Ich habe fünfmal mit Peter Zadek gearbeitet. Die Arbeit mit ihm war so intensiv, dass es “gefühlte“ 20 sein könnten.

Ich bin ihm zum ersten Mal Silvester in Hamburg begegnet. Ich war 16 Jahre alt. Ich sah einen Mann mit Sonnenbrille in einem spärlich beleuchteten Lokal, dem Cuneo. Umringt von Menschen, die ihn anbeteten. Nach Mitternacht wurde getanzt. Er tanzte auch mit mir, trat mir aber leider mehrmals dabei auf die Füße. Ich habe ihn dann stehen lassen und bin raus zur nächsten Telefonzelle, um meiner Großmutter ein gutes neues Jahr zu wünschen. Und kam mit zerfetztem Kleid zurück, jemand hatte mir einen Chinaböller unter den Rock geworfen. Er sagte mir, dass ihm das leid täte, als er merkte, wie erschrocken ich war.

Zehn Jahre später, als wir die LULU herausbrachten, erzählte er mir, dass er mich in jener Nacht besetzt hat und sich damals die bis dahin noch nie gespielte Urfassung sichern wollte. In der LULU ein Kind ist und keine erfahrene Frau.

Peter Zadek hat Menschen genau beobachtet, und für seine Schauspieler, in meinem Fall war ich das ja noch gar nicht, Projekte erfunden. Ich habe das Angebot, LULU zu spielen, natürlich angenommen, erinnere mich aber an eigene Sinnkrisen monatelang während der Proben, ich fand mich nicht schön, ich fand mich zu dick und vollkommen unerotisch. Ich wurde ständig rot, bei Anstrengung auch lila, und dann platzte es aus mir heraus "Wer soll sich in mich verlieben, mich sexy finden, ich weiß nicht, wie ich das spielen soll?!"

Zadek: "Sieh dir Uli (Wildgruber) an." Ich schaute Ulrich Wildgruber an, tagelang, und lief wieder an die Rampe und sagte: "Er macht ja gar nichts!"

Zadek: "Genau. Er macht erst dann etwas, wenn es einen Grund gibt. Außerdem finde ich dich schön, das musst du aber auch selber finden."

Seiner Zuneigung, seinem Glauben und seiner unendlichen Geduld verdanke ich es, dass ich durch den brennenden Reifen gesprungen bin, den er mir hingehalten hat. Und es hat Spaß gemacht. So wie bei Zadek kannte ich das Theaterspielen nicht.

Einer der schönsten Momente dieser Arbeit waren die Proben zum 2. Akt, in der Dr. Schön (Uli Wildgruber) LULU mitteilt, dass er eine andere heiratet.

Zadek: "Das inszeniere ich nicht, ich denke LULU muss sich so vor Dr. Schön entwürdigen, dass sie ihn einen Akt später dafür erschießen muss." Schweigen.

Ich: "Wie, äh, was soll ich denn ..."

Zadek: "Und jetzt los bitte."

Und dann spielten sich die aberwitzigsten Szenen ab, ich bin mitgeflogen über alle Konventionen hinweg.

Er hat übrigens auch später, bei internen Kritikgesprächen, nie ein Wort über diese Szene verloren, er hat gelächelt und gesagt: "So, nächste Szene."

Und ausführlichst über eine Kopfbewegung von mir geredet, die er sich anders vorgestellt hat. Das werde ich so schmerzlich vermissen. Seinen Verstand, sein Herz, seinen Mut, seinen Humor.

Er war ein Genie.

Abschied von Peter Zadek : Heute lesen Sie den letzten Teil unserer Serie.