Mindestens 26 Menschen sterben bei Anschlagsserie in der Hauptstadt Kabul, 57 weitere werden verletzt.

Kabul. Einen Tag vor dem Afghanistanbesuch des neuen US-Sondergesandten Richard Holbrooke haben die Taliban die Hauptstadt Kabul mit einer koordinierten Anschlagsserie überzogen. Die Islamisten griffen kurz hintereinander mehrere Regierungseinrichtungen an. Mindestens 26 Menschen wurden getötet und 57 verletzt, als die Taliban-Kämpfer gestern Morgen das Justizministerium in der Nähe des Präsidentenpalastes stürmten und fast zeitgleich sich im Norden der Stadt zwei Selbstmordattentäter im Gebäude der Gefängnisverwaltung in die Luft sprengten. Bis zum frühen Abend gelang es den offenbar überrumpelten Sicherheitskräften nicht, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. In den Straßen herrschte Chaos.

Es war einer der unverfrorensten Angriffe der Taliban seit deren Sturz im Jahr 2001 durch die US-geführten Truppen. Mitten im streng bewachten Zentrum Kabuls töteten die Extremisten beim Sturm auf das Justizministerium zwei Regierungsmitarbeiter und drei Wachleute, wie die Polizei mitteilte. Vier Angreifer wurden im Innern und ein weiterer außerhalb des Gebäudes erschossen, bevor sie ihre Sprengstoffgürtel zünden konnten. Einen sechsten Taliban-Kämpfer töteten die Polizisten vor dem Bildungsministerium.

Noch Stunden später waren Schüsse aus dem Justizministerium zu hören, in dem sich offenbar Angreifer verschanzten. Polizisten kletterten mithilfe von Leitern auf das Dach des Ministeriums, um durch die Fenster in die oberen Etagen einzudringen.

In der nördlichen Kabuler Vorstadt Chair Chana gelangten derweil zwei Selbstmordattentäter in das Gebäude der Gefängnisverwaltung. Sie rissen mindestens acht Polizisten und mehrere Zivilisten mit in den Tod, als sie sich in die Luft sprengten, wie ein hochrangiger Polizist sagte. Er fügte hinzu, die Angriffe seien koordiniert gewesen. Ein dritter Angreifer habe fliehen können.

Die Angriffe seien Vergeltungsschläge für die Behandlung von inhaftierten Aufständischen, zitierte ein privater Fernsehsender einen Taliban-Sprecher.

Die Anschlagsserie, die von der Bundesregierung und der Nato verurteilt wurde, belegt einmal mehr die instabile Sicherheitslage in Afghanistan. Neben den Angriffen in Kabul wurden gestern in der südlich der Hauptstadt gelegenen Provinz Logar vier afghanische Soldaten durch einen am Straßenrand versteckten Sprengsatz getötet sowie bei einem weiteren Vorfall in der Region ein französischer Soldat und ein afghanischer Übersetzer.

Präsident Hamid Karsai dürfte damit wenige Monate vor den Wahlen in Afghanistan weiter unter Druck geraten. Mit Spannung wird auch deshalb Holbrookes Besuch erwartet. In den vergangenen Tagen machte sich der Sondergesandte von US-Präsident Barack Obama zunächst ein Bild der Lage in Pakistan. Gestern besuchte er die Grenzregion zu Afghanistan, wo viele Taliban-Kämpfer vermutet werden. Obama hat angekündigt, die US-Truppen in der Region aufzustocken, da er hier - und nicht etwa im Irak - die größten Sicherheitsdefizite sieht. Bislang stellen die Amerikaner etwas mehr als die Hälfte der gut 70 000 Soldaten starken westlichen Militärtruppe in Afghanistan. Die Bundeswehr ist mit mehr als 3500 Soldaten am Hindukusch im Einsatz.