Vielen dürfte die Forderung der SPD-Politikerin Hannelore Kraft bekannt vorkommen. Außenminister Guido Westerwelle forderte jüngst ähnliches.

Berlin. Kaum hat sich der von FDP-Chef Guido Westerwelle ausgelöste Wirbel um Hartz IV etwas beruhigt, erhält die Debatte neue Nahrung. Diesmal allerdings nicht vom Vizekanzler und Außenminister, der gerade dienstlich durch Südamerika tourt. Es war die mitten im Landtagswahlkampf stehende nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende und Spitzenkandidatin Hannelore Kraft, die am Wochenende die Diskussion neu anheizte. Und das ausgerechnet mit einem Vorschlag, der dem viel gescholtenen Westerwelle bekannt vorkommen muss. Hatte er noch Hartz- IV-Empfänger zum Schneeschippen abkommandieren wollen, will Kraft sie unter anderem zum Straßenkehren einsetzen.

Wie Westerwelle sprach sich auch Kraft dafür aus, Langzeitarbeitslose mit gemeinnützigen Arbeiten zu beschäftigen. „Diese Menschen können zum Beispiel in Altenheimen Senioren Bücher vorlesen, in Sportvereinen helfen oder Straßen sauber halten“, sagte die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende dem „Spiegel“. Die SPD also auf FDP-Linie? Und das, obwohl Parteichef Sigmar Gabriel die Liberalen erst in der vergangenen Woche unter anderem mit Blick auf die Hartz-IV-Debatte als „radikale Partei“ und „verfassungsfeindlich“ gebrandmarkt hatte? Mitnichten: Nur bei vordergründiger Betrachtung stimmen Kraft und Westerwelle überein.

Westerwelle hatte vor 14 Tagen der „Bild am Sonntag“ gesagt, junge und gesunde Empfänger von Sozialleistungen sollten zu zumutbarer Arbeit verpflichtet werden – etwa zum Schneeschippen. „Wer sich dem verweigert, dem müssen die Mittel gekürzt werden.“ Der Vorschlag schmolz in der Koalition ähnlich schnell dahin wie der Schnee in den Tagen nach dem Vorstoß. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) reagierte kühl: Solche Maßnahmen gäben vor allem jungen Menschen keine Perspektive.

Während Westerwelle Arbeitsverweigerer ins Visier nahm, hat Kraft jene im Blick, denen Arbeit verweigert wird. Zwar gebe es Missbrauch, räumte sie ein. „Aber die meisten Hartz-IV-Empfänger wollen arbeiten. Unter ihnen sind bundesweit rund 1,2 Millionen Menschen mit besonderen Handicaps. Vor allem diese Menschen brauchen ein neues Angebot, das ihnen eine würdevolle Perspektive gibt.“ Rund ein Viertel der Langzeitarbeitslosen werde nie mehr einen regulären Job finden, rechnete Kraft vor. Von „spätrömischer Dekadenz“, mit der Westerwelle die Bezieher von Sozialleistungen in Verbindung und die SPD sowie viele andere in Rage gebracht hatte, war bei ihr nicht die Rede. Vielmehr bescheinigte sie dem FDP-Chef: „Westerwelle hat in unerträglicher Weise Hartz-IV-Empfänger diffamiert.“

Gleichwohl war die Empörung über die SPD-Politikerin groß. „Hannelore Kraft geht Guido Westerwelle auf den Leim und macht Wahlkampf für die FDP“, wetterte in Düsseldorf Grünen-Landeschefin Daniela Schneckenburger. FDP-Generalsekretär Christian Lindner befand, dass die SPD erstmals einen Erneuerungsbedarf im Sozialstaat eingestanden habe. Das Gedächtnis des FDP-Politikers reichte freilich zu kurz. Denn dass es Reformbedarf an den von Rot-Grün beschlossenen Hartz-Reformen gibt, ist unter den Genossen längst unumstritten. „Die Arbeitsmarktreformen haben in weiten Teilen der Arbeitnehmerschaft Furcht vor sozialem Abstieg durch Arbeitslosigkeit ausgelöst“, hieß es zum Beispiel selbstkritisch im Leitantrag, den der SPD-Parteitag Mitte November in Dresden fast einstimmig annahm. „Die SPD hat in ihren Kernkompetenzen Arbeit und Soziales deutlich an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren.“

Ob der Kraft-Vorstoß geeignet ist, Vertrauen zurückzugewinnen, muss sich erst noch zeigen. Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen, betonte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in „Spiegel online“ vorsichtshalber, dass es sich natürlich um ein „freiwilliges Angebot“ handeln müsse.