Brigitte Kronauers Roman “Zwei schwarze Jäger“ bevölkern allerlei wunderliche Figuren - von der Autorin sprachmächtig eingefangen.

Hamburg. Was sind das für skurrile und überspannte Figuren, die in "Zwei schwarze Jäger" nicht minder seltsame Szenen bevölkern! Eine Supermarkt-Verkäuferin, die ihres Berufes überdrüssig ist und kurz entschlossen in einem Campingwagen anschaffen geht. Ein Maler, der Schüttelreime produziert und drei verschwitzte Pullover übereinander trägt. Eine Frau im Rollstuhl, die den Ex-Liebhaber als Don Juan auf ihre verhassten Nachbarinnen loslässt. Ein Lektor, der sich in einen Kellner verliebt. Und eine Zwergin, die nur zweimal die Liebe schmeckte und zur Mörderin wird. Man könnte hier noch länger fortfahren, denn das Personal ist vielfältig.

Brigitte Kronauers neuer Roman ist ein menschliches Kuriositätenkabinett, dessen Ausstellungsstücke in einem düsteren Licht funkeln. Das Abseitige, Vernebelte und von der Norm Abweichende dient der Hamburger Autorin aber nur, um eine Grisaille zu entwerfen, die unsere Existenz grundsätzlich darstellt. Es ist freilich der Pinselstrich einer humorvollen Erzählerin, die uns in dem Episodenroman kaum glaubhafte Schicksale zeichnet. Sie taucht selbst auch auf: die Schriftstellerin Rita Palka, deren Lesereise in eine süddeutsche Provinz, wo sie in einem engen Schloss auf Einladung eines verschrobenen Fans liest - und sich schnell im Irrgarten ihrer eigenen Eitelkeiten befindet. Diese selbstironische Ouvertüre (und ein übertrieben langer Metatext) mag eine durchaus manierierte Selbstbespiegelung sein, in die Geschichte zieht sie den Leser unbedingt. Denn die klaustrophobische Enge einer Lesung, bei der nur eine Handvoll Zuhörer lauschen, ist eine schöne Metapher für die Einsamkeit der Figuren, die der Fantasie dieser Rita Palka entspringen.

"Zwei schwarze Jäger" ist nach dem "Short Cuts"-Prinzip aufgebaut. Einzelne Episoden ergeben am Ende zumindest erzähltechnisch ein Ganzes, weil sich die Lebenswege der Protagonisten kreuzen. Dabei sind diese Begegnungen flüchtig: Es bleibt doch jeder für sich und allein in seiner Misere. Selbst den Lektor Heiner Krapp und seine Eroberung Rolf treffen wir nicht im Liebesglück, sondern nur getrennt voneinander an. Krapp, der reife Herr, der die Boten der Midlife-Crisis immerhin halb souverän vor die Tür seines Lebens komplimentiert, ist im Hochgebirge, seinem Liebhaber kann er nur am Telefon von diesem Erlebnis berichten. Krapp vermisst die Koordinaten seiner Welt, und obwohl seine Rückschau ihn nicht wirklich beschwert, findet er einen grundsätzlichen Verlust. "Ob man sich eventuell als Erwachsener gar nicht wirklich nach der Kindheit sehnt, sondern nur nach dem Erleben, das einem als Kind vergönnt war? Nach der Wucht und der Einmaligkeit aller Dinge? Und auch nicht nach einem verlorenen Liebesobjekt, sondern bloß nach der Begeisterung, die mit der Liebe erlischt?"

So distanziert die Figuren sich und ihre Umgebung betrachten, so distanziert schildert die Autorin das Geschehen. Kronauer erzählt sprachmächtig, kunstvoll, kreisend und altmodisch. Man muss ihren bisweilen komplexen Erzählfluss mögen, sicher. Auch wenn in "Zwei schwarze Jäger" am ehesten noch jeder zu sich selbst spricht, sind die Dialoge äußerst lesenswert. Und ihre Urheber die wunderlichsten Gestalten der literarischen Saison. Das Leben ist kein Spaß in diesem Buch, das eigene Scheitern wird aber nicht selten mit schwarzem Witz kommentiert. Und eine Trostreichung gibt es auch für den, der stirbt. Mit dem alten Herrn Schöffel mag es zwar allein im Keller zu Ende gehen, zeitlebens aber hat er keine Angst gehabt: Seine Ehe war glücklich. Die Steuerberaterin Frau Jeckchen wartet wenigstens auf den Maler, und dem Witwer Graubube genügt für den Augenblick das Verliebtsein in Frau Jeckchen. Man lebt hier für den Anflug des kleinen Glücks, das sich schnell wieder verflüchtigt. Wir verlieren die Figuren schnell aus den Augen, ihr Schicksal wird nur anzitiert.

So ist es am Ende nur eine, die, wie ein verwunschener Kobold, ohne jegliche Erfüllung ihrer Träume verschwindet: die Mörderin Fanny, die schuldig werden will, um die Schlechtigkeit der Welt auf sich zu vereinen. Ihr Tun gibt dem Roman von Kronauer sein dunkles Gepräge. Einen Aha-Effekt gibt es zum Abschluss des Erzählreigens nicht. Das wäre Kronauer zu einfach.

Brigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger Roman. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2009, 286 Seiten, 21,90 Euro