Pannen am Hauptstadtflughafen, schier endlose Verzögerungen bei der Elbphilharmonie. Ein Streifzug durch die Weltgeschichte der Architektur.

Große Bauwerke werfen große Schatten. Das gilt nicht nur im wörtlichen Sinn. Je ambitionierter der Anspruch an ein Bauprojekt ist, desto schwerer lässt es sich realisieren. Die Erfahrungen, die Hamburg derzeit leidvoll mit der Elbphilharmonie macht, sind ärgerlich, sie sind aber nicht einzigartig. Wenn ein Konzerthaus von vornherein nicht nur ein Konzerthaus, ein Turm nicht nur ein Turm oder eine Kirche nicht nur eine Kirche werden soll, sondern zugleich ein Denkmal, ein Wahrzeichen oder eine Art gebautes Sinnbild, entstehen oft Probleme. Wird ein Bauwerk nicht allein zu seiner eigentlichen Zweckbestimmung, sondern auch aus übergeordneten Gründen errichtet, verbinden sich enorme Erwartungen damit. Und die können das Projekt manchmal sogar an den Rand des Scheiterns bringen.

Das belegen in der Kultur- und Architekturgeschichte eine ganze Reihe von Beispielen. Ob ein Projekt gelingt oder aus dem Ruder läuft, ob es in der ursprünglich prognostizierten Zeit oder nur über einen viel längeren Zeitraum hinaus und mit viel höheren Kosten verwirklicht werden kann, hängt von vielen Faktoren ab: von der Seriosität der Planung und der Finanzierung, von den technologischen Möglichkeiten der jeweiligen Zeit, der Kompetenz des Auftraggebers, den politischen Rahmenbedingungen und nicht zuletzt auch von der gesellschaftlichen Akzeptanz, die dem Bauwerk entgegengebracht wird.

Das klassische Beispiel des Scheiterns liefert die Bibel mit der Geschichte des Turmbaus zu Babel, über den das elfte Kapitel der Genesis berichtet. "Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen", heißt es in der Geschichte, die übel ausgeht, weil Gott dieser Selbstüberschätzung durch die Erfindung der Vielsprachigkeit ein vorzeitiges Ende setzt. Der Turm zu Babel wird nicht nur in der Bibel, sondern auch bei dem römischen Geschichtsschreiber Herodot erwähnt. Inzwischen weiß man sogar, wo er gestanden hat: 1913 entdeckte der deutsche Archäologe Robert Koldewey, der in Altona zur Schule ging und zeitweise als Baubeamter in Hamburg tätig war, in den Ausgrabungsstätten von Babylon im heutigen Irak die Fundamente eines Turmes aus dem Reich des durch biblische Erzählungen bekannten Königs Nebukadnezar II. (605-562 v. Chr.).

Offenbar ganz nach Plan lief dagegen Mitte des dritten vorchristlichen Jahrtausends der Bau der Cheops-Pyramide, an dem im Lauf von 44 Jahren etwa 36.000 Arbeiter beteiligt waren.

Dass man in der Antike in der Lage war, auch riesige Bauprojekte in erstaunlich kurzer Zeit zu verwirklichen, bewies Kaiser Justinian mit dem Bau der Hagia Sophia in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Obwohl die Architekten Isidor von Milet und Anthemios von Tralleis speziell mit der flachen Kuppel ihre liebe Not hatten, konnte die Hauptkirche des Byzantinischen Reiches nach nur fünf Jahren Bauzeit geweiht werden. Dass es Kaiser Justinian dabei nicht nur um die Ehre Gottes, sondern auch um persönliches Prestige ging, liegt nahe. So soll er bei der Einweihung am 27. Dezember 537 mit Blick auf den legendären Salomonischen Tempel gesagt haben: "Salomo, ich habe dich übertroffen."

Für die Bischöfe, die im Mittelalter die großen gotischen Kathedralen in Auftrag gaben, stand dagegen von vornherein fest, dass sie deren Einweihung nicht mehr selbst erleben würden. Die Bauabläufe, die technologischen Möglichkeiten und die Organisation der Gewerke machten Bauzeiten notwendig, die sich über mehrere Generationen, oft sogar über Jahrhunderte erstreckte. Hier trat der Auftraggeber gegenüber Widmung und Zweckbestimmung des Bauwerks in den Hintergrund. Nicht selten wurde ein Dombauprojekt sogar aufgrund von veränderten Rahmenbedingungen, Kriegen, Hungersnöten oder anderen Katastrophen unterbrochen und blieb Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte unvollendet.

Die Grundsteinlegung des Kölner Doms fand am 15. August 1248 statt. Etwa zweieinhalb Jahrhunderte zogen sich die Bauarbeiten hin, bis sie um 1528 komplett eingestellt wurden. Etwa 300 Jahre mussten die Kölner nun noch mit einem unvollendeten Bauwerk in ihrem Stadtbild leben. Erst im 19. Jahrhundert kam das Projekt wieder in Gang, sodass die berühmteste deutsche Kirche im Jahr 1880 mit der Fertigstellung der Türme erst nach mehr als 600 Jahren vollendet wurde.

Beim Petersdom in Rom war das sehr viel schneller gegangen. 1506 hatte Donato Bramante mit dem Projekt begonnen, das aber immerhin auch mehr als ein Jahrhundert Bauzeit erforderte. Geweiht wurde die Vatikanische Basilika am 18. November 1626 unter Papst Urban VIII. Allerdings hatte das Bauwerk für die katholische Kirche trotz aller Pracht erhebliche Kollateralschäden hinterlassen: Um die für die Erbauung notwendige Geld zusammenzubekommen, erließ Papst Leo X. Anfang des 16. Jahrhunderts einen Plenarablass: Wer ordentlich für den Bau spendete, dem wurden alle Sünden erlassen, und die Unannehmlichkeiten des Fegefeuers blieben ihm erspart. Dieser Ablasshandel war einer der Hauptkritikpunkte, die den deutschen Augustinermönch Martin Luther gegen die römische Kirche aufbrachten - und wurde damit zu einem Ausgangspunkt der Reformation.

Die Industrielle Revolution veränderte im 19. Jahrhundert auch das Bauwesen erheblich. Bessere Transportmöglichkeiten und die maschinelle und serielle Fertigung von Bauteilen, aber auch neue Konstruktionsmethoden machten es möglich, riesige Bauwerke in erstaunlich kurzen Zeiträumen zu realisieren. Dabei bediente man sich bis Ende des 19. Jahrhunderts gern historischer Baustile. Fabriken und Lagerhäuser konnten wie mittelalterliche Burgen aussehen und viele Kirchen des 19. Jahrhunderts waren sehr direkt von 600 Jahre alten Vorbildern inspiriert. So sah die Hamburger Hauptkirche St. Nikolai zwar so aus wie eine gotische Kathedrale und hatte auch deren Ausmaße, doch brauchte der Londoner Architekt George Gilbert Scott bis zur Vollendung des 147,3 Meter hohen Turms im Jahr 1874 ganze 28 Jahre.

Aber die neuen Materialien und Technologien ermöglichten für bestimmte Projekte sogar noch sehr viel kürzere Bauzeiten. Der 324 Meter hohe Pariser Eiffelturm, eine damals zukunftsweisende Eisenfachwerkkonstruktion und damit ein Symbol für den Fortschritt des 19. Jahrhunderts, war nach schon zwei Jahren (1887-89) fertiggestellt. Und ein paar Jahrzehnte später schienen die Wolkenkratzer in Manhattan buchstäblich im Zeitraffertempo in den Himmel zu wachsen. Das Empire State Building, das bis zur Antennenspitze 443 Meter misst, wurde von 1929-31, also im Verlauf von nur drei Jahren, erbaut.

Doch es gab im 20. Jahrhundert auch Projekte, die mit großen Schwierigkeiten verbunden waren und unverhältnismäßig lange Bauzeiten erforderten. Ein Musterbeispiel ist die Sydney-Oper des dänischen Architekten Jørn Oberg Utzon. Die Bauarbeiten begannen 1959, verzögerten sich immer wieder, verteuerten sich um ein Vielfaches und führten zu einem Zerwürfnis zwischen dem Auftraggeber und dem Architekten, der Australien 1966 im Zorn verließ. Fertiggestellt wurde das vielleicht markanteste Bauwerk des 20. Jahrhunderts erst 1973 - nach 14-jähriger Bauzeit.

Das weltweit bekannteste noch unvollendete Gebäude ist die Kirche Sagrada Família der katalanischen Metropole Barcelona. Die Arbeiten an diesem einzigartigen Bauwerk, dessen Architektur maßgeblich von Antonio Gaudí bestimmt wurde, begannen 1882, wurden immer wieder unterbrochen, aber stets fortgesetzt. Auch als Baustelle ist die Sagrada Família eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Spaniens, seit 2005 gehört sie sogar zu den Stätten des Unesco-Weltkulturerbes. Kriege, Krisen und Kontroversen haben das Projekt begleitet, dessen lange Bauzeit aber inzwischen als ähnlich selbstverständlich empfunden wird wie bei den gotischen Kathedralen des Mittelalters. Zurzeit ist die endgültige Fertigstellung für das Jahr 2026 geplant. Der lange Atem und die Gelassenheit, mit der die Sagrada Família Stück für Stück errichtet wird, lässt sich jedoch kaum auf andere Projekte übertragen.

Wenn sich große Bauvorhaben erheblich verzögern und unverhältnismäßig verteuern, steht deren gesellschaftliche Akzeptanz auf dem Spiel. Da helfen nur noch vollendete Tatsachen: Denn ist das Bauwerk irgendwann doch fertiggestellt, eröffnet und eingeweiht, spricht es für sich und kann womöglich auch ehemalige Skeptiker überzeugen. In Australien hat man diese Erfahrung gemacht: Heute ist Sydney stolz auf ein Bauwerk, das jahrelang vor allem Ärger und negative Schlagzeilen gemacht hatte.