Die Zweifel amerikanischer Politiker an Deutschlands Loyalität und Dankbarkeit haben nun auch Medien und Bürger erfasst. Berlins Botschafter Ischinger muss als “Watschenmann“ herhalten.

Washington. "What's new in Germany" (Was gibts Neues in Deutschland)? Die Frage ist schon seit Jahren Ritual zwischen Tim, einem Einpacker des Supermarktes "Super Fresh", und mir. Sie nennen ihn den "intellektuellen Packer", weil er, obwohl er nie einen Schulabschluss geschafft hat, täglich die "Washington Post" von vorn bis hinten liest. Deshalb weiß Tim, was los ist in der Welt, und deshalb schiebt er an diesem Tag eine zweite Frage hinterher: "Warum will uns Deutschland plötzlich nicht mehr unterstützen und ist gegen unseren Präsidenten?" Eine Frage, die zur Stunde viele Menschen in Amerika beschäftigt. Seit der Wiedervereinigung war das Wort Deutschland nicht mehr so häufig in amerikanischen Zeitungen zu lesen und in Diskussionen im Fernsehen zu hören wie in diesen Tagen. Es geht um das nicht mehr ganz so gute "good old Germany", nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder erklärt hat, dass er einen US-Militärschlag gegen den Irak selbst dann nicht unterstützen würde, wenn es dafür ein UNO-Mandat gebe. Eine anti-amerikanische Ungeheuerlichkeit, so der Tenor nahezu täglicher Berichte. Man nennt das hier "German bashing" (Deutsche abwatschen). Die "Washington Post" widmete dem deutschen Regierungschef unter dem Titel "Herr Schröder drückt sich" ihren Leitartikel. Der Autor prophezeit dem Kanzler im Falle eines Wahlerfolges am nächsten Sonntag "einen kostspieligen Sieg: Herr Schröder wird sich an der Spitze einer Regierung finden, deren internationales Prestige und Einfluss sehr reduziert wurden!" Weiter warnt die Zeitung, dass "die stärkere Rolle in der internationalen Sicherheitspolitik, die er (Schröder) für sein Land wollte, zerbröckeln wird, wenn Deutschland verängstigt an der Seitenlinie sitzt, während seine Alliierten sich der Herausforderung stellen, vor der sich der Kanzler zynischerweise gedrückt hat". Auch die sogenannten "Talking Heads", die Moderatoren der wichtigsten politischen Talkshows, reden sich die Köpfe über den vermeintlich abtrünnigen Alliierten und dessen Kanzler Schröder heiß. So meinte Mort Zuckerman von "U. S. News & World Report" am vergangenen Sonntag bei der ABC-Sendung "The McLaughlin Group" erbost: "Was Schröder da veranstaltet, hat nichts mit nationalem Interesse zu tun, sondern ist purer Nationalismus, und das wird natürlich Einfluss auf sein Verhältnis mit Bush haben." Lawrence Kudlow vom Nachrichtensender CNBC, der nicht gerade als konservativ gilt, teilte seinen Zuschauern mit: "Deutschland mag keine Radikalen, und Schröder hat sich durch seine Äußerungen zum Radikalen gemacht, deshalb wird Stoiber meiner Meinung nach auch gewinnen." Als Watschenmann vor Ort muss vor allem Deutschlands Botschafter in Washington, Wolfgang Ischinger, herhalten. Er wurde unlängst in der bekannten "O'Reilly Show" vom Moderator Bill O'Reilly mit den Worten begrüßt: "Wir haben euren Arsch gerettet nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben euer Land aufgebaut mit meinem Geld und dem meines Vaters und Großvaters. Und wir haben euch während des Kalten Krieges vor den Russen geschützt, wie Sie wissen. Jetzt sagen die Amerikaner zu Deutschland: Bitte vertraut uns, wir glauben, Saddam Hussein bedroht die ganze Welt, und ihr sagt: Nein. Was soll das? Euer Land schuldet es uns, dass ihr uns bei dieser Entscheidung unterstützt." Geduldig erklärt der Botschafter immer wieder die deutsche Position und versichert die Amerikaner der Dankbarkeit der Deutschen für alles, was sie getan haben. Auch der neue Leiter der ABC-Sendung "This Week", der ehemalige White-House-Pressechef George Stephanopoulos, fragte Ischinger unverblümt, was denn nun "plötzlich aus der unbegrenzten und bedingungslosen Solidarität" geworden sei, die der deutsche Kanzler George W. Bush vor einem Jahr nach den Terroranschlägen in New York und Washington versprochen hatte. Der deutsche Botschafter stellte einmal mehr klar, dass diese Zusage "nach wie vor gilt und nie gebrochen worden" sei. Jedoch müsse man "zwischen dem Kampf gegen den Terrorismus und einem Krieg gegen Massenvernichtungswaffen" klar unterscheiden. Derlei Auseinandersetzungen der Medien mit dem Thema haben auch den ansonsten weltpolitisch wenig interessierten "Mann auf der Straße" ins Grübeln gebracht. Mein Nachbar Greg Ewitt zum Beispiel, der Ende der 60er-Jahre der US-Armee in Deutschland diente und heute bei der NASA arbeitet, erkundigte sich dieser Tage besorgt über den Gartenzaun hinweg: "Was ist nur mit euch Deutschen los? Stimmt es, dass Deutschland seinen eigenen Weg geht und uns im Regen stehen lassen würde?" Mary Barker, die Ausländer in Englisch unterrichtet und gern beim Spaziergang mit ihren beiden Cockerspaniels auf einen kleinen Schwatz verweilt, weiß nicht so recht, was sie vom "German bashing" halten soll. "Deutschland war uns seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer ein loyaler Partner. Ich sehe keinen Grund, warum sich das plötzlich ändern sollte", meinte die grauhaarige Pädagogin, fügte aber wie zum Trost hinzu: "Ich glaube, dass unsere Medien das Thema recht aufgebauscht haben und dass letzten Endes alles nicht so heiß gegessen wird, wie man es kocht." Wenngleich rund 60 Prozent der Amerikaner den harten Irak-Kurs ihres Präsidenten unterstützen, machen andere keinen Hehl daraus, dass sie davon ganz und gar nichts halten. Vor dem Weißen Haus an der Pennsylvania Avenue versammeln sich, argwöhnisch beäugt von Beamten des Secret Service, immer wieder Gruppen, die mit Plakaten und Spruchbändern gegen den drohenden Krieg demonstrieren: "Ein Vietnam reicht" und "Kriegstreiber Bush nein danke". Wenn man hier nachfragt, erhält der deutsche Kanzler Bestnoten. "Ich wünschte, wir hätten einen Regierungschef mit so viel Rückgrat und Hirn", meint eine 50-jährige Frau, die einen Sohn im Golfkrieg unter der Ägide von Bush Senior verloren hat. Ob Schröders Haltung das deutsch-amerikanische Verhältnis für längere Zeit belasten werde, wie führende Journalisten glauben? Dan Hamilton vom Center for Transatlantic Relations in Washington ist da nicht so sicher. Der Mann, der in der Clinton-Administration als Staatssekretär für Europa und später in der US-Botschaft in Berlin gearbeitet hat, ist überzeugt, dass Präsident Bush "genau weiß, dass Schröders Äußerungen rein wahltaktischen Überlegungen entsprungen sind". Allerdings findet auch Hamilton den extremen Standpunkt des deutschen Kanzlers trotz Wahlkampfes "erschreckend zynisch" und warnt davor, dass "der Deutsche Weg ein Weg in die Isolation sein wird", falls Schröder im Falle seiner Wiederwahl tatsächlich daran festhalten wolle. Tim, der "intellektuelle Packer" in unserem Supermarkt, hält das Problem für lösbar. "Ich glaube, euer Kanzler sollte einfach nach Washington kommen und mit unserem Präsidenten reden und sich vielleicht entschuldigen. Bush ist ein netter Kerl und sicher nicht nachtragend", sagt er, während er mir die Einkaufstüten ins Auto hebt.