Der Diktator selbst droht mit Gewalt gegen Hilfsaktionen der EU. Die Rebellen in Libyen sind enttäuscht vom Friedensplan. Westerwelle skeptisch bei Einsatz.

Tripolis/London/Berlin. Aus Frankreich kommt scharfe Kritik an der Strategie der Nato in Libyen. Das Bündnis lässt nach Ansicht von Außenminister Alain Juppé nicht genügend Angriffe gegen die Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi fliegen. Es werde zu wenig getan, um die schweren Waffen von Machthaber Gaddafi zu zerstören und die Zivilbevölkerung zu schützen, sagte Juppé dem Radiosender France Info. Das libysche Regime droht unterdessen, mögliche Hilfsaktionen der Europäischen Union für die Stadt Misrata mit Gewalt zu beantworten. „Die Nato wollte die militärische Führung der Operationen übernehmen, wir haben das akzeptiert. Sie muss jetzt ihre Rolle spielen“, forderte Juppé und spielte damit auf den anfänglichen Widerstand Frankreichs gegen die Nato-Führung an. Derzeit mache die Nato den Job „nicht ausreichend“. Als Beispiel für Handlungsbedarf nannte Juppé die Lage in Misrata östlich der Hauptstadt Tripolis. Die Stadt in der Hand der Aufständischen wird seit Wochen durch Gaddafis Truppen belagert.

Nato-Chef Rasmussen hatte erst am Montag mitgeteilt, es gebe derzeit „keine Erwägungen für einen robusteren Militäreinsatz“. Die Zahl der Luftschläge orientiere sich am Schutz der Zivilbevölkerung: „Wenn es nötig sein sollte, die Zahl der Flüge zum Schutz der Bevölkerung zu erhöhen, dann werden wir das tun.“ Frankreich ist nach den USA der größte Truppensteller für den Libyeneinsatz.

Die staatliche libysche Nachrichtenagentur Jana meldete, das Außenministerium habe der EU und dem Weltsicherheitsrat mitgeteilt, dass man bewaffnete Zivilisten auf jeden hetzen werde, der versuche, sich der Stadt Misrata „unter einem humanitären Vorwand“ zu nähern. Außer dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond sei es niemandem gestattet, Hilfe zu leisten, hieß es. In Misrata gibt es seit Wochen weder Strom noch frisches Trinkwasser.

Die Europäische Union plant derzeit, mit Soldaten – möglicherweise auch mit Bodentruppen – humanitäre Hilfseinsätze in Libyen zu schützen. Sie kann aber nur Truppen in Richtung Libyen schicken, wenn zuvor das Uno-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) darum bittet. Die offizielle Anfrage wird diese Woche erwartet. Innerhalb der EU wird der Hilfseinsatz von einem Waffenstillstand in Libyen abhängig gemacht.

Auch deutsche Soldaten könnten den Transport von Hilfslieferungen an Häfen begleiten oder auch Flüchtlinge betreuen. Die EU-Außenminister wollten an diesem Dienstag in Luxemburg über den möglichen Einsatz beraten. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte im Deutschlandfunk: „Deutschland beteiligt sich nicht an einem Krieg in Libyen, aber wir sind natürlich bereit die Folgen des Krieges für die Menschen mit zu lindern.“ Die Aufständischen hatten einen Libyen-Friedensplan der Afrikanischen Union abgelehnt, weil dieser nicht das Abdanken und die Ausreise der Gaddafi-Familie vorsieht. Der Vorsitzende des Übergangsrates in Bengasi, Mustafa Abdul Dschalil, hatte gleichzeitig der internationalen Allianz für den Schutz der libyschen Zivilisten gedankt. Er erklärte: „Wenn diese Allianz nicht eingegriffen hätte, dann hätte uns Muammar al-Gaddafi komplett ausgelöscht.“

Libyen droht nach den Worten des früheren Außenministers Mussa Kussa ein neues Somalia zu werden. Alle beteiligten Konfliktparteien müssten verhindern, dass es zu einem vergleichbaren Bürgerkrieg komme, sagte Kussa in einem Beitrag der BBC. Damit meldete er sich erstmals öffentlich zu Wort, nachdem er sich nach Großbritannien abgesetzt hatte. Die Einheit von Libyen sei Voraussetzung für jede Einigung, sagte Kussa. „Die Lösung in Libyen wird von den Libyern selbst kommen, durch Diskussionen und einen demokratischen Dialog.“ Kussa betonte, er habe keinen Kontakt mehr zur Regierung von Muammar Gaddafi. Er habe sein Amt niedergelegt, „als die Libyer begannen, die Sicherheit und Stabilität zu verlieren“. Die schottische Polizei hatte Kussa in der vergangenen Woche über den Anschlag auf ein US-Passagierflugzeug 1988 bei Lockerbie befragt. (dpa/AFP/rtr)