In Ländern wie Afghanistan, Sudan und Somalia haben Terroristen vom Aufweichen staatlicher Strukturen profitiert. Auch Mega-Citys in Lateinamerika sind bedroht.

Berlin. Ein Blick nach Bosnien oder Afghanistan, in den Sudan oder auch nach Nairobi oder Mogadischu genügt, um zu erfassen, was passiert, wenn staatliche Ordnungen zusammenbrechen. Krieg, Chaos, Korruption führen zu Armut und Verzweiflung der Menschen. Die Auswirkungen davon werden nicht mehr örtlich begrenzt bleiben, sondern in einer globalisierten Welt - siehe Afghanistan - die internationale Sicherheit schnell bedrohen können. Und das mit Konsequenzen für jeden einzelnen Staat.

In diesem Licht sei die "klassische Ordnung, die von einer strikten Trennung von innerer und äußerer Sicherheit ausging, so heute nicht mehr existent", sagte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Ernst Uhrlau, gestern in Berlin beim 9. BND-Symposium, auf dem sich 400 internationale Experten und Geheimdienstler mit diesem Thema beschäftigten.

Wie sich der "Zerfall der Ordnung" auswirkt und welche Lösungen es dafür gibt, ist eine Frage, die die Sicherheitsexperten derzeit weltweit bewegt.

Mit seiner Ansicht wird Uhrlau Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) aus dem Herzen gesprochen haben. Die Wirklichkeit halte sich manchmal nicht an Trennungsgebote, meinte auch der Minister auf der Tagung und unterstrich damit erneut seine Auffassung über eine Aufweichung der Zuständigkeiten zwischen Bundeswehr (Äußeres) und Polizei (Inneres).

Die neue Bedrohungslage in einer globalisierten Welt zwinge dazu, darüber nachzudenken. "Es gibt keine fertigen Lösungen dafür", sagte Wolfgang Schäuble, "aber wir dürfen uns diesen Problemen nicht verschließen." Und diese Probleme sehen heute eben anders aus, als zu Zeiten, in denen die Welt noch in klare Blöcke geteilt war.

Das "Modell einer politischen Ordnung, das gekennzeichnet ist durch Territorialität und Institutionen" sei gegen Ende des 20. Jahrhunderts in "eine schwere Krise" geraten, so BND-Präsident Uhrlau. "Die alte Ordnung, darin sind sich die Experten einig, erodiert", sagte er.

Betroffen seien davon vor allem Teile Asiens, Afrikas und Lateinamerikas (siehe Karte). Die Folge: Staatliche Ordnungen lösen sich auf, Gewalt diktiert das Leben, nicht staatliche Akteure übernehmen im rechtslosen Raum anschließend die Führung.

Letztlich konnten in einer derartigen Atmosphäre die Taliban in Afghanistan die Macht übernehmen und das Land als Ausbildungslager der al-Qaida missbrauchen. Wären sonst die Anschläge vom 11. September 2001 überhaupt möglich gewesen?

"Staatszerfall ist sichtbarer Ausdruck eines Prozesses schleichender Entkräftung", sagte Uhrlau. Die Ordnungsmacht zieht sich aus den Institutionen immer mehr zurück oder wird verdrängt, weil die Fachkräfte und das Geld fehlen, sie aufrechtzuerhalten. Diese wie in Bosnien oder Afghanistan wieder aufzubauen kostet viel Zeit und Geld. Darüber müsse sich die internationale Gemeinschaft im Klaren sein, wenn sie in einem Land interveniere, sagte auch der Vize-Präsident des BND, Arndt Freiherr Freytag von Loringhoven.

In den Städten sind Slums der Indikator für einen ersten Ordnungszerfall. Mit zunehmender Bedeutung der Mega-Citys in Staaten und auf Kontinenten müsste darauf hingearbeitet werden, dass diese nicht zum Schmelztiegel für Instabilität würden, sagte Anna Tibaijuka, Vize-Direktorin der Uno-Bevölkerungsorganisation Habitat.

Sie nannte dazu erschreckende Zahlen: Eine Milliarde Städter lebten auf der Welt in Slums, 2030 werden es zwei Milliarden sein. Davon leben 100 Millionen Kinder auf der Straße. 60 Prozent aller Einwohner werden Opfer von Gewalt. "Instabilität und Unsicherheit sind kein plötzliches Ereignis, sondern ein Prozess", sagte Tibaijuka. Diesen gelte es aufzuhalten.