Abendblatt:

Herr Klose, war dies ein Übergangsgipfel?

Hans-Ulrich Klose:

Überwiegend war von einem Gipfel mangelnder Harmonie die Rede. Wir sehen bei der Nato das gleiche Phänomen, das wir auch bei der EU beobachten: Umso größer man wird, umso schwieriger wird es, Entscheidungen zu treffen.



Abendblatt:

Wie beurteilen Sie die Erweiterungsbeschlüsse?

Klose:

Man muss bei Erweiterungen immer die Grundfrage stellen: Bringt die Erweiterung ein Plus für das Bündnis? Ich glaube, ja, im Falle von Kroatien, auch Albanien. Ich hätte es gerne gesehen, wenn Mazedonien auch dabei gewesen wäre. Denn Stabilität auf dem Balkan ist ohne das Einfügen dieser Länder in Systeme der internationalen Kooperation nicht möglich. Im Falle der Ukraine und Georgien sagen wir Ja, die Tür für sie ist offen. Aber einstweilen wäre der Beitritt für das Bündnis eher eine Belastung. Deshalb war die Entscheidung insgesamt richtig. Was mich nicht erfreut, ist, dass bei dieser Gelegenheit wieder diese Formel von "neuem" und "altem" Europa zum Vorschein gekommen ist.



Abendblatt:

Weshalb?

Klose:

Die sogenannten neuen Europäer haben einen besonderen Blick auf Russland. Deshalb sind ihre Überlegungen gelegentlich anders als die der anderen. Das ist ein Punkt, über den muss man reden. Wir, die alten Europäer, müssen begreifen, dass die Befindlichkeit dieser neuen Europäer anders ist.



Abendblatt:

Was bedeutet das?

Klose:

Für die Bundesrepublik Deutschland war die Nachkriegszeit in Wahrheit zu Ende, als wir 1954/55 Mitglied der Nato wurden. Von diesem Zeitpunkt an begannen wir, in Kategorien von Kooperation und Partnerschaft zu denken. Für die mittelosteuropäischen und südosteuropäischen Länder ist die Nachkriegszeit aber erst 1989/90 zu Ende gewesen. Die hatten viel weniger Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen.



Abendblatt:

Ein Streitthema ist das US-Raketenschild.

Klose:

Ich kann nur hoffen, dass die Amerikaner und die Nato jede Anstrengung unternehmen, um in dieser Frage von der Konfrontation zur Kooperation mit Russland überzugehen. Das müsste in der Sache möglich sein, weil Russland über die Entwicklung im Iran auch nicht glücklich sein kann. Die Bedrohung für Russland ist geografisch noch viel näher als für Europa und Amerika. Es ist richtig, dass die Amerikaner versuchen, die Russen in eine Kooperation hineinzuverhandeln. Das ist schwierig, weil sich in Russland und besonders in der Person von Putin Unwille aufgebaut hat gegenüber Amerika im Besonderen und dem Westen im Allgemeinen.



Abendblatt:

Welche Reaktion ist zu erwarten?

Klose:

Wie sich Russland entwickelt unter dem Präsidenten Medwedew, werden wir sehen. Es ist richtig, dass man Russland anbietet, ein Partner bei der Raketenabwehr zu sein. Denn in Wahrheit haben wir alle, die Russen, die Europäer, die Amerikaner, das gleiche Problem: Wir haben ein Vertragssystem, das Mittelstreckenraketen bannt, und gleichzeitig haben viele Länder angefangen, Raketen zu bauen. Das ist eine zunehmende Bedrohung, mit der man sich auseinandersetzen muss.



Abendblatt:

Entwickelt die Nato eine neue Strategie für den Umgang mit Afghanistan?

Klose:

Man kann den Eindruck gewinnen, dass die internationale Staatengemeinschaft nicht vorankommt, weil sie nicht geschlossen genug agiert. Daran wird sich auf kurze Frist nichts Wesentliches ändern. Die angekündigte Veränderung durch Frankreich ist begrüßenswert, aber nicht ausreichend. Deshalb wird das Thema von einem neuen amerikanischen Präsidenten umgehend auf die Tagesordnung gebracht. Von Präsident Bush schon deshalb nicht mehr, weil er vor allem bezogen auf Deutschland weiß: Man kann nicht erzwingen, was innenpolitisch nicht machbar ist.



Abendblatt:

Hinterlässt Bush seinem Nachfolger ein gutes Feld innerhalb der Nato?

Klose:

Diplomatisch formuliert: Darüber soll die Geschichte urteilen. Ich glaube nicht, dass die Welt nach Bush in einem besseren Zustand ist als vor Bush.



Hans-Ulrich Klose (SPD) ist Vize-Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.