Vorbilder Kenia und Aristophanes: Senatorin Marleen Temmerman weiß, was Frauen tun können. Die Anhängerin des Sex-Streiks ist Frauenärztin.

Brüssel. In Belgiens Betten soll ab sofort nur noch züchtig geruht werden, damit das Land zur Besinnung kommt und endlich eine neue Regierung erhält: Zu einem „Sex-Streik“ hat Senatorin Marleen Temmerman ihre Geschlechtsgenossinen aufgerufen, um den Druck zur Lösung der sich dahinschleppenden politischen Krise zu erhöhen. „Wir haben uns gefragt, was die Frauen tun können“, erläuterte die Parlamentarierin dieser Tage im flämischen Gent den Vorstoß für die erzwungene Auszeit im Schlafzimmer – Vorbilder dafür gibt es auch andernorts und sogar in der Antike.

Obwohl die Idee gar nicht so ernst gemeint war, erntet Temmerman nach ihren Worten viel Zuspruch in Anrufen und E-Mails. „Warum nicht?“, urteilt auch Florence Willems, eine Passantin in Brüssel. „Wir wissen nicht, was wir sonst tun sollen, um eine Regierung zu bekommen.“ Belgien steckt seit April 2010 in der Krise, als die Koalition unter Yves Leterme am Streit zwischen flämischen und französischsprachigen Belgiern zerbrach. Nach den Neuwahlen im Juni blieben alle Anläufe für eine neue Regierung und die damit zusammenhängende Staatsreform erfolglos. Zankäpfel sind die künftige Machtfülle der jeweiligen Gliedstaaten und die Finanzen, der Status der Hauptstadt und die Minderheitenrechte von Frankophonen in Flandern. König Albert II. schickt seit Monaten immer neue Vermittler in die Parteien-Arena, nur um sich hinterher von ihrem Scheitern berichten zu lassen.

Die Wartezeit zwischen Wahlen und Regierungsbildung hat jetzt schon den europäischen Rekord eingestellt, bald könnte der Weltrekord fallen, den noch der Irak hält. Genervt von der Blockade gingen Ende Januar über 30.000 Menschen in Brüssel auf die Straße. Einen originelleren Protest veranstaltete der Schauspieler Benoît Poelvoorde. Nach seinem Willen soll der Frust der Bürger bald buchstäblich auf ihren Gesichtern abzulesen sein: Poelvoorde rief die Männer auf, sich bis zu einer neuen Regierung nicht mehr zu rasieren.

Davon ließ sich Senatorin Temmerman inspirieren, auf einer Reise in Afrika. „Ich war in Kenia, als Benoît Poelvoorde seine Idee vorgeschlagen hat.“ Ihre afrikanischen Gesprächspartnerinnen brachte sie dann auf den Gedanken, den Männern nachzuziehen. „Sie haben uns mit der größten Ernsthaftigkeit daran erinnert, dass sie 2009 zu einem ,Sex-Streik’ aufgerufen hatten“, sagt Temmerman. Damals litt Kenia unter blutigen politischen Unruhen, die Männer sollten zur Vernunft gebracht werden. „Keine wissenschaftliche Studie wird jemals die Wirkung des Aufrufs bestätigen können, aber nach einigen Wochen hatte Kenia eine stabile Regierung“, erzählt die Belgierin mit einem Lächeln.

Dabei ist die Idee ein echter Klassiker. Schon im antiken Griechenland baute der Dichter Aristophanes im Schauspiel Lysistrata einen Sex-Boykott ein. Ziel der Frauen damals: das Ende des Peloponnesischen Krieges. Und vor fünf Jahren organisierten kolumbianische Frauen einen Streik der „gekreuzten Beine“, um Gangster zum Abgeben ihrer Waffen zu drängen.

Auch wenn der Hintergrund in Belgien wesentlich friedlicher ist: Eine voll funktionsfähige Regierung scheint noch weit. Ob der neue königliche Vermittler und kommissarische Finanzminister Didier Reynders ernsthaft an einen Erfolg seiner Mission glauben könne, fragte ein Politologe in der Zeitung „Le Soir“: Reynders sei sehr intelligent, die Antwort daher „nein“. Ob in dieser Situation ein „Sex-Streik“ tatsächlich weiterhilft, bezweifelt nicht zuletzt Temmerman selbst. „Ich glaube nicht, dass viele Frauen die Abstinenz praktizieren werden, noch dass das überhaupt eine Auswirkung auf die Verhandlungen hätte“, gesteht die Politikerin, die auch Gynäkologin ist. Sie persönlich hätte aber im Moment keine Probleme mit dem „Streik“: „Mein Mann ist zur Zeit in Kenia.“ (AFP)