Wir freuen uns auf Barack Obama, weil wir von ihm einen neuen Aufbruch in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union erwarten.

Hamburg/Brüssel. Abendblatt:

Herr Pöttering, in wenigen Stunden wird der erste schwarze US-Präsident feierlich in sein Amt eingeführt. Freuen Sie sich auf Obama?

Hans-Gert Pöttering:

Wir freuen uns auf Barack Obama, weil wir von ihm einen neuen Aufbruch in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union erwarten. Unter seiner Präsidentschaft sollte deutlich werden, dass wir gemeinsame Werte teilen.



Abendblatt:

Kennen Sie ihn persönlich?

Pöttering:

Nein, bedauerlicherweise nicht. Ich hoffe aber, dass er unsere Einladung annimmt, Anfang April vor dem Europäischen Parlament zu sprechen. Nach allem, was ich mitbekommen habe, handelt es sich um eine Persönlichkeit, die Vertrauen bei den Menschen erzeugt. Und Vertrauen ist das Wichtigste in der Politik.



Abendblatt:

Wird Obama alles anders machen als George W. Bush?

Pöttering:

Das glaube ich nicht. Einige Konstanten der amerikanischen Politik werden natürlich die gleichen bleiben. Der neue amerikanische Präsident wird immer auch amerikanische Interessen vertreten. Aber ich erwarte von ihm insbesondere, dass er nicht einseitig handelt, sondern die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen, einbindet. Ich vertraue darauf, dass es eine starke, stabile und vor allen Dingen gleichberechtigte Partnerschaft geben wird zwischen den USA und der EU.



Abendblatt:

Bush war - zumindest in seiner zweiten Amtszeit - für die Partner in Europa gar nicht mal so unbequem. Was wird Obama verlangen?

Pöttering:

Partnerschaft beruht darauf, dass man sich austauscht, dass man sich zuhört, dass man voneinander lernt und dann gemeinsam handelt. Es wäre völlig falsch, wenn der neue amerikanische Präsident von uns etwas verlangen würde. Der Stil der Lösungsfindung sollte partnerschaftlich und freundschaftlich sein.



Abendblatt:

Es wird allgemein erwartet, dass Obama auf ein stärkeres Engagement auch Deutschlands in Afghanistan dringen wird.

Pöttering:

Die Europäische Union und die USA haben gemeinsam ein Interesse daran, dass Afghanistan sich stabilisiert. Eine weitere Destabilisierung Afghanistans wäre eine Riesengefahr für die Welt insgesamt. Daher sollten die Europäer - auch die Deutschen - offen sein für die Wünsche unser amerikanischen Partner.



Abendblatt:

Obama wird Guantanamo schließen und die Europäer um die Aufnahme entlassener Häftlinge bitten. Kann die Bundesregierung da Nein sagen?

Pöttering:

Die Europäische Union ist immer für die Schließung von Guantanamo eingetreten, weil dieses Lager nicht unseren Rechtsprinzipien entspricht. Wenn Guantanamo nun geschlossen wird, müssen die inhaftierten Personen ja irgendwo hin. Hier sollte die internationale Gemeinschaft insgesamt - also auch die EU - offen sein zur Zusammenarbeit mit den USA. Bundesinnenminister Schäuble hat sich gegen eine Aufnahme entschieden. Das muss ich respektieren. Generell gilt: Wenn man die Schließung von Guantanamo fordert, muss man den Amerikanern auch dabei behilflich sein.



Abendblatt:

Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Pöttering:

Die Personen, die Guantanamo verlassen, müssen faire Gerichtsverfahren haben. Die Sicherheitsfrage ist in jedem konkreten Fall sehr sorgfältig zu prüfen. Verurteilte Terroristen müssten selbstverständlich auch in der EU ihre Haftstrafen verbüßen. Wenn Sicherheitsbehörden an der Ungefährlichkeit einer Person zweifeln, eine Verurteilung nach rechtsstaatlichen Prinzipien aber nicht möglich ist, könnte man ein System der Begleitung schaffen. Es müsste einerseits für die betroffenen Personen akzeptabel sein und andererseits die Sicherheit gewährleisten.



Abendblatt:

Erwarten Sie, dass sich Obama mit ähnlichem Nachdruck wie Bush für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei einsetzt?

Pöttering:

Wenn Barack Obama hier einen besonderen Akzent legen sollte, muss er damit rechnen, dass er in Europa auch auf Widerstand trifft. An diesem Montag werde ich in Brüssel mit dem türkischen Premierminister Erdogan über den Fortgang der Beitrittsverhandlungen sprechen.



Abendblatt:

Wird die Türkei jemals in der EU sein?

Pöttering:

Die Verhandlungen laufen, der Ausgang ist offen. Es wäre eine Riesenleistung, wenn die Türkei eines Tages bereit wäre, unser Wertesystem zu übernehmen. Sollten die Verhandlungen zu einem Abschluss kommen, müssten die politisch Verantwortlichen in Europa - auch das Europäische Parlament - in freier Entscheidung über einen Beitritt der Türkei abstimmen. Ich persönlich bin der Meinung, dass eine privilegierte Partnerschaft angemessener wäre als eine Vollmitgliedschaft.