Schlechte Schüler ohne Empfehlung fürs Gymnasium müssen gehen, besagt der neue Entwurf. Die Volksinitiative ist “fassungslos“.

Hamburg. Nur einen Tag nach dem Scheitern der Kompromiss-Gespräche im Streit um die Primarschule droht der schwarz-grünen Koalition neuer Ärger. Wie berichtet, wollen CDU und GAL das Elternwahlrecht der weiterführenden Schule wieder einführen und damit eine zentrale Forderung der Reformgegner aufgreifen.

Der schwarz-grüne Vorschlag zur Änderung des Schulgesetzes, den die Fraktionschefs Frank Schira (CDU) und Jens Kerstan (GAL) gestern vorstellten, sieht vor, Schülern ohne Berechtigung für den Besuch des Gymnasiums auf Wunsch der Eltern ein Probejahr zu gewähren. Am Ende der Klasse 7 soll die Zeugniskonferenz entscheiden, ob die Schüler versetzt werden oder auf die Stadtteilschule wechseln müssen. Das Problem: Alle Schüler, denen in Klasse 6 am Ende der Primarschule aufgrund ihrer Leistungen die "Gymnasialtauglichkeit" bescheinigt wurde, dürfen auch bei gleich schlechten Noten wie die Probeschüler auf dem Gymnasium bleiben. Grund: Mit dem Schulgesetz ist das "Abschulen", also der Schulformwechsel, abgeschafft worden.

"Wir sind fassungslos darüber, dass die Koalition beabsichtigt, ein derartiges Zwei-Klassen-System in den Schulen einzuführen", empörte sich Walter Scheuerl, der Sprecher der Volksinitiative "Wir wollen lernen". Ein solches System wäre für alle Schüler und die Familien unzumutbar. Es würde zu "einem immensen Druck" auf die Schüler in Klasse sechs führen.

Schwarz-Grün verteidigte den Plan. "Wir geben den Kindern ohne Gymnasial-Berechtigung eine zweite Chance", sagte Kerstan. "Es bleibt im Prinzip bei dem Elternwahlrecht, das bislang auch nach Klasse vier galt", sagte Schira. Kerstan wies darauf hin, dass die Laufbahn-Prognose für Schüler am Ende von Klasse sechs sehr viel sicherer sei als in der vierten Klasse. "Außerdem wirken an der Entscheidung die Gymnasiallehrer mit, die in Zukunft an der Primarschule unterrichten sollen", ergänzte der GAL-Schulpolitiker Michael Gwosdz. Der CDU-Politiker Marino Freistedt geht davon aus, dass die Eltern weniger skeptisch auf die Empfehlungen der Lehrer für die weiterführende Schule reagieren werden, weil die Eltern schon früher durch regelmäßige Lernentwicklungsgespräche einbezogen werden.

"Der Vorschlag der Koalition trägt mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung bei", befand dagegen der SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Neumann. Der Vorstoß des Senatsbündnisses zum Elternwahlrecht zeige, dass "hier wieder jemand tiefer in die Schützengräben will", so Neumann. "Wir begrüßen den Vorstoß als ersten Schritt und wollen daran mitwirken, eine tragfähige Lösung zu finden", sagte der SPD-Schulpolitiker Ties Rabe.

Die SPD nimmt das Angebot von CDU und GAL an, über die Änderung des Schulgesetzes zu verhandeln. "Das Gespräch findet in der nächsten Woche statt", sagte Neumann. Ziel der Koalition ist es, mit Blick auf den Volksentscheid über die Primarschule im Sommer einen möglichst breiten Konsens in der Bürgerschaft als Gegengewicht zur Volksinitiative der Reformgegner zu erzielen. "Es ist allerdings nicht unbedingt glücklich, dass die Koalition vor Beginn der Verhandlungen die Dinge schon festgezurrt hat", kritisierte der SPD-Fraktionschef. CDU und GAL hatten außer der Änderung beim Elternwahlrecht auch einen Antrag zur Einrichtung eines Sonderausschusses der Bürgerschaft vorgestellt, der die Lehrerversorgung und räumliche Ausstattung im Zuge der Reform laufend überprüfen soll. Die SPD will mit eigenen Vorschlägen in die Verhandlungen. Nach Abendblatt-Informationen soll es dabei um die Aspekte Unterrichtsqualität, Verlässlichkeit und langfristige Perspektiven gehen.