Tote, Millionenschäden und Verkehrschaos: Mit dem Orkantief „Kyrill“ ist am Donnerstag einer der schwersten Stürme der vergangenen 20 Jahre über Deutschland und andere europäische Länder hinweggefegt. Mindestens 16 Menschen - davon fünf in Deutschland - starben bei dem verheerenden Sturm, der Geschwindigkeiten von rund 200 Stundenkilometern erreichte.

Hamburg. Zehntausende Reisende saßen fest, weil die Deutsche Bahn am Abend bundesweit den Verkehr einstellte. Alle Züge wurden in die Bahnhöfe gefahren. "Das hatten wir noch nie in Deutschland", sagte Bahnchef Hartmut Mehdorn. Auch in Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich und anderen Ländern hinterließ "Kyrill" eine Schneise der Verwüstung.

Vor den Augen seiner Eltern wurde ein 18 Monate altes Mädchen in Bayern von einer Terrassentür erschlagen. Ebenfalls in Bayern wurde ein 73-Jähriger von einem Scheunentor erdrückt, das eine Böe aus den Angeln gehoben hatte. Ein Mann starb in Baden-Württemberg, als er mit dem Auto auf einen umgestürzten Baum fuhr. In Nordrhein-Westfalen wurde eine Frau in ihrem Wagen von einem Baum erschlagen. In Sachsen- Anhalt kam ein Mann ums Leben, als in einer Gaststätte eine Wand auf ihn stürzte. Wie durch ein Wunder überlebte ein Bauarbeiter, der in Berlin auf einem Gerüst von einer Böe erfasst worden und zehn Meter in die Tiefe gerissen worden war.

Sieben Menschenleben kostete "Kyrill" (altgriechisch: "Der Herr") in Großbritannien: Unter den Toten sind ein zweijähriges Kind und der Direktor des Internationalen Flughafens von Birmingham. Zwei Menschen starben in den Niederlanden und zwei in Frankreich durch den Sturm.

Die Deutsche Bahn versorgte die gestrandeten Reisenden in den Bahnhöfen. Normalerweise fahren mit der Bahn täglich rund 4,5 Millionen Menschen. Es sollen dem Unternehmen zufolge alle Voraussetzungen geschaffen werden, damit der Berufsverkehr am Freitag wieder normal läuft. Wegen umgestürzter Bäume waren viele Strecken gesperrt worden. In Schleswig-Holstein prallte ein Intercity gegen einen Baum, verletzt wurde niemand.

"Kyrill" wirbelte den Flugverkehr in Europa ebenfalls durcheinander. Die Gesellschaften strichen Hunderte Verbindungen, andere Maschinen hoben erst mit stundenlanger Verspätung ab.

Chaos auch im Schiffsverkehr: Im Ärmelkanal spielten sich dramatische Szenen ab, als der Container-Frachter "MS Napoli" wegen eines Motorschadens vor Cornwall in Seenot geriet. Trotz meterhoher Wellen und heftiger Windböen eilten Helfer in Booten und Hubschraubern herbei und retteten alle 26 Besatzungsmitglieder.

In Deutschland wurden die Fährverbindungen auf Nord- und Ostsee sowie dem Bodensee zeitweise eingestellt. Auf den Inseln und an den Küsten bereiteten sich die Menschen auf eine schwere Sturmflut vor, indem sie Sandsäcke füllten und lose Gegenstände festzurrten.

Auf Helgoland wurden nach den schweren Küstenschäden der vergangenen Monate weitere Dünenabbrüche befürchtet. Zunächst entwickelte sich "Kyrill" im Nordwesten allerdings schwächer als prognostiziert. "Wir sehen der Nacht gelassen entgegen", sagte ein Sprecher des Katastrophenschutzes in Cuxhaven.

"Kyrill" ließ vielerorts den Strom ausfallen; in Magdeburg kam fast das ganze öffentliche Leben zum Erliegen. Katastrophal war die Lage im Harz. Überall waren Bäume umgeknickt. Auf dem Brocken wurden Windgeschwindigkeiten von rund 200 Kilometern pro Stunde erreicht.

Vielerorts wurden windanfällige Straßenabschnitte und Brücken gesperrt, dennoch warf der Sturm mehrere Lastwagen um. Etliche Schulen, Kindergärten und Behörden schickten schon am Vormittag Kinder und Mitarbeiter nach Hause.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hatte für Regionen in mehr als der Hälfte der Bundesländer eine "extreme Unwetterwarnung" ausgegeben. Der Begriff bezeichnet die höchste mögliche Warnstufe. "Wir befinden uns in einer Größenordnung der Stürme "Lothar" und "Anatol"", sagte DWD-Sprecher Uwe Kirsche. Bei diesen Stürmen waren 1999 in Europa viele Menschen ums Leben gekommen.

Durch den Dauerregen müsse auch mit überschwemmten Straßen und Erdrutschen gerechnet werden. In einigen Orten wurden Gullys vom Wasser aus der Verankerung gedrückt.

Der aus dem Altgriechischen abgeleitete Name "Kyrill" ist vor allem in Russland und Bulgarien gebräuchlich. Mehrere Heilige tragen diesen Namen - wie zum Beispiel der Theologe Kyrill von Saloniki, nach dem das kyrillische Alphabet benannt ist.