Drei Hamburger wollen mithilfe des Heidelberger Rechtsanwalts Uwe Lipinski den Volksentscheid zur Schulreform kippen.

Hamburg. Das Hamburgische Verfassungsgericht muss sich mit dem Volksentscheid zur Primarschule beschäftigen. Drei Hamburger haben Klage beim höchsten Gericht mit dem Ziel eingereicht, die Abstimmung vom 18. Juli für ungültig zu erklären.

"Der Hauptmangel des Volksentscheids ist die Tatsache, dass man mit einem doppelten Ja abstimmen konnte", sagt der Heidelberger Rechtsanwalt Uwe Lipinski, der die Klage erarbeitet und eingereicht hat. Nach seiner Auffassung leidet darüber hinaus auch das gesamte Volksgesetzgebungsverfahren "unter fundamentalen juristischen Mängeln". Wer seine Auftraggeber sind, will der Jurist nicht sagen.

Zur Erinnerung: Auf dem Stimmzettel zum Volksentscheid standen zwei Vorschläge. Zum einen ging es um die in der Abstimmung erfolgreiche Vorlage der Primarschulgegner von der Volksinitiative "Wir wollen lernen", die es bei der vierjährigen Grundschule belassen wollten. Die Alternative war der Vorschlag der Bürgerschaft, nach dem die Primarschule bis zum Ende von Klasse sechs eingeführt werden sollte. Auf dem Stimmzettel war ein Ja sowohl für die vierjährige Grund- als auch für die sechsjährige Primarschule möglich, was praktisch nicht möglich ist.

"Ich halte die Doppel-Jastimme für eindeutig verfassungswidrig", sagt Lipinski. Es gebe Fälle von Bürgerentscheiden in der Schweiz oder in Bayern, bei denen ein doppeltes Ja möglich sei. Das sei jedoch nicht auf die Hamburger Situation übertragbar. Der Anwalt hat sich beim Landeswahlamt erkundigt, wie oft ein zweifaches Ja angekreuzt worden ist. "Die Auskunft lautete, dass das so nicht erfasst worden sei."

Der Jurist aus Heidelberg skizziert den Extremfall, wonach das erforderliche Quorum für den Erfolg des Volksentscheids - 20 Prozent der Wahlberechtigten - zum weitaus größten aus Doppel-Jastimmen resultiert. Damit wäre ein eindeutiger Wählerwille nicht mehr erkennbar.

+++ So stimmten Ihre Nachbarn beim Volksentscheid +++

Walter Scheuerl, Sprecher und Motor der Primarschulgegner, hält den Anteil der Doppel-Jastimmen für gering. "Die Quote derjenigen, die zweimal Ja angekreuzt haben, ändert am Ergebnis des Volksentscheids nichts", ist sich Scheuerl sicher. Der Rechtsanwalt gibt der Verfassungsklage daher auch wenig Chancen. "Die Argumente haben weder Hand noch Fuß", sagt der Jurist.

Scheuerl hatte seinerseits Ende der vergangenen Woche mit einer Verfassungsklage gedroht. Seiner Ansicht nach setzt GAL-Schulsenatorin Christa Goetsch das Ergebnis des Volksentscheids nicht richtig um. Unter anderem will die Senatorin den Fünftklässlern der 23 sogenannten Starterschulen ermöglichen, bis zum Ende von Klasse sechs unter den Bedingungen der Primarschule zu lernen.

Die Verfassungsklage, die der Heidelberger Rechtsanwalt eingereicht hat, sieht beim Primarschul-Volksentscheid auch einen möglichen Verstoß gegen das sogenannte Koppelungsverbot. Darunter wird die Regelung verstanden, dass nicht zwei unterschiedliche Fragestellungen in einem Volksentscheid vorgelegt werden dürfen. Lipinski weist darauf hin, dass die Hamburger neben der Frage über das längere gemeinsame Lernen auch über das Elternwahlrecht entscheiden sollten. "Das Elternwahlrecht sollte ja auch nach dem Gegenvorschlag der Bürgerschaft erhalten bleiben, nur eben am Ende von Klasse sechs", sagt Lipinski.

Scheuerl vermutet die Kläger unter den Befürwortern der Primarschulreform. Er weist darauf hin, dass die Idee, zwei Vorlagen zur Abstimmung zu stellen, eigentlich einen anderen Hintergrund gehabt habe. Ursprünglich sei es darum gegangen, Senat und Bürgerschaft die Möglichkeit zu geben, zum Beispiel einen weniger weit reichenden Kompromissvorschlag als Alternative anzubieten. Dann hätten sich zwei Jastimmen nicht prinzipiell ausgeschlossen, sondern ergänzt.

"Für zwei einander widersprechende Varianten wie jetzt beim Primarschul-Volksentscheid war dieses Konstrukt aber nicht gedacht", sagt Scheuerl. "Es ist schon erstaunlich, dass diejenigen, die den Gegenvorschlag auf den Stimmzettel gebracht haben, sich nun darüber beklagen, dass das doppelte Ja möglich war."

+++ Jedes siebte Schulkind frühstückt nicht +++

Lipinski sieht seine Klage als Beitrag zur Klärung von Grundsatzfragen der vergleichsweise jungen Volksgesetzgebung in Hamburg. Das entsprechende Gesetz ist seit 1996 in Kraft. "Der Antrag leistet somit, gerade im Hinblick auf künftige Fälle, einen Beitrag zu Rechtssicherheit und Rechtsklarheit", so Lipinski, der juristische Fragestellungen im Zusammenhang mit Elementen direkter Demokratie auf kommunaler und Landesebene als einen Tätigkeitsschwerpunkt angibt.

Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) wollte sich gestern nicht zu der Verfassungsklage äußern.