Der seit 15 Jahren gesuchte Ex-General Ratko Mladic wurde in Serbien verhaftet. Der 68-Jährige präsentierte sich als schwacher, kranker Mann.

Hamburg. Der Juli 1995 markiert den moralischen Tiefpunkt der europäischen Nachkriegsentwicklung. Fünf Jahrzehnte lang hatten Politiker aller seriösen Parteien und aller Länder inbrünstig geschworen, dass sich ungeheuerliche Verbrechen wie jene des Nazi-Regimes niemals auf dem Kontinent wiederholen sollten. Niemals wieder sollte es die planmäßige Vernichtung Andersgläubiger, sollte es Todeslager und unmenschliche Selektionen wie an der Rampe in Auschwitz geben.

Doch dann kam der Juli 1995 mit dem Massaker von Srebrenica, bei dem eine bosnisch-serbische Soldateska in die Uno-Schutzzone eindrang, den männlichen Teil der Bevölkerung herausselektierte und in Massenhinrichtungen ermordete.

Rund 8000 Jungen, Männer und Greise kamen dabei ums Leben. Befohlen hatte dieses schlimmste Verbrechen der europäischen Nachkriegsgeschichte der Militärchef der bosnischen Serben, Generaloberst Ratko Mladic. Seine Festnahme in Serbien nach gut 15-jähriger Flucht vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag (ICTY) öffnet, wie Serbiens Präsident Boris Tadic gestern in einer eilig anberaumten Pressekonferenz betonte, "die Türen für die Versöhnung auf der ganzen Balkanhalbinsel". Serbien schließe damit ein Kapitel seiner Geschichte und befreie sich von einer schweren Last. Diese Last bestand aber nicht nur moralisch - die Europäische Union hatte die Verhaftung von Mladic zur Bedingung für eine mögliche Mitgliedschaft Serbiens gemacht.

Der 1942 geborene Berufssoldat Mladic gilt vielen Serben noch immer als Held, weil er in den jugoslawischen Unabhängigkeitskriegen, vor allem im Bosnien-Krieg 1992-95, dem eine Viertelmillion Menschen zum Opfer fielen, mit Gerissenheit und Brutalität gegen Kroaten und Bosnier gekämpft hatte. Er wird vom Haager Tribunal auch mitverantwortlich gemacht für die mehr als 10.600 Toten, die die grausame 1425-tägige Belagerung der bosnischen Hauptstadt Sarajevo durch die Serben ab dem 5. April 1992 forderte.

Mladics infernalischer Partner war der Führer und Präsident der bosnischen Serben, Radovan Karadzic. Dieser Autor von zarten Kindergedichten und gelernter Psychiater mit dem Spezialgebiet Depressionen war neben Mladic die treibende Kraft bei den entsetzlichen "ethnischen Säuberungen" in Bosnien und auch beim Massaker von Srebrenica. Karadzic wurde 2008 gefasst und sitzt im Untersuchungsgefängnis im Haager Stadtteil Scheveningen ein - wo nun bald auch Mladic sitzt.

"Auf nach Potocari! Dies ist der Tag der Rache!", hatte Mladic seine Truppe angefeuert, die im Juli 1992 nach Srebrenica eingedrungen war. Allein im Vorort Potocari drängten sich rund 25 000 der 60 000 bosnischen Flüchtlinge in Srebrenica. Die Uno hatte die Stadt und das Umland zu einer Schutzzone erklärt. Doch die schlecht bewaffneten und von der Uno militärisch nicht unterstützten 450 niederländischen Soldaten des "DutchBat-III"-Bataillons leisteten den 2000 gut bewaffneten Serben keinen Widerstand. Diese hatten gedroht, die Flüchtlinge mit Artillerie auszulöschen und die als Geisel genommenen Uno-Soldaten zu ermorden. Während seine Soldaten bereits die Bosnier für den geplanten Massenmord zusammentrieben, wurde Mladic beobachtet, wie er Süßigkeiten an Kinder verteilte, ihnen über den Kopf strich und sie beruhigte. Einigen Kindern wurden später vor den Augen ihrer Mütter die Kehlen durchgeschnitten. Am 12. Juli, einen Tag nach dem Serben-Einmarsch, führte Mladic vor laufenden Kameras den hilflosen Kommandeur des Blauhelm-Kontingents, Oberstleutnant Thom Karremans, vor und prostete ihm mit einem Glas Slibowitz zu.

Niederländische Militärs und Politiker versuchten lange, das Versagen ihres Militärs zu vertuschen. Doch als im April 2002 ein vernichtender Untersuchungsbericht des Instituts für Kriegsdokumentation zu Srebrenica veröffentlicht wurde, trat die Regierung von Ministerpräsident Wim Kok zurück.

Ratko Mladic, der "Schlächter von Srebrenica", tauchte unter. Jetzt spürte ihn die Polizei nach einem anonymen Hinweis auf dem Bauernhof eines Vetters in Lazarevo, einem Dorf im Norden Serbiens, auf. Obwohl er zwei geladene Gewehre bei sich hatte, ließ er sich widerstandslos festnehmen. Der 68-Jährige lebte dort jahrelang unter dem falschen Namen Milorad Komadic.

Mladic wurde zur Vernehmung nach Belgrad gebracht, die am späten Abend zunächst abgebrochen werden musste. Der Ex-General präsentierte sich als schwacher, kranker Mann. Nach eigener Aussage habe er vor einem Jahr einen Schlaganfall erlitten. Sein Anwalt Milos Saljic sagte, Mladic sei "psychologisch und körperlich" in schlechter Verfassung. "Es ist schwierig, irgendeine Art von Verständigung mit ihm aufzubauen." Dennoch soll Mladic spätestens am Mittwoch an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt werden.