Wenn Amerika am Dienstag einen neuen Kongress wählt, steht auch die Zukunft von George W. Bush zur Debatte. Die meisten Kandidaten haben sich längst gegen den Präsidenten in Stellung gebracht - einer von ihnen in dessen Heimatstaat Texas.

Washington - Wer an diesem herbstlichen Sonntagmorgen in Austin (Texas) am Gerichtsgebäude vorbeifährt, bekommt den Eindruck, dass hier, an der Ecke Guadalupe Avenue und 11. Straße ein Western gedreht wird. Mehrere Männer in Cowboy-Outfit sind von zahlreichen Kameras umringt. "Kinky, könntest du mehr in die Kamera schauen und die Zigarre so halten, dass man sie sieht", bittet einer der Kameramänner einen stattlichen Mann, der ganz in Schwarz gekleidet mit Stetson Kopf und Havanna zwischen den Fingern aussieht, als habe er die Hauptrolle des Bösewichts. Diese Einschätzung ist nur zum Teil richtig. Der Mann spielt hier zwar die Hauptrolle, er ist jedoch kein Bösewicht, sondern, wenn alles so läuft, wie er und seine Fans es sich vorstellen, der nächste Gouverneur des US-Bundesstaates Texas. Die "Lone Ranger"-Kopie, die hier an der Straßenecke steht um potenzielle Wähler davon zu überzeugen, dass er der richtige Mann für die Zukunft ist, hat ein Gesicht, das einer Moränenlandschaft gleicht und das mehr erlebt hat, als sich die meisten Normalsterblichen vermutlich vorstellen können. Der Gouverneur in spe heißt Kinky Friedman und ist keineswegs ein Unbekannter hier in Marlboro-Country. Nur führt man ihn bisher nicht in der Kategorie Politiker, sondern in der Spalte Sänger, Krimiautor oder Aphoristiker.

Eine Passantin, die mit dem Gesangbuch in der Hand gerade aus der benachbarten Kirche kommt und eher aussieht wie eine ultrakonservative und gottesfürchtige Republikanerin, läuft fröhlich auf Kinky zu und begrüßt ihn mit den Worten: "Ich hoffe, du schaffst es, Kinky, wir brauchen wirklich einmal jemand Normalen in der Gouverneursresidenz und nicht einen dieser Berufspolitiker, die sich nur an die Macht klammern und darüber ihre Wähler vergessen."

Kinkys Programm passt auf eine DIN-A4-Seite

So wie die ältere Dame denken dieser Tage viele Menschen in Texas und darauf begründet Kinky Friedmann seine Hoffnung. Mit 21 Prozent sehen Umfragen ihn inzwischen auf Platz zwei vor dem demokratischen Kandidaten und nur knapp hinter dem amtierenden texanischen Gouverneur, Rick Perry.

Insgesamt bewerben sich neben Friedman mit dem Demokraten Chris Bell und der Unabhängigen Carol Strayhorn noch zwei weitere Kandidaten um Perrys Gouverneurssessel. Sie haben lange politische Karrieren und noch längere Wahlprogramme, was sie alles verbessern wollen im Longhorn-Staat. Kinkys Programm hat auf einer DIN-A4-Seite Platz und ist für jedermann verständlich. So will der Mann im Cowboy-Look das Gehalt für Lehrer drastisch anheben und es durch Gewinne aus Spielcasinos finanzieren. Friedman, der keineswegs ein Todesstrafengegner ist, will dafür sorgen, dass nicht, wie in der Vergangenheit, immer wieder Unschuldige hingerichtet werden. Der Möchtegern-Gouverneur: "Texas sollte besser woanders an der Spitze stehen als bei der Zahl der Exekutionen." Wenn es nach Kinky geht, sollte in Zukunft jede Form von Lobbying in der Politik verboten und Wahlkämpfe nur mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Der Kandidat: "Politik ist der einzige Beruf, in dem man schlechter wird, je mehr Erfahrung man hat. Es ist Zeit, dass da einmal richtig ausgemistet wird."

"Die Leute haben mich verdient", erklärt er zwischen zwei Songs

Am Nachmittag tritt der Mann mit der dicken kubanischen Zigarre (Montecristo Nr. 2) ein paar Straßen weiter beim Texanischen Buchfestival auf. Einen Steinwurf entfernt von der weißen Gouverneursresidenz, die er bald sein Zuhause nennen möchte, spielt Kinky auf der Gitarre einige seiner Hits, so etwa "They Ain't Makin' Jews Like Jesus Any More" (Sie machen nicht mehr solche Juden wie Jesus), das dem gebürtigen Juden einst zu Starruhm verhalf. Friedman hat schon die Bühne (und Kokain) mit Legenden wie Bob Dylan, Willy Nelson, Jerry Lee Lewis, Billy Joel und Jerry Garcia geteilt und könnte sich die Zeit auf seiner 160 Hektar großen Echo-Ranch vertreiben. Doch der 61-Jährige ist neben all seinen Talenten auch ein unverbesserlicher Weltverbesserer. "Die Leute haben mich verdient", erklärt er zwischen zwei Songs seinem applaudierenden Publikum und meint das ganz ernst. Der Mann auf der Bühne "will nicht wie Politiker das Blaue vom Himmel herunterlügen", sondern nur das versprechen, was George Washington schon vor ihm getan hat: "Ehrlichkeit und Vernunft in der Politik."

Kinky, den seine Fans liebevoll "Kinkster" nennen, widmet sein nächstes Lied "No Place To Go And No Place To Stay" (kein Ort zum Gehen und kein Ort zum Bleiben) spöttisch seinem Kontrahenten Perry. Dann erklärt er unter dem Jubel des Publikums den Unterschied zwischen Politiker und Staatsmann. Friedman: "Politiker denken nur an die nächste Wahl, Staatsmänner an die nächste Generation." Viele seiner Fans, die nicht selten wie er nur mit Zigarre und Stetson auftreten und sich aus Sympathie sogar ihre Autos im Kinky-Look haben umspritzen lassen, sehen in ihrem Idol den Staatsmann. Nancy Parker-Simmons, die mit dem Sänger gemeinsam ein Tierheim aufgebaut hat, euphorisch: "Texaner würden ihn lieben. Mit ihm als Gouverneur ging es allen hier besser, weil er die Menschen echt liebt." Das zeigte der eingeschworene Junggeselle im Laufe der Jahrzehnte nicht nur seinen zahlreichen Groupies, sondern auch einer Geisel, die er einmal im Alleingang aus den Händen von Bankräubern rettete.

Außenseiter haben Chancen im Longhorn-Staat

Ob der Traum von Parker-Simmons und den vielen anderen Gleichgesinnten in Erfüllung gehen wird, ist fraglich. Nach letzten Umfragen liegt Kinky rund 15 Prozentpunkte hinter Perry. Das lässt Friedman jedoch nicht in tiefe Depressionen verfallen. Getreu seinem Wahlmotto "WHY THE HELL NOT?" (Warum zum Teufel nicht?) verweist der Kinkster auf seinen Freund, den Ex-Wrestler "The Body" Jesse Ventura. Ventura, der schon mehrmals für Kinky Wahlkampf gemacht hat während der vergangenen Monate, trat 1998 als krasser Außenseiter bei den Gouverneurswahlen in Minnesota an, lag wenige Tage vor der Wahl noch 20 Prozent zurück und siegte dann überlegen. "WHY THE HELL NOT?" Dass Außenseiter im Longhorn-Staat durchaus Chancen haben, politisch Karriere zu machen, zeigt ein anderer Fall. 1994 trat in Texas ein erfolgloser Geschäftsmann ohne politische Erfahrung gegen die klar favorisierte demokratische Gouverneurin Ann Richards an und gewann völlig überraschend. Sein Name: George W. Bush.