Vier Länder stehen auf der Bewerberliste, darunter auch die Türkei. Kritiker warnen vor Montenegro als „russischer Kolonie“.

Brüssel. Die Regierung Montenegros hat die Einstufung als Beitrittskandidat für die Europäische Union (EU) begrüßt und weitere Reformen in Aussicht gestellt. „Die Entscheidung der EU-Chefs ist eine große Ermutigung für Montenegro und eine Bestätigung unserer Bemühungen“, sagte Vize-Regierungschef Igor Luksic der Nachrichtenagentur dpa in Podgorica. „Sie ist aber auch eine Herausforderung, weil wir noch viel zu tun haben auf allen Gebieten, die von Brüssel genannt worden sind“, sagte Luksic weiter.

Dem erst 2006 unabhängig gewordenen Balkanland wird damit bestätigt, mittelfristig die Aufnahmekriterien der Europäischen Union erfüllen zu können. Montenegro gehörte nach dem Zerfall von Jugoslawien zu Serbien. In einem Referendum zur Frage der staatlichen Unabhängigkeit im Frühjahr 2006 stimmten 55,5 Prozent für die Loslösung von Serbien.

Derzeit hat die Europäische Union mit der Türkei, Kroatien, und Island vier Beitrittskandidaten. Dieser Status wird von der EU erst dann vergeben, wenn die beitrittswilligen Länder die sogenannten Kopenhagener Kriterien erfüllen. Diese definieren die politischen und wirtschaftlichen Mindestanforderungen für eine EU-Mitgliedschaft. Brüssel hatte wiederholt tief greifende Reformen bei Polizei, Justiz und den Medien ebenso angemahnt wie den verstärkten Kampf gegen die weit verbreitete Korruption und die organisierte Kriminalität.

Montenegro ist etwas kleiner als Schleswig-Holstein und will auf dem Balkan der Musterschüler der EU werden. Doch große Teile der Opposition sehen in dem Staat mit den atemberaubenden Bergen und der spektakulären Küste in erster Linie einen Hort der Mafia. Zwar ist der Tourismus traditionell die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle, doch wegen vieler Mängel haben sich die großen deutschen Tourismusunternehmen ganz aus diesem Markt zurückgezogen. Schon Ende der 90er-Jahre wurde Montenegro von den USA und der EU massiv unterstützt, weil es sich gegen den serbischen Autokraten Slobodan Milosevic gestellt hatte.

So wurde auch darüber hinweggesehen, dass der starke Mann des Landes, Milo Djukanovic, in Italien, Deutschland und der Schweiz des groß angelegten Zigarettenschmuggels bezichtigt wurde. Zur Stabilisierung seiner maroden Wirtschaft wurde dem kleinen Balkanland sogar erlaubt, den Euro einzuführen, obwohl es dafür keine einzige Voraussetzung gab. Djukanovic (48) führt das Land seit fast zwei Jahrzehnten als Regierungs- oder Staatschef. Zweitmächtigster Mann ist sein Stellvertreter Svetozar Marovic. Die Opposition behauptet, diese beiden Familien hätten gemeinsam mit einer weiteren Handvoll Geschäftsleuten Montenegro in einen „Privatstaat“ verwandelt.

Jedenfalls wurde gerade der Gouverneur der Zentralbank abgelöst, weil er der strauchelnden „Prva Banka“ des Djukanovic-Bruders Aco nicht helfen wollte. EU-Diplomaten haben immer wieder davor gewarnt, Montenegro zu einer „russischen Kolonie“ werden zu lassen. Denn oft zwielichtige russische Geschäftsleute hatten in großem Stil Land, Hotels und Schlüsselunternehmen wie das Aluminiumwerk KAP gekauft, wobei Geld keine Rolle zu spielen schien. Djukanovic und seine Regierung haben jedoch immer wieder betont, die EU-Mitgliedschaft sei ihr strategisches Ziel.

Besonders enge Beziehungen gibt es heute schon mit Italien auf der anderen Seite der Adria. Der alles beherrschende Djukanovic will sich im kommenden Frühjahr aus der Politik zurückziehen. Inzwischen haben die Nachfolgekämpfe eingesetzt. Die aussichtsreichsten Politiker sind Finanzminister Igor Luksic und der im Juli zurückgetretene langjährige Geheimdienstchef Dusko Markovic.