Kernspaltung: Was dem Iran noch fehlt . . .

Berlin. Auf einem Blatt Papier sieht alles ganz einfach aus: Ein Neutron genanntes Teilchen spaltet den Kern eines Uran-Atoms, dabei entstehen nicht nur zwei andere, jeweils erheblich kleinere Atomkerne, sondern auch zwei oder drei weitere Neutronen. Die wiederum können weitere Uran-Atome spalten und eine Kettenreaktion auslösen. Packt man genug Uran auf einen Haufen, fliegt alles in einer gigantischen Explosion in die Luft, weil jede einzelne Atomspaltung riesige Energiemengen nach außen bläst.

Soweit die Theorie. In der Praxis aber ist der Bau einer Atombombe so viel komplizierter, daß bisher erst zehn Staaten eigene Kernwaffen hergestellt haben: Die USA lagern vermutlich rund 8500 Kernwaffen und Rußland etwa 7500. Mit großem Abstand folgen die atomaren Mittelmächte China (400), Frankreich (350), Großbritannien (knapp 200), Israel (rund 100), Pakistan und Indien (jeweils 30 bis 40), sowie Nordkorea mit höchstens zehn Atomwaffen. Auch Südafrika hatte sechs Kernwaffen gebaut, aber nach der politischen Wende Anfang der 90er Jahre wieder vernichtet.

Auf dem Weg zur Atombombe stehen Staaten - wie gegenwärtig der Iran - vor hohen Hürden. So stellt erst eine ausreichend große Menge Uran sicher, daß genügend Neutronen eine Kettenreaktion auslösen können.

Kritische Masse nennen Physiker diese Menge, die nicht genau angegeben werden kann, weil sie stark von Form und Zusammensetzung des Atomsprengstoffes abhängt. Eine solche kritische Masse aber sollten die Kernwaffenbauer tunlichst nicht in der Fabrikhalle zusammenbringen. Dann könnte nämlich ein zufällig entstandenes Neutron schon eine Kettenreaktion auslösen.

Daher bauen die Ingenieure eine Kugel, die eigentlich deutlich mehr als die kritische Masse an Uran enthalten würde, wenn nicht ein Segment der Kugel weggelassen würde. Dieses Segment wird am Zielort mit herkömmlichem Sprengstoff in die Kugel hineingeschossen, und die Kettenreaktion beginnt. Das klappt aber nur bei kleineren Sprengsätzen wie jenem von Hiroshima, der 64 Kilogramm Uran enthielt.

Größere Bomben werden dagegen meist als Hohlkugel oder als lockere Packung aus Uran gebaut. Außen herum sitzen etliche herkömmliche Sprengladungen, die - exakt gleichzeitig gezündet - das Uran zu einer überkritischen Masse zusammenpressen. Nach diesem Prinzip war die Bombe von Nagasaki konstruiert.

Bei der Zündung muß noch ein weiteres praktisches Problem gelöst werden: Die Kettenreaktion setzt bereits am Anfang viel Energie frei, die wiederum die eben erst entstandene kritische Masse wieder auseinanderjagt. Eine schlecht konstruierte Atombombe würde daher die Kettenreaktion so schnell wieder abbrechen, daß kaum mehr Energie freigesetzt würde, als im konventionellen Sprengstoff allein steckt. Erst eine ausgeklügelte Technik mit einer gut ausgetüftelten Anordnung von Uran und herkömmlichen Sprengsätzen, die exakt gezündet werden, hält die überkritische Masse so lange zusammen, daß viele Kernspaltungen stattfinden und entsprechende Energiemengen freigesetzt werden.

Diese Technik zu entwickeln ist die eine große Hürde auf dem Weg zur Atombombe. Eine zweite verbirgt sich hinter dem physikalischen Fachbegriff Isotop. Dieses Wort besagt, daß Uran in der Natur aus drei verschiedenen Atomsorten besteht, die sich im Gewicht unterscheiden. Das leichteste Isotop heißt Uran-234, das mittlere Uran-235 und das schwerste Uran-238. In Kernreaktoren und Atomwaffen läßt sich nur Uran-235 spalten. Natürliches Uran aber enthält 99,3 Prozent des nicht spaltbaren Uran-238, nur winzig kleine Mengen Uran-234 und gerade einmal 0,7 Prozent Uran-235.

Die im natürlichen Uran bei der Spaltung von Uran-235 entstehenden Neutronen würden praktisch alle im Uran-238 steckenbleiben, das sie nicht spalten können. Wäre es anders, wären längst alle Uranerze in die Luft geflogen und hätten die Erde schon vor einigen Milliarden Jahren in eine Atomwüste verwandelt. Wer also ein Kernkraftwerk oder eine Atombombe bauen will, muß erst einmal den Gehalt von Uran-235 im natürlichen Uran erhöhen. Auch das ist leichter gesagt als getan.

So schürft der Iran zwar in der Nähe der Wüstenstadt Jasd und nahe Bandar Abbas im Süden des Landes in zwei Minen Uranerz aus dem Boden. Zwei Uranmühlen verwandeln diesen Rohstoff in die chemische Verbindung Uranoxid, die auf Grund ihrer gelben Farbe Yellowcake genannt wird. In der ehemaligen Kaiserstadt Isfahan baut eine weitere Chemieanlage dieses Yellowcake in Uranhexafluorid um.

Dieses Gas bringen die iranischen Atomtechniker in die Stadt Natans, die im Zentrum der Atomkrise mit Teheran steht. Dort steht nämlich eine sogenannte Urananreicherungsanlage. In ihr rotieren im Prinzip luftleere Zylinder, in die das in Isfahan hergestellte Uranhexafluorid-Gas gepumpt wird, schnell um ihre eigene Achse. Die Zentrifugalkraft treibt die etwas schwereren Uran-238-Gasmoleküle ein wenig schneller zur Zylinderwand als die leichtere Uran-235-Gase. Zwar trennen sich die beiden Isotope nicht sonderlich gut voneinander, aber immerhin hat das Gas ganz innen im Zylinder ein wenig mehr als die 0,7 Prozent Uran-235 des natürlichen Erzes. Diese Mischung schickt man in eine weitere Zentrifuge, in der man das spaltbare Uran-235 weiter anreichert. Nach einigen Zentrifugendurchläufen kommt man schließlich auf einen Gehalt von drei bis fünf Prozent Uran-235, den Iran offiziell anstrebt.

Damit kann man zum Beispiel Kernreaktoren zur Stromerzeugung betreiben. Man kann aber dieses Reaktor-Uran auch in etlichen weiteren Zentrifugen weiter anreichern, bis man einen Stoff hat, der rund 90 Prozent Uran-235 enthält. Und der eignet sich auch für eine Atombombe.