Am Ernst-Deutsch-Theater feierte “Tartuffe“ Premiere, als Geschichte über einen bigotten Schuft, dem die Familie Paroli bietet.

Hamburg. Wenn die bürgerliche Familie bedroht ist, so kann man jammern. Oder lachen. Fürs Theater gilt meist Letzteres. Molières "Tartuffe" ist in diesem Sinne eine Komödie, die bestens funktioniert. Sie hat herrliches Personal - den Hochstapler und Scheinheiligen Tartuffe, Orgon, den verblendeten Haustyrann, seine zweite Frau Elmire, vernünftig und vernachlässigt, den ungestümen Sohn Damis, die naive Tochter Marianne, ihren Verlobten Valère sowie die Zofe Dorine mit dem gesunden Menschenverstand - und führt alle vor.

Dorine ist in Gerd Heinz' Inszenierung, die jetzt am Ernst-Deutsch-Theater Premiere hatte, eine Hauslehrerin. Man befindet sich nicht im verzopften Frankreich des 17. Jahrhunderts, sondern im aufgeklärten Holland, wo erfolgreich Geschäfte gemacht werden und die Herren mit Halskrausen und Hüten herumrennen, als seien sie von Rembrandt gemalt. Manch einer erlebt dann wohl, angeschlagen vom vielen Arbeiten, eine Sinnkrise und sucht Erlösung.

In den Kreis einer solchen bürgerlichen Familie gerät Tartuffe, der Emporkömmling, der mit Heuchelei den Hausherrn Orgon um den Finger wickelt und ihn dazu bringt, ihm Vermögen, Tochter und sogar Ehefrau zu überlassen. Eine Katastrophe. Das Ende aller bürgerlichen Sicherheiten. Doch die Familie bewährt sich, alle anderen Mitglieder durchschauen das Spiel des Frömmlers, der Wasser predigt und ihren Wein trinkt. Einzig Orgons Mutter, Madame Pernelle, hält, ganz old school und Schnee von gestern, verstaubte Moralpredigten und geht dem falschen Tugendbold auf den Leim.

Heinz G. Lück spielt die Alte als herrlich engstirnige Zicke im Rollstuhl, mit Haube auf dem Kopf wie eine Wilhelm-Busch-Karikatur. Orgon ist bei Charles Brauer ein selbstgerechter Familientyrann und Sturkopf, der aus dem tiefsten Hannover stammen könnte, Elmire in Julia Hansens Darstellung eine wirklich auf- und anregende Ehefrau, lebensklug und selbstgewiss. Sie hat in Dorine eine ähnlich denkende, nur noch emanzipiertere Frau neben sich. Leslie Maltons Dorine zieht in Wahrheit alle Fäden. Sie macht das fröhlich, nicht als derbe Komikerin, aber mit viel Humor und wird so zur Sympathieträgerin. Ähnlich vernünftig ist Orgons Schwager Cléante (Benjamin Utzerath). Sohn Damis stellt Felix Lohrengel als Hitzkopf dar, Tochter Marianne bleibt bei Isabel Berghout ziemlich blass und sieht aus wie Vermeers "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" (Ausstattung: Lilot Hegi).

Werner Rehm ist als scheinheiliger Eindringling Tartuffe nicht massiv böse und durchtrieben. Er ist ein eher leiser Schmarotzer, der mit Sprüchen wie "Wer im Geheimen sündigt, sündigt nicht" eine passable Lebensphilosophie entwickelt. Noch als er vom Ehemann erwischt wird, wie er dessen Frau mit hochgeschobenem Rock über den Tisch legt, windet er sich windig heraus. Rehm mag nicht mehr das Drängende, Erotische, Lüstlinghafte in der Figur herausstellen, als fieser Absahner überzeugt er trotzdem, denn er wirkt zeitlos harmlos und deshalb umso gefährlicher. Solche Typen kennen wir.

Der unaufgeregt unterhaltsame Abend überzeugte das Publikum. Das Schönste war jedoch erstaunlicherweise die Sprache, die von Wolfgang Wiens in ein wunderbar klares, bannend lebendiges Deutsch gebracht wurde. Herrlich.

"Tartuffe" bis 7. Januar, außer, 6./12.,/24./29.12., Ernst-Deutsch-Theater, T. 22 70 14 20

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