Am 50. Jahrestag des Aufstandes der Tibeter liegen bei den Parteikadern in der Hauptstadt die Nerven blank.

Peking. Martialisch ausgerüstete Polizeitruppen patrouillieren mit Sichtblenden, Schlagstöcken und Helmen durch die Innenstadt Lhasas, haben die großen Klöster abgeriegelt, und postieren sich an Kreuzungen und Plätzen vor dem Potalla-Palast. Über tibetische Informanten dringen ebenso beklemmende Schilderungen aus der zweitgrößten Stadt Shigazi nach außen.

Vor dem heutigen Jahrestag, an dem vor einem halben Jahrhundert Tibets blutig niedergeschlagener Volksaufstand gegen die chinesische Oberherrschaft begann, demonstriert Peking mit massiver Präsenz und Aufstockung von Polizei und Militär seine Kontrolle des Hochplateaus gegen innere wie äußere Feinde. "Wir haben unsere Grenztruppen verstärkt und die Kontrollen verschärft, um Sabotageakte der Dalai-Lama-Clique zu verhindern", zitierte Xinhua gestern den für Grenzsicherheit zuständigen politischen Kommissar Fu Hongzu. Am stärksten bewacht wird Tibets Grenze zu Nepal - neben Indien, Bhutan und Birma.

Seit Anfang März haben Tibets Behörden jeden Zugang für Korrespondenten und für touristische Besucher gesperrt. Ausländer als Zeugen sind unerwünscht, was immer dort passiert. De facto steht Lhasa unter Ausnahmerecht.

Tibets Regierungspräsident Quangba Puncog schloss dennoch vereinzelte Protestversuche nicht aus. Vorfälle, bei denen "drei bis fünf Leute auf die Straße gehen und Parolen rufen, sind möglich" sagte er . "Aber Unruhen wie letztes Jahr werden sich nicht wiederholen. Wir haben Vorsorge getroffen."

Gleich zwei Daten in dieser Woche machen die Behörden so nervös. Heute wird weltweit des 50sten Jahrestages des tibetischen Aufstands gedacht, der am 10. März 1959 in Lhasa begann und in dessen Folge der Dalai Lama am 17. März ins indische Exil fliehen musste. Am Sonnabend jähren sich zugleich die im vergangenen Jahr am 14. März eskalierten antichinesischen Unruhen. Sie führten zu Ausschreitungen mit Toten, Hunderten Verletzten und meist Chinesen gehörenden abgebrannten Häusern und mehr als 1000 geplünderten Läden.

Gegen den Dalai Lama gehen Chinas Behörden seit Ende Februar mit einer landesweiten Denunziationskampagne in ihren Medien und politischen Theateraufführungen in eine neue Offensive. Immer schon sei der Dalai Lama die Inkarnation des Bösen gewesen. Er habe bis zu seiner Flucht 1959 ins Exil "mit seinen Lamas als grausamer Feudaldespot über Tibet geherrscht" und wolle dieses "Sklavenhaltersystem" nun wieder einführen. Eine tendenziöse Großausstellung im Pekinger Minderheitenpalast zu "50 Jahren demokratischer Reform" seit 1959, wurde so schnell zusammengeschustert, dass englische und chinesische Untertexte nicht übereinstimmen und viele Informationen der offiziellen Linie widersprechen. So finden sich in der auf drei Hallen verteilten Ausstellung verstreute Hinweise, die ganz gegen den Willen Pekings nur einen Schluss zulassen. Die Rebellion 1959 war ein echter Volksaufstand. 90 000 Tibeter waren an ihr beteiligt, heißt es plötzlich an einer Stelle, ebenso wie 1486 der 2676 Klöster. Noch absurder ist, dass es in der Ausstellung nur einen englischen Hinweis auf die in Tibet wie in China wütende grauenvolle Kulturrevolution Maos gab.

Die Ausstellung wurde für einen besonderen Propagandacoup arrangiert. Tibets Regionalparlament musste im Januar einen neuen Feiertag einführen. Jeden 28. März müssen die Tibeter nun ihre "Befreiung" von der Sklaverei des Dalai Lama feiern.

Chinas Führer fahren in der sich verhärtenden Tibetfrage Vorwurf nach Vorwurf auf. Außenminister Yang Jiechi warf dem Dalai Lama jetzt vor, ein "politischer Exilant" zu sein, der ein unabhängiges "Großtibet" aus den Provinzen Tibet, Sichuan, Gansu, Yunnan und Qinghai errichten wolle, das so groß wie ein "Viertel der chinesischen Landmasse " sei. Der Dalai Lama wolle Chinas Armee und alle anderen dort Lebenden bis auf die Tibeter vertreiben. Europäische Führer, wie die von Deutschland und Frankreich, hätten ihn durch ihre Treffen unterstützt. "Würden diese Staaten es sich gefallen lassen, wenn jemand ein Viertel ihres Territoriums abspalten wollte?", fragte der Minister rhetorisch. Er erinnerte Deutschland, nicht zu vergessen, wie China einst dessen Wiedervereinigung unterstützt hat. Unter der Überschrift "Der Westen unterstützt den Dalai Lama, politische Subversion zu betreiben" prangerte die Zeitung "Global Times" die Absicht von fast 1000 Städten, Gemeinden und Landkreisen in ganz Deutschland an, heute auf ihren Rathäusern die Flagge Tibets zu hissen, um Solidarität zu bekunden. In der Tibetfrage liegen derzeit die Nerven Pekings blank.