Präsident Woronin beschuldigt Nachbarn Rumänien der Anstiftung. Russland sieht Souveränität des Landes bedroht.

Hamburg/Chisinau. Massendemonstrationen, Prügeleien mit der Polizei, ein verwüstetes Parlament - mit knapp 20 Jahren Verspätung hat der Aufruhr unzufriedener Bürger nun auch den letzten von Kommunisten regierten Winkel Europas erreicht. Seit die KP Moldawiens unter Regierungschef Wladimir Woronin am vergangenen Sonntag bei der von internationalen Bebachtern überwachten Parlamentswahl mehr als 50 Prozent für sich reklamierte, kommt das Armenhaus Europas nicht mehr zur Ruhe. Umfragen hatten der Regierungspartei lediglich 30 Prozent vorhergesagt.

Zwar eroberten in der Nacht zum Mittwoch die Sicherheitskräfte das besetzte Parlament in der Hauptstadt Chisinau zurück und nahmen fast 200 Demonstranten fest. Am Tag aber gab es schon wieder neue Proteste. Die meisten Demonstranten waren Studenten, die keine Zukunft für das vier Millionen Einwohner zählende Land zwischen der Ukraine und Rumänien sehen. Woronin sprach von einem versuchten Staatsstreich, warf Rumänien Einmischung vor und wies dessen Botschafter aus. Russland erklärte, die Demonstranten bedrohten die Souveränität des Landes.

Tatsächlich gibt es seit der Unabhängigkeitserklärung der ehemaligen Sowjetrepublik im August 1991 eine starke Bewegung für einen Zusammenschluss mit Rumänien. 65 Prozent der Bevölkerung sind Rumänen, die Amtssprache ist Rumänisch. Der Rest der Bevölkerung besteht vor allem aus Russen und Ukrainern. Sie wohnen mehrheitlich östlich des Dnjester, in Transnistrien, und streben dort ihrerseits die Unabhängigkeit von Moldawien an. Mit tatkräftiger Unterstützung aus Moskau, das dort Truppen stationiert hat, hat sich das letzte stalinistische Regime des Kontinents verschanzt.

Die verfahrene Situation resultiert aus der wechselvollen Geschichte des kleinen Landes. Das Zarenreich eroberte den östlichen Teil des Fürstentums Moldau 1812 von den Türken. Um die Wirtschaft in Gang zu bringen, wurden auch deutsche Kolonisten angesiedelt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs kam Moldawien zu Rumänien, bis es 1940 infolge des Hitler-Stalin-Pakts der Sowjetunion zugeschlagen wurde und die Deutschen, darunter die Eltern von Bundespräsident Horst Köhler, das Land verlassen mussten. Im Krieg kam das Land für drei Jahre zu Rumänien, bis die Rote Armee es zurückeroberte.

Das fruchtbare Moldawien wurde eine der wohlhabendsten Sowjetrepubliken. Und neben Georgien eine der wenigen, in denen auch Wein gedeiht. Und genau wie Georgien hat auch Moldawien 2006 ein russisches Importverbot für den Rebensaft ereilt. Angeblich wegen zu hoher Schadstoffbelastungen. Ein schwerer Schlag für die Wirtschaft des Landes, denn mehr als 80 Prozent der Ausfuhr der süßen und schweren Weine, für die sich kein anderer Abnehmer auf der Welt finden wird, gingen nach Russland. Und ein nicht zu übersehender Wink mit dem Zaunpfahl. Die nächste Eskalationsstufe nach zu viel Unbotmäßigkeit gegenüber Moskau bestand für Georgien im Einmarsch der Russen im vergangenen August.

Um keinen unnötigen Ärger mit Moskau zu riskieren, den Beitritt zur EU nicht zu gefährden und Zustände wie im ehemaligen Jugoslawien zu vermeiden, hat Rumänien in den vergangenen 19 Jahren sehr vorsichtig in der Moldawienfrage agiert. Präsident Woronin wiederum hat versucht, irgendwie zwischen Europa und Russland zu lavieren. Auf der Strecke blieb eine immer mehr verarmende Bevölkerung, die bei 250 Euro monatlichen Durchschnittsverdienst den Anschluss an den Westen nicht endgültig verlieren will.