Zwei Generationen, nachdem die Höllenfeuer von Auschwitz erloschen sind, hält nahezu jeder zweite Deutsche Israel für ein aggressives Land. 13...

Zwei Generationen, nachdem die Höllenfeuer von Auschwitz erloschen sind, hält nahezu jeder zweite Deutsche Israel für ein aggressives Land. 13 Prozent stellen gar das Existenzrecht des jüdischen Staates infrage.

Dass dies bei der Linkspartei sogar beschämende 28 Prozent sind, ist ein politisch und historisch geradezu disqualifizierendes Urteil für diese Gruppierung. Zwar ist die Israel-Feindlichkeit vieler Deutscher nur teilweise deckungsgleich mit antisemitischen Neigungen; bestürzend ist sie dennoch. Und unverständlich.

Nehmen wir den aktuellen Gaza-Konflikt. Tausende sind in Deutschland auf die Straßen gegangen, um Israel für seine Militäroffensive zu verdammen. In Duisburg bricht die Polizei gar eine Privatwohnung auf und beschlagnahmt israelische Fahnen, um einen wütenden Mob proislamischer Hamas-Sympathisanten zu besänftigen - ein in mehrfacher Hinsicht unerträglicher Vorgang.

Das Leid unschuldiger Zivilisten, der Tod vor allem von Kindern als Folge der Kämpfe ist entsetzlich und für jeden, der ein Herz hat, zu Tränen rührend.

Doch muss die Frage erlaubt sein, wo diese Tausenden Demonstranten waren, als militante Palästinenser in den vergangenen Jahren mehr als 11 000 Raketen allein auf Südisrael abgefeuert haben. Und die Frage muss erlaubt sein, warum die Palästinenser, ja warum die ganze arabische Welt gleichgültig zusieht, wenn die Hamas Raketen aus Schulen abfeuert.

In südisraelischen Städten wie Sderot leben die Menschen in ständiger Angst, Dutzende Tote hat es bereits gegeben, Bushaltestellen sind Luftschutzbunker, in die Menschen rennen, wenn aus den allgegenwärtigen Lautsprechern die alarmierenden Worte dringen: "Tseva adom, tseva adom!" "Code Rot" heißt - eine Rakete ist im Anflug, es bleiben 15 Sekunden zum Überleben. In Sderot ist das Anschnallen im Auto verboten - Losschnallen kostet zu viel Zeit. Leben wird zum Russischen Roulette - viele Kinder sind zutiefst traumatisiert.

Israel solle mit der Hamas verhandeln, fordern viele. Worüber soll Jerusalem denn mit einer Organisation verhandeln, deren ideologische Existenzgrundlage das Streben nach der Vernichtung Israels ist? Und dann die Forderungen nach einem Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten: Israel hat sich aus dem Südlibanon zurückgezogen - die Hisbollah setzte nach und feuerte so lange Raketen auf Nordisrael, bis sich Israel wehrte. Israel zog sich aus dem Gazastreifen zurück - die Hamas setzte sogleich nach und schoss Raketen ab. In der archaisch strukturierten Psyche islamischer Fundamentalisten sind Kompromisse Schwäche, dient ein Waffenstillstand - eine Hudna - nur zum Sammeln eigener Kräfte für einen neuen Vernichtungsangriff. Welche Alternative zu einer Militäroffensive bleibt Israel also, um diese tödliche Bedrohung abzuwenden?

Die grassierende Vorstellung, Israel sei in der Region der Goliath, der sich anschicke, den David zu zertreten, ist grotesk. Zunächst: Die in Gaza kämpfenden Milizen von Hamas, Dschihad, Teilen der Fatah und der Volksbefreiungsfront können rund 25 000 Bewaffnete einsetzen. Zudem erfährt die Hamas massive Unterstützung durch den Iran und andere islamische Staaten. Ähnlich wie der Libanonkrieg 2006 ist auch der Gazakonflikt längst ein Stellvertreterkrieg zwischen Israel und dem Regime in Teheran, das Israel den Tod geschworen hat.

Gleich in der Nacht nach der Gründung des jüdischen Staates am 14. Mai 1948 fielen die Armeen von fünf arabischen Staaten in Israel ein. Und in mehreren weiteren Kriegen musste sich Israel gegen eine gewaltige Überlegenheit seiner Haut wehren. Wer da von Aggressivität spricht, hat ein kurioses Verhältnis zur Realität.

Die den Öfen von Auschwitz und Treblinka entronnenen Juden haben Palästina, Teil der Konkursmasse des Osmanischen Reiches, auch nicht besetzt - das waren die Briten. Israel entstand aufgrund eines klaren Mandates des Völkerbundes von 1922. Der heutige Staat Israel bedeckt gerade einmal 18 Prozent dieses Mandats-Territoriums. Der Rest besteht vor allem aus Jordanien sowie dem Palästinensischen Autonomiegebiet im Westjordanland und dem Gazastreifen. Der Völkerbund gab den entwurzelten Juden mit dem dürren Landstreifen jenes Gebiet, auf dem bis zur Römerzeit ohnehin jüdische Reiche gestanden hatten. Die einwandernden Juden verdrängten in Palästina auch keinen arabischen Staat - es gab keinen. Die palästinensischen Flüchtlingswellen setzten erst als Folge der Kriege gegen Israel ein. Wobei vergessen wird, dass auch rund 800 000 Juden aus arabischen Staaten vertrieben wurden.

2000 Jahre lang versprachen sich die Juden in der Diaspora: "Nächstes Jahr in Jerusalem." Nicht jeder Angriff Israels in Gaza ist akzeptabel. Doch die Deutschen, denen es fast gelang, das jüdische Volk zu vernichten, sollten mehr Verständnis dafür aufbringen, wenn sich Juden gegen ihre Vernichtung wehren.


Unser Autor, Abendblatt-Chefkorrespondent Thomas Frankenfeld, ist Diplompolitologe und Oberst der Reserve.