Der Prozess ist heftig umstritten, weil Geständnisse mit Folter erzwungen worden sein sollen. Hauptangeklagter verlangt für sich die Todesstrafe.

Washington. Durch einen mit Nato-Draht gesicherten, käfigartigen Gang werden die fünf Gefangenen am Morgen zum Gerichtssaal geführt. Es ist ein provisorischer Bau von 446 Quadratmeter Fläche. An der Wand hinter dem Richtertisch hängt eine Flagge der Vereinigten Staaten, der Boden ist mit grauem Teppich belegt. Darin eingelassen sind Metallösen, an denen man die Gefangenen anketten wird, wenn sie sich ungebührlich verhalten sollten.

US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba, 5. Juni 2008. Sechs Jahre, acht Monate und 23 Tage nach "Nine Eleven", den verheerenden Anschlägen von New York und Washington vom 11. September. Es ist der erste Tag des ersten Prozesses gegen mutmaßliche Hauptdrahtzieher der schlimmsten Terroraktion, die die Welt gesehen hat. Angeklagt ist Chalid Scheich Mohammed (44), Nummer drei des Netzwerkes al-Qaida, und - neben drei weiteren - auch Ramzi Binalshibh, einst Statthalter von Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden in Hamburg und von hier aus Koordinator von Terror-Piloten wie Mohammed Atta, die in der Harburger Marienstraße ihr furchtbares Werk vorbereiteten (siehe auch Text rechts auf dieser Seite).

Hauptanklagepunkt: Mord in 2973 Fällen. Forderung der Anklage: Todesstrafe.

Es ist ein - nicht nur in den USA - höchst umstrittener Militärprozess, geführt von Marineoberst Ralph Kohlmann als Vorsitzendem Richter. Die Gefangenen tragen keine Handschellen, als sie auf der Anklagebank Platz nehmen. Ihre Aussagen werden mit 20-sekündiger Verzögerung in einen schalldichten Nebenraum übertragen, in dem 60 Journalisten sitzen. Der Richter soll die Übertragung unterbrechen können, sobald Informationen zur Sprache kommen, die als Staatsgeheimnis gewertet werden.

Der Prozess beginnt mit einem Eklat: Chalid Scheich Mohammed entlässt die ihm gestellten Verteidiger und verlangt die Todesstrafe: "Ich will ein Märtyrer werden!" Anwälte brauche er nicht, er werde sich selbst vertreten, sagt er und fügt hinzu: "Gott allein reicht mir."

Die Tatsache, dass mit Mohammed der "Architekt" des Terrors von 2001 auf der Anklagebank sitzt, hat - zumindest bis zum Beginn des Verfahrens - Amerika nicht annähernd so elektrisiert, wie es zu erwarten gewesen wäre. Schlagzeilen wie "Der Jahrhundertprozess" oder Ähnliches - Fehlanzeige. Das Problem ist, dass auf den Fernsehschirmen nicht viel zu sehen und schon gar nicht Töne live aus dem Gerichtssaal in Guantanamo zu hören sein werden. "Aus Gründen der nationalen Sicherheit", wie das Verteidigungsministerium nicht müde wird zu betonen. Was denn so geheim ist an jenem Verfahren, das immerhin das schwerste Trauma des amerikanischen Volkes in der jüngeren Geschichte zum Thema hat, kann man auch nach mehrmaliger Nachfrage im Pentagon nicht erfahren. So kennen die meisten US-Bürger nur ein Bild von Chalid Scheich Mohammed, das ihn am Tag seiner Verhaftung am 1. März 2003 im pakistanischen Rawalpindi in einem zu großen weißen T-Shirt zeigt. Amerikanische und pakistanische Geheimagenten hatten den Mann, der fließend Englisch spricht und sogar an einer Universität in North Carolina Maschinenbau studierte, aus dem Schlaf gerissen. 25 Millionen Dollar Kopfgeld waren auf ihn ausgesetzt, doch die entscheidenden Hinweise hatte offenbar Ramzi Binalshibh in Verhören gegeben.

Vielleicht wissen die Amerikaner auch noch, dass der heute 44-Jährige in Kuwait geboren wurde, mit 16 Jahren einer muslimischen Bruderschaft beitrat und dann einige Jahre in Pakistan verbrachte. Unter Umständen haben sie auch schon einmal gelesen, dass er nach seinem Studienabschluss 1986 Kontakt zur al-Qaida aufnahm, für die er bald zum Chef-Planer wurde. An welchen weiteren Anschlägen Chalid Scheich Mohammed genau beteiligt war, ist offiziell immer noch nicht ganz klar. Und dass der Prozess diese Fragen beantworten wird, ist unwahrscheinlich.

Denn die Verhandlung in Guantanamo, wo die US-Regierung derzeit noch rund 270 Terrorverdächtige festhält, ist anders als alle bisherigen US-Prozesse. Auf Betreiben von Präsident George W. Bush wurde jedes Ansinnen abgeschmettert, die auf Guantanamo einsitzenden Häftlinge vor normalen US-Gerichten abzuurteilen. Auf dem amerikanischen Festland hätten sie die gleichen Rechte gehabt wie jeder normale Bürger auch. Selbst Militärgerichte, die immerhin noch ein gewisses Maß an Öffentlichkeit erlauben würden, lehnte der Präsident als "ungeeignet" ab. Nachdem die Bush-Administration die Gefangenen zuerst mit der neu geschaffenen Bezeichnung "enemy combatants" (feindliche Kämpfer) versehen hatte, schuf sie dann sogenannte "Militärkommissionen" als zuständige Gerichte. Trotz einiger Niederlagen vor dem Supreme Court, dem Obersten US-Gericht, das diese Militärkommissionen in der von Bush gewünschten Form für unrechtmäßig ansah, blieben sie in abgeschwächter Form erhalten und sollen jetzt erstmals Recht sprechen.

Noch bevor das Verfahren gestern offiziell eröffnet wurde, gab es - und gibt es nach wie vor - von zahlreichen Seiten Zweifel daran, dass Rechtsstaatlichkeit vor der Militärkommission überhaupt möglich ist. So beschwert sich Charlie Swift, einer der Verteidiger, bitter: "Was für ein Recht ist das, wo ich nicht frei und ungestört mit meinem Mandanten reden kann?" Dank eines von den Republikanern 2006 verabschiedeten Gesetzes dürfen in dem Prozess Ankläger Beweise vorlegen und verwenden, die der Verteidigung nicht zur Verfügung standen. Auch Geständnisse, die durch das sogenannte "water boarding" - eine Verhörmethode, in der man vorgibt, den Gefangenen zu ertränken - erzwungen wurden, dürfen verwendet werden. "Das war mit meinem Rechtsverständnis nicht mehr vereinbar", erklärte der ehemalige Chefankläger Morris Davis, bevor er unter Protest zurücktrat.

Folter ist nach Ansicht von George W. Bush ein sehr dehnbarer Begriff. So bezeichnet der US-Präsident "water boarding" als "verschärfte Verhörmethode", die er für "durchaus legal" hält. Die Bürgerrechtsorganisation Amnesty International, die das Gefangenenlager in Guantanamo einmal als "Gulag unserer Zeit" bezeichnet hat, lässt dagegen keinen Zweifel daran, dass Lagerinsassen dort "regelmäßig gefoltert" werden.

Seit Abu Ghraib im Irak und Guantanamo sehen sich die USA weltweit dem Vorwurf ausgesetzt, Folter anzuwenden oder zuzulassen und mit eben jenen rechtsstaatlichen Grundsätzen zu brechen, für die sie anderswo eintreten. Nicht ohne Grund haben die Präsidentschaftskandidaten beider Parteien, Barack Obama und John McCain, während des Wahlkampfs immer wieder erklärt, dass sie das Lager Guantanamo "so schnell wie möglich" schließen wollen.

Die Anwälte aller fünf Beschuldigten haben kurzfristig den Antrag gestellt, die Anklage fallen zu lassen, da Geständnisse illegal erzwungen wurden. Das Gericht wird diesem Ansinnen kaum folgen. Und selbst wenn, würde es für Chalid Scheich Mohammed und seine Mitangeklagten genauso wenig ändern wie ein Freispruch. Denn auch dann kämen die Angeklagten keineswegs frei. Sie würden als "enemy combatants" ohne Rechte in ihre Zellen zurückkehren und dort solange bleiben, wie ein neuer Präsident etwas anderes entscheidet.