Mehr als 6200 chinesische Kinder sind krank, vier gestorben. Die EU wappnet sich gegen mögliche illegale Importe nach Europa.

Hamburg/Brüssel. Man kennt derlei Beteuerungen: Eine gesundheitliche Gefahr für erwachsene Menschen sei nicht gegeben, haben die chinesischen Behörden erklärt. Um Erwachsene geht es auch nicht vorrangig in jenem Milchskandal, der China erschüttert und auch längst andere Staaten betrifft.

Die Rede ist inzwischen von mehr als 6200 Kleinkindern, die nach dem Verzehr vergifteter Milch an Nierensteinen erkrankt sind. Vier sind bereits tot, bei 50 weiteren besteht offenbar akute Lebensgefahr. Das Unternehmen Sanlu, einer der größten Milchproduzenten Chinas, hatte seine Produkte mit der giftigen Chemikalie Melamin gestreckt. Die Substanz täuscht einen höheren Proteingehalt vor und dient damit letzten Endes zur Erzielung eines höheren Profits.

Offenbar war der Skandal den Behörden längst bekannt, doch er wurde mit Rücksicht auf die Olympischen Spiele vertuscht. Die Sache flog erst auf, als in Neuseeland Kinder erkrankten und die Regierung an die Öffentlichkeit ging. Melamin wird gewöhnlich zu Kunstharzen verarbeitet und findet bei der Beschichtung von Spanplatten Anwendung. Bereits vor zwei Jahren fand sich Melamin als Streckmittel in einer chinesischen Lieferung von Weizengluten, einem Bestandteil von Haustierfutter, an die USA. Zahlreiche Tiere starben.

Zunächst war im jüngsten Skandal nur die Rede von Milchpulver, doch jetzt wurde Melamin auch in der Frischmilch der drei führenden Großmolkereien Mengniu, Yili und Bright Dairy gefunden, wie die Qualitätskontrolle der Volksrepublik bekannt gab. Fast zehn Prozent der Proben waren verunreinigt. Und in Hongkong tauchten vergiftetes Eis und Joghurt auf.

Insgesamt 18 Personen wurden festgenommen, insgesamt 22 Firmen sollen in den Skandal verwickelt sein, der sich täglich ausweitet. Die giftige Milch wurde auch in mehrere Staaten exportiert, darunter Birma, Bangladesch in Asien sowie Gabun und Burundi in Afrika. In Europa ist sie bislang nicht aufgetaucht.

Dennoch forderte die Europäische Union von Peking eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts. Bei den Gesprächen mit der chinesischen Regierung gehe es auch um die Frage, ob der Skandal bewusst vertuscht worden sei, sagte Robert Madelin, Generaldirektor für Gesundheits- und Verbraucherschutz bei der Europäischen Kommission. Obwohl China wegen nicht anerkannter Prüfverfahren keine Milchprodukte in die EU exportieren darf, hat Brüssel die 27 EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Kontrollen an den Grenzen zu verschärfen, um illegale Importe zu verhindern. Dieser Skandal "foltere" China, erklärte die Sprecherin von EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou. Vor Kinderkrankenhäusern in vielen Städten Chinas bildeten sich lange Schlangen verzweifelter Eltern.