrikt Buner in ihrer Hand. In Washington und Islamabad herrscht Alarmstimmung angesichts der instabilen Lage der Atommacht.

Hamburg/Washington. US-Außenministerin Hillary Clinton spricht bereits von einer "tödlichen Gefahr für die Welt". Anlass ist das dramatische Vorrücken der radikalislamischen Taliban-Milizen im Nordosten Pakistans. Vor zehn Tagen erst hatte der pakistanische Staatspräsident Asif Ali Zardari der Einrichtung der Scharia im Swat-Tal zustimmen müssen.

Die Taliban haben diese Region unter ihre Kontrolle gebracht und das islamische Rechtssystem mit seinen grausamen Körperstrafen installiert. Seitdem kommt es dort zu Auspeitschungen, Amputationen und willkürlichen Hinrichtungen. Die Entscheidung Zardaris wurde im Westen als Kapitulation vor den Radikalislamisten gewertet.

Nun haben die Taliban auch den benachbarten Distrikt Buner eingenommen und umgehend die Scharia auch dort verkündet. Buner mit seinen eine Million Einwohnern gilt als Einfallstor nach Mardan, der zweitgrößten Stadt der Nordwest-Provinz nach Peshawar.

Pakistans Hauptstadt Islamabad ist damit nur noch gut 90 Kilometer vom Machtbereich der Taliban entfernt. Mitte Februar hatte die pakistanische Armee nach etlichen Rückschlägen einem Waffenstillstand in der Region zustimmen müssen; sie verharrt seitdem in ihren Kasernen.

Hillary Clinton beklagte in ihrer ersten Anhörung vor dem Kongress seit ihrer Amtsübernahme, dass Pakistans Regierung den Taliban zu viele Konzessionen mache, was diese dazu ermutige, immer weiter vorzurücken. "Ich denke, dass die pakistanische Regierung im Grunde zugunsten der Taliban und der Terroristen abdankt", sagte Clinton freimütig vor dem Außenpolitischen Ausschuss.

Der Vorsitzende des Ausschusses, der Demokrat Howard Berman, warnte, die Vereinigten Staaten könnten Extremisten nicht erlauben, Pakistan zu kontrollieren. In den Tagen nach dem Abkommen zwischen Regierung und Taliban hatten islamistische Geistliche Demonstrationen in Islamabad organisiert und öffentlich verkündet, Demokratie und das pakistanische Rechtssystem seien "unislamisch". Aftab Alam, Vorsitzender der Rechtsanwalts-Vereinigung im Swat-Tal, sagte, die Entwicklung sei "eine Zeitbombe" für Pakistan.

In Buner hat sich inzwischen nach einigen blutigen Scharmützeln auch die pakistanische Polizei zurückgezogen, stattdessen patrouillieren schwer bewaffnete Einheiten der Taliban durch die Dörfer des Distrikts. Sie haben Kontrollposten errichtet, die Stadtverwaltung gestürmt, die Beamten verjagt und Dokumente beschlagnahmt. "Das ist offener Rechtsbruch", schäumte der Erziehungsminister der Nordwest-Provinz, Sardar Hussein Babik, und bezichtigte die Taliban der Plünderung und des Autodiebstahls. Babik forderte die Armee auf, die Taliban zu vertreiben.

Im vergangenen Jahr hatten die Bewohner von Buner noch Bürgerwehren aufgestellt und die Taliban vertrieben. Doch nun konnten die radikalen Milizen vom Swat-Tal aus eine massive Bodeninvasion mit starken Kräften starten. Wie der Lokalpolitiker Jamsher Khan der "New York Times" sagte, habe der Deal der Regierung Zardari mit den Extremisten die Menschen in Buner völlig entmutigt.

In der US-Regierung herrscht Alarmstimmung wegen der instabilen Lage der Atommacht Pakistan. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen flog der amerikanische Generalsstabschef Mike Mullen zu Krisengesprächen nach Islamabad. Auch die pakistanische Militärführung ist höchst beunruhigt. Nach Angaben der "New York Times" reiste ein führender General aus der Hauptstadt nach Peshawar zum 11. Armeekorps, um die Lage in Buner zu erörtern.

Von den Hügeln von Buner aus können die Taliban-Einheiten ungehindert in das Flachland des Nachbardistrikts Swabi vorstoßen - und dort verläuft die vierspurige Autobahn zwischen Peshawar und Islamabad.

"Wir können die Ernsthaftigkeit der existenziellen Bedrohung für den Staat Pakistan durch das ständige Vorrücken von Terroristengruppen, nur noch wenige Stunden von Islamabad entfernt, nicht hoch genug einschätzen - Terroristen, die den atomar bewaffneten Staat Pakistan übernehmen wollen", warnte Clinton im Kongress.