In den kommenden Tagen müssen die Verhandlungsführer der schwarz-rot-gelben Koalition Streitfragen klären und Ministerposten vergeben.

Brüssel. Genau 535 Tage nach den Parlamentswahlen in Belgien haben sich Sozialisten, Christdemokraten und Liberale im Grundsatz auf eine Regierung geeinigt. Neuer Premierminister wird der Sozialdemokrat Elio di Rupo (60). Er ist seit 1974 der erste Politiker aus dem Französisch sprechenden Süden Belgiens an der Spitze der Regierung. Die Besetzung des Kabinetts ist noch offen. Es soll höchstens 15 Minister geben. Kein Land in der Welt brauchte bisher länger für eine Regierungsbildung als das Königreich im Herzen Europas mit gut 10 Millionen Bürgern.

Nach fast als anderthalb Jahren haben sich die zerstrittenen Lager in Belgien nun auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Die Grundsatzeinigung vom Mittwochabend wollte der künftige Ministerpräsident Elio Di Rupo nach am Donnerstag König Albert II. vorlegen, wie ein Sprecher Di Rupos mitteilte. In den kommenden Tagen müssen die Verhandlungsführer der schwarz-rot-gelben Koalition letzte Streitfragen klären und die Ministerposten vergeben. Die Vereidigung des neuen Kabinetts ist für den Beginn der kommenden Woche vorgesehen.

Belgien war am Donnerstag genau 536 Tage ohne Regierung – ein Rekord in der jüngeren Weltgeschichte. Das Land wurde seit der Wahl im Juni 2010 vom abgewählten christdemokratischen Ministerpräsidenten Yves Leterme nur geschäftsführend geleitet. Die größte Hürde war die Einigung auf einen Sparhaushalt und einschneidende Reformen, um das Land aus der Schuldenkrise zu ziehen. Erst am Wochenende rauften sich die Koalitionäre zusammen, nachdem die Ratingagentur Standards & Poor's die Bonität Belgiens herabgestuft hatte.

Flämische Separatisten bleiben außen vor

Der 60 Jahre alte Sozialdemokrat Di Rupo wird der erste Regierungschef seit 1974, der aus dem Französisch sprechenden Landesteil im Süden stammt. Ein Großteil der Niederländisch sprechenden Flamen im Norden begegnen dem Wallonen mit großem Misstrauen. Die tiefe Kluft zwischen beiden Landesteilen wird mit der neuen Regierung daher nicht überwunden.

Eigentlicher Sieger der Wahl war die separatistische Neue Flämische Allianz (N-VA) von Bart De Wever. Doch sie gehört der künftigen Regierung nicht an, weil sie jeden Kompromissvorschlag ablehnte. De Wever erklärte, er halte Di Rupo für keinen legitimen Regierungschef.

Das anderthalbjährige Ringen um einen Ausweg aus der tiefen Staatskrise hatte noch vor anderthalb Wochen vor dem abermaligen Scheitern gestanden. Wegen der Blockade in den Haushaltsverhandlungen – Belgien muss im kommenden Jahr 11,3 Milliarden Euro einsparen – hatte Di Rupo schon das Handtuch geworfen und den König um seine Entlassung gebeten. Albert II. verlangte jedoch einen letzten Kraftakt, der letztlich zum Erfolg führte. Bei einem Abbruch der Gespräche wäre das Land zum nächsten großen Sorgenkind der Eurozone geworden, die Zinsen sind bereits auf bedrohliche Höhen gestiegen.

Schwarz-rot-gelbe Koalition

An Di Rupos Regierung sind Christdemokraten, Sozialisten und Liberale aus beiden Landesteilen beteiligt – schwarz, rot, gelb, wie die Farben der Nationalflagge. Dem Kabinett sollen maximal 15 Minister angehören. Über die Postenverteilung wurde am Donnerstag noch verhandelt.

Auch wenn die flämischen Separatisten Di Rupo nicht akzeptieren, gibt es Aussicht auf eine Beruhigung des erbitterten Sprachenstreites. Der hatte im Frühjahr 2010 zum Scheitern der Regierung Leterme geführt. Inzwischen gelang es Di Rupo, mit den verfeindeten Lagern einen Kompromiss für eine Staatsreform auszuhandeln. Er regelt den Dauerstreit über den Status der flämischen Gemeinden mit hohem frankofonen Anteil um Brüssel herum. Und er stärkt die Autonomie beider Landesteile gegenüber der Zentralregierung. (abendblatt.de/dpa)