Der Besuch Leonard Bernsteins mit Orchester war eine Sternstunde im Fischereihafen Restaurant. In seiner Autobiografie erzählt Rüdiger Kowalke aber auch von dem Risiko, ein heruntergekommenes Lokal in anrüchiger Gegend flottmachen zu wollen.

Bei einem Glas Vinho Verde, einem leichten, moussierenden Weißen aus der Alvarinho-Traube, ereilte mich im Frühjahr 1980 in Portugal mein Schicksal. Ich saß entspannt mit meinem alten Freund Heinz Schlünkes im Schatten einer Pinie am Pool des Hotels – endlich mal Urlaub. Heinz und ich, wir kannten uns vom Hamburger Flughafen-Restaurant. Er hatte dort gekellnert. Inzwischen war er selbstständig, Pächter des Restaurants Finkenwerder Elbblick, direkt am Köhlfleet-Hafen. Touristen, aber auch Hamburger treffen sich bei gutem Wetter gern auf seiner großen Terrasse: Blick auf Strom und Schifffahrt, Stint oder Scholle auf dem Teller.

Ich bewunderte seinen mutigen Schritt vom Kellner zum Unternehmer. Auch für mich ein verlockender Gedanke. Sagte mir aber: „Warum soll ich mich in ein finanzielles Abenteuer stürzen? Ich habe doch in Kaltenkirchen einen Arbeitgeber, der mich überaus schätzt, bin erfolgreich und ohne Frage Spitzenverdiener in dem Gewerbe. Was will man mehr mit 33?“

Insgeheim wollte ich natürlich mehr. Geschäftsführer in Kaltenkirchen bis zur Pensionierung? Das konnte es für mich nicht sein. Auf eigenen Beinen stehen, das wollte ich, mein eigener Chef sein. Ich hatte einen Traum, von dem ich keinem etwas erzählte: ein kleines Restaurant in der Hamburger oder Lübecker Innenstadt, höchstens 30 bis 40 Plätze, mit exzellenter Küche, die dem Haus bald ein bis zwei Michelin-Sterne einbringen würde. In Gedanken hatte ich es schon eingerichtet. Ich wusste genau, welche Tische, Stühle, Gläser, welches Besteck und Geschirr ich kaufen würde, und auch die technischen Details der Küche hatte ich im Kopf. Die Rezepte der kleinen, feinen Karte sowieso. Mein Glück, dass es nichts geworden ist. Dafür hatte ich ein paar Monate später einen zehnmal so großen Laden an der Backe, mit 180 Plätzen. Inzwischen sind noch eine Bar mit 20 Sitzgelegenheiten und 50 Terrassenplätze hinzugekommen.

Zurück nach Portugal, zum Vinho Verde. „Das Sellmer wird frei. Das wäre doch was für dich“, sagte Heinz Schlünkes und schenkte uns nach. Sellmer? Den Namen kannte ich, dort gewesen war ich noch nie. Das Restaurant hatte einen guten Ruf. Wobei die Betonung auf „hatte“ lag. Das schlichte Backsteinhaus aus dem 19. Jahrhundert direkt am Elbufer, einst Bürogebäude der Hamburger Fischmarkt GmbH & Co KG, war von Hermann Sellmer in den 50er-Jahren gepachtet worden. Aus der einstigen Bierstube mit deftigem Mittagstisch für Fischer, Dockarbeiter und Händler wurde unter seiner Regie das bekannteste Fischrestaurant der Hansestadt. Der Name blieb dem Haus erhalten, als Hermann Sellmer in den Ruhestand ging, die Qualität aber sank unter den wechselnden Pächtern. Der letzte Betreiber war passionierter Jäger. Auf seiner Speisekarte standen vorwiegend Wildgerichte. Vor den Fenstern zum Strom hingen Tüllgardinen, auf den Fensterbänken standen Blumentöpfe. Es fehlten nur die Hirschgeweihe an den Wänden – und fertig wäre die Försterklause an der Elbe.

Der erste Kontakt mit dem Eigentümer deutete nicht auf einen Erfolg hin...

Diese Gaststätte in Schuss zu bringen und den guten alten Ruf zurückzuerobern, das wäre was, dachte ich, das würde mich schon reizen. Aber was würde Christa, meine Frau, dazu sagen?

Als ich ihr damals erzählte, dass ich mich für das Objekt bewerben möchte, hielt sie das für eine Schnapsidee: In Hamburg bis spät in die Nacht arbeiten und in Kaltenkirchen wohnen? Das geht auf die Dauer nicht. Und dann das finanzielle Risiko! Ich gab ihr recht. Aber wenigstens mal ansehen! Dazu ließ sie sich überreden.

Es dämmerte, als wir mit unserem BMW von der Palmaille in die Große Elbstraße einbogen. Große Elbstraße, der Name machte was her. Aber damals war es eine Schmuddelecke: baufällige Lagerhallen, Schuppen, unbeleuchtete Speicher, schwimmende Asylantenheime. Durchs Autofenster drang der Geruch von brackigem Wasser und Fisch, der hier angelandet, verkauft und verarbeitet wurde. Dazu kam der säuerliche Mief des Braugetreides. Dort, wo heute das schicke Stilwerk steht, wurde gemälzt. Eine alte Tradition. Im 14. Jahrhundert, habe ich später in der „Kulturgeschichte des Essens und Trinkens“ von Gert von Paczensky gelesen, gab es in Hamburg 457 Brauereien. Heute sind gerade mal eine Handvoll übrig geblieben.

Am Straßenrand standen Mädchen und winkten uns auffordernd zu – nicht unbedingt die erste Garde des Gewerbes. Ich parkte vor der Hausnummer 143 – ein düsteres Backsteingebäude. Durch einen schummerigen Gang stiegen wir 29 Stufen hoch – meine Frau zählte sie laut mit. „Welcher Gast“, fragte sie, „will vor dem Essen bergsteigen?“ Im Lokal waren bei unserem ersten Besuch nur drei Tische belegt. Die Kellner standen gähnend im Hintergrund – eine Atmosphäre wie in einer HO-Gaststätte der DDR. Die Rückfahrt verlief ziemlich schweigsam. Mir war klar, was kommen würde. Christa hatte in allem recht, was sie gegen das Projekt vorbrachte: Hier ein heruntergekommenes Lokal in einer anrüchigen Gegend, dort eine bestens bezahlte Tätigkeit als Geschäftsführer eines boomenden Hotels und von zwei Restaurants. „Warum willst du das aufs Spiel setzen?“ Mir fehlte jedes Gegenargument. Aber ich hatte innerlich mit Kaltenkirchen abgeschlossen. Ich brauchte eine neue Herausforderung. Der Gedanke, ich müsste in Kaltenkirchen so weiterleben, machte mich mutlos.

Sicherheit gegen Veränderung

Es war eine Pattsituation: Sie wollte Sicherheit, ich wollte Veränderung. Beide wollten wir das um jeden Preis, auch um den Preis unserer Ehe. Was sie beim Anblick des Fischmarktes als ärmlich und ordinär empfand, kurbelte meine Fantasie an. Alles, was ich dort sah, war mir neu, alles fand ich spannend und machte mich neugierig auf ein neues Leben an diesem lebendigen Ort. Einem Ort, das ahnte ich, der sich in Kürze völlig verändern würde.

Als das alte Kühlhaus in Övelgönne zum „Augustinum“ umgebaut wurde, einem Alterssitz für wohlhabende Pensionäre, war klar: Die Große Elbstraße wird trendig. Heute ist sie eine Rennstrecke für Schaulustige und Feinschmecker. Auf den gut zwei Kilometern liegen gut 100 gastronomische Betriebe unterschiedlichster Qualität, einige mit Blick auf Riesenpötte im Schlepp der Lotsenboote, auf Fähren und Segelschiffe. Von der architektonischen Perlenkette am Elbrand wird gern geredet. Verlage, Agenturen, Reedereien haben sich hier angesiedelt. Eigentumswohnungen kosten fast so viel wie in Harvestehude, Hamburgs feinstem Stadtviertel. Nicht alles ist städtebaulich gelungen. Und Gott sei Dank ist die Patina der alten Großen Elbstraße noch nicht völlig wegpoliert. Das macht den Charme dieser Gegend aus. Und sie ist immer noch Hamburgs Fischmeile.

Die neue Aufgabe war wie geschaffen für mich, das fühlte ich. Nur – die hatte ich noch gar nicht. Es gab über 100 Bewerber. Und mein erster Kontakt mit der Hamburger Fischmarkt GmbH & Co. KG deutete nicht auf einen erfolgreichen Abschluss.

Ich bin ein höflicher Mensch, und dazu gehört für mich Pünktlichkeit. Um zehn Uhr sollte das Bewerbungsgespräch im Büro der Hamburger Fischmarkt GmbH stattfinden. Elf Minuten nach zehn stand ich atemlos vor der Tür der Gesellschaft. Auf der Autobahn Kaltenkirchen–Hamburg war ich in einen Stau geraten. „Tut uns leid“, hieß es kühl, „Sie sind zu spät. Sie können Ihr Konzept ja schriftlich einreichen.“

Zwischen Tradition und Trend

Eine Woche nachdem ich meine Bewerbungsunterlagen eingereicht hatte, erschien eine dreiköpfige Abordnung der Hamburger Fischmarkt GmbH in Kaltenkirchen. Sie guckte sich alles an, befragte Angestellte und Geschäftspartner, ließ sich von meinen Aktionen berichten – von den Matjestagen und Hawaii-Nächten –, diskutierte mit mir meinen Geschäftsplan, wollte eine Analyse, warum das jetzige Sellmer wie ein leckgeschlagenes Schiff dem Untergang entgegensegelte. Zwei Wochen später hatte ich den Zuschlag.

Ein gestrandetes Schiff wieder flottzukriegen ist oft schwieriger, als ein neues auf Kiel zu legen, das wusste ich. Und dieses hier war gründlich leckgeschlagen. Auf die alte Kundschaft konnte ich nicht hoffen. Wildliebhaber würden hier nicht mehr auf ihre Kosten kommen. Mein Konzept war unumstößlich. Künftig sollte es Fisch, Krusten- und Schalentiere geben, ein bis zwei Ausweichgerichte für Fleischesser, mehr nicht.

Küchenchef, das war klar, würde mein alter Freund Wolf-Dieter Klunker werden. Er hatte vorher im Anglo-German Club e.V., in der weißen Villa am Harvestehuder Weg 44 gearbeitet. Dort ging es very British zu – mittags war Frauen der Zutritt verboten. Das hat sich inzwischen geändert. Wer aber konnte ihm helfen, das zuzubereiten, was uns gemeinsam vorschwebte? Zwischen traditionellen und trendigen Gerichten sollte die Küche balancieren, zwischen internationalen und regionalen. Was mit Fleisch schmeckt, überlegten wir, müsste doch auch mit Fisch Anklang finden. Warum nicht Kabeljau auf Sauerkraut?

Geräucherter Lachs auf Grünkohl wurde ein Renner. Gefüllte Wachteln mit Jacobsmuscheln haben wir kreiert oder Kalbsbries mit Garnelen. Köstlichkeiten wie nordische Bouillabaisse, Austern in Champagnersauce, Wildlachs auf geschmortem Kürbisweinkraut, Skrei-Filet im Kräutersud, Zander auf Bohnenpüree und, und, und schwebte uns vor. Einfache Gerichte natürlich auch. Brathering zum Beispiel. Und, ganz wichtig, Labskaus, das traditionelle Seemannsgericht zu Zeiten der Frachtsegler. Eigentlich eine simple Resteverwertung, aber richtig zubereitet sehr schmackhaft. Nämlich aus gepökelter Ochsenbrust und nicht aus Corned Beef wie in den Touristenlokalen.

Die Übernahme im Januar 1981

Wir hatten Rezeptideen ohne Ende, aber keine Mannschaft, weder für die Küche noch für den Service. 24 Leute musste ich vom Vorbesitzer übernehmen, die meisten lahme Enten. Armin Scherer vom sterngekrönten Haus an der Elbchaussee half mir schließlich aus der Patsche. Er hatte eine Liste von jungen Bewerbern, die auf seiner Warteliste standen. Ich suchte mir die besten raus. Heute sorgt ein Team von 60 Angestellten für das Wohl der Gäste, davon allein eine Crew von 26 in der Küche.

Die Übernahme war im Januar 1981. Wir hatten schon während der Renovierung Kostgänger – wenn zehn kamen, verbuchte ich es als guten Tag. Aber der Umbau zog sich hin. Noch war nichts so, wie ich es mir vorstellte. Küche und Service liefen nicht rund – nur die Miete lief... Vielleicht hätte ich den Neuanfang nicht gewagt, wenn mir bewusst gewesen wäre, was da alles zusätzlich auf mich zukam. Es begann mit einer Abfindung von 75.000 DM für Ware und Inventar, die ich nicht hatte. Mein Haus in Kaltenkirchen stand erst seit ein paar Monaten. Das Bankkonto war leer. Schließlich sprangen meine Lieferanten ein, und auch die Hausbank ließ sich nach einigen Bedenktagen erweichen. Keiner meiner Geldgeber musste es bereuen.

Aus meiner heutigen Sicht: Ich bin da ziemlich vertrauensselig, ja naiv, rangegangen. Naivität kann aber auch eine Menge Kreativität freisetzen. Die offizielle Eröffnung unter dem Namen „Fischereihafen Restaurant Hamburg“ fand am 2. und 3. März 1981 statt. 6000 Briefe hatte ich an Hafen- und Schifffahrt bezogene Firmen verschickt, dazu Freunde und Prominente eingeladen. Es war ein rauschendes Fest. Das Hamburger Abendblatt titelte am nächsten Tag: „Ein neuer Stern am Hamburger Fischmarkt“. Worauf sich das „neu“ bezog, war allerdings nicht ganz klar. Am Fischmarkt gab es in den frühen 8oern kein einziges Restaurant von erwähnenswerter Qualität.

„Für das gute Essen herzlichen Dank“. Diese schlichte Anerkennung von einem mir Unbekannten war der erste Eintrag im Gästebuch Nummer eins. Inzwischen stapeln sich im Büro sechs dicke Wälzer, gespickt mit originellen Sprüchen, witzigen Gedichten, frechen Zeichnungen und Fotos prominenter Zeitgenossen.

Es ist wie im Theater

Die ersten Schritte waren getan, ich ging den richtigen Weg. Das Ziel lag aber noch in weiter Ferne. Als Gastroprofi und Sportfan wusste ich: Ein gelungener Start ist wichtig; aber nur, wer beständig in Bewegung bleibt, kommt erfolgreich ans Ziel. Ich hatte zu oft erlebt, wie Kollegen mit großem Bohei Eröffnungen feierten und ihnen nach einiger Zeit die Puste ausging. Gut gehende Gastronomie beinhaltet einen langen Lauf. Die Erwartung der Gäste will täglich erfüllt sein, wenn möglich übertroffen werden. Es ist wie im Theater – das Stück muss dem Geschmack der Besucher entsprechen, die Inszenierung stimmig sein.

Sich einen guten Ruf zu erwerben, kostet Kraft. Ihn zu verteidigen noch mehr. An 361 Tagen dirigierte ich 14 Stunden den Laden, vier Tage in diesem ersten Jahr erlaubte ich mir, nicht vor Ort zu sein – mit Grippe lag ich im Bett. Dieses Arbeitspensum hatte seinen Preis. Ich wog nur noch 56 kg bei meiner Größe von ein Meter 76. Und meine Ehe war am Ende. Für unseren Sohn Dirk, damals elf Jahre alt, eine schwere Zeit.

Privater Konkurs, geschäftlicher Erfolg: Bereits nach einem knappen Jahr hatte das Fischereihafen Restaurant ein treues Stammpublikum, war weit über Hamburg hinaus bekannt und immer öfter Ziel prominenter Gäste.

Das mitternächtliche Dinner

Zwei Ereignisse haben den Erfolg des Fischereihafen Restaurants festgeschrieben, lokal und dann sogar international. Das erste Datum betrifft den 13. Dezember 1981, ein knappes Jahr nach Eröffnung. Kurz vor Mitternacht fuhren ein halbes Dutzend schwarzer Limousinen und zwei Reisebusse vor. Was für ein festlicher Aufzug: 120 Herren im Frack und einige Damen in Abendgarderobe stiegen die steile Treppe zu meinem Restaurant hinauf. Leonard Bernstein mit den Wiener Symphonikern plus Ehrengäste kamen zum mitternächtlichen Dinner. Natürlich war ich vorgewarnt worden. Ein 35 Jahre alter Maltwhisky, den er gern als Aperitif trank, stand für den Künstler bereit, und ein Gastgeschenk hatte ich auch in der Hinterhand: die „Preußen“ als Buddelschiff. Mit ihren fünf Masten und 30 Rahsegeln sah sie selbst in Miniatur noch imposant aus. Sie war 1902 von der Reederei F. Laeisz auf große Fahrt geschickt worden, und die Musiker kamen gerade von ihrem Auftritt in der Hamburger Musikhalle, heute Laeisz-Halle.

„Lenny“, der geniale Dirigent, Komponist und Pianist, der anspruchsvolle Sinfonien geschrieben hat und wunderbare leichtfüßige Musicals wie „West Side Story“ – er war einer der liebeswürdigsten Menschen, die mir je begegnet sind. Seine unbändige Lebensfreude ließ keinen kalt. Er flirtete mit Frauen wie Männern. Die ganze Welt schien er zu umarmen. Ständig umlagerten ihn Fotografen, Journalisten, Bewunderer. Gegen ihn erschien mir Herbert von Karajan immer als das genaue Gegenteil. Der ließ schon bei der Anmeldung durch die Rezeption des Hotels Vier Jahreszeiten mitteilen: Falls irgendwelche Pressemenschen oder Autogrammjäger auftauchten, werde er sofort das Lokal verlassen. Bernstein dagegen genoss es, im Mittelpunkt zu stehen. Er konnte gar nicht genug davon bekommen. Wie die meisten Künstler liebte er Menschen, die ihn vorbehaltlos bewunderten und das auch zeigten.

Kostenlose PR

Das zweite Datum war der 7. November 1993. In einem Fernsehspot, der europaweit ausgestrahlt wurde, durfte ich für mein Restaurant Werbung machen. Dazu erschienen ganzseitige Anzeigen mit einer Karikatur von mir im „Spiegel“, „Stern“ und „Focus“. Eine grandiose Promotion. Kostete mich alles keinen Cent.

Bei einem Golfturnier in Frankfurt hatte mir Jürgen Aumüller, damals American-Express-Präsident, erzählt, seine PR-Leute suchten europaweit ungewöhnliche Locations für eine Werbekampagne, in der die Amex-Botschaft untermalt wird. Die lautete etwa so: „Wer viel von Geld versteht, hat wenig bei sich: Der Kenner isst in den feinsten Restaurants, wohnt in den besten Hotels und bezahlt mit seiner Unterschrift, mit seinem guten Namen.“ Da konnte ihm geholfen werden: Ich schilderte, wie es im Umfeld des Fischereihafen Restaurants aussieht: eine dunkle Meile, schröppige Flachbauten, Hafenambiente, ein Kompanie leichtbekleideter Mädchen winkend am Straßenrand – und dann, am Ende der Kamerafahrt, ein elegantes Restaurant mit Blick auf den glitzernden Strom. Das wäre doch was?!

Ein paar Monate später: Monsterlaster mit Equipment vor der Tür, ein US-Team von Producer, Script Supervisor, Location Manager, Art Director, Set Designer, Director of Photography, Sound Mixer und, und, und … stehen diskutierend unserem Servicepersonal im Wege. Sah aus, als sollte der zweite Teil von „Vom Winde verweht“ gedreht werden. Drei Tage Hektik, dann Klappe, finish, der TV- und Kinospot war im Kasten: zwei Filme à 30 und ein Streifen à 60 Sekunden. Danach – Tischbestellungen aus allen Winkeln Europas, selbst aus den USA und Japan. Wir konnten die Reservierungswünsche kaum bewältigen. Die halbe Welt schien diesen Werbespot gesehen zu haben. Mir war´s recht. Gut 400 Gäste hatten Küche und Service von nun an jeden Tag zu bewirten. Eine Zahl, die sich bis heute in etwa gehalten hat.

„Essen wie Gott in Deutschland“

Zwischen diesen beiden Erfolgsdaten gab es noch ein drittes Ereignis, das uns bekannt machte: die erste Kochsendung im deutschen Fernsehen. Sie startete im Januar 1987 im ZDF unter dem Titel „Essen wie Gott in Deutschland“. Über ein Jahr lang verrieten jeden Sonntag zur besten Sendezeit Sterneköche wie Eckart Witzigmann, Josef Viehhauser und Vincent Klink ihre Rezepte. Moderation Petra Schürmann. Wir waren das einzige Restaurant ohne Michelin-Auszeichnung, das dort aufkochen durfte.

Im Frühjahr 1997, kurz nachdem Susanne und ich zusammengezogen waren, bekam ich ein Traumangebot: mit der Concorde in 20 Tagen bei Mach 2,2 um die Welt. 80 Passagiere sollte ich kulinarisch betreuen. Natürlich aufs Feinste, schließlich war das keine Butterfahrt. Der Flug um den Globus mit sieben Stopps kostete die Gäste 80.000 Mark – pro Person. Meine erste Bedingung vor der Zusage: Nicht ohne meine Susanne! Wir einigten uns auf ein Zubrot für sie von 5000 – immerhin 75.000 Mark gespart. Für mich wurde Susanne zur unverzichtbaren Hilfe.

Der Törn, angepriesen als der absolute Jetset-Luxus, war für uns allerdings in erster Linie Knochenarbeit und Stress. Der begann schon, als wir unseren neuen Arbeitsplatz besichtigten. Diese wunderschöne, einmalige Überschallmaschine hatte zwar eine Länge von gut 60 und eine Spannweite von 25 Metern, aber in der Kombüse konnte man sich kaum umdrehen – so klein. Eine echte Herausforderung. Alles, was an Bord verzehrt wurde, musste bei Stopps in Dubai, Hawaii oder Acapulco vorbestellt werden und pünktlich bereitstehen. Das Programm versprach außerdem drei Galadiners. Das hieß für mich, frühmorgens in Sydney, Singapur und auf den Bermudas auf unbekannten Märkten mit ungewohnten Produkten das aufzutreiben, was abends serviert werden sollte. Eine abenteuerliche, oft hoffnungslose Suche.

Ein guter Koch muss improvisieren können. Nirgends Seezungen – dann eben Red Snapper. Keine Steinpilze – dann eben Shiitake. Dieser grandiose Arbeitstrip hat uns zusammengeschweißt. Als die Concorde drei Jahre später kurz nach dem Start vom Airport Paris-Charles-de-Gaulle mit 109 Menschen an Bord abstürzte, hat uns das tief getroffen.

Lebenslauf kommt ins Stolpern

Beruflich ging es bei mir bergauf, gesundheitlich geriet mein Lebenslauf ins Stolpern. Ich hatte mich zu viel ums Geschäft gekümmert und zu wenig um mein körperliches Wohl. Als Chef reißt man sich zusammen. Da zeigt man Willensstärke. Krank sein bedeutet Schwäche. Von Kindheit an hatte ich Probleme mit dem Herzen. Mit 40 fiel der Motor plötzlich aus. Ich lag lang, nichts ging mehr.

Glück im Unglück: Professor Dr. Roland Hetzer, der Mitte der 80er als Ärztlicher Direktor das Deutsche Herzzentrum Berlin aufgebaut und 1987 die erste erfolgreiche Implantation eines Kunstherzens vorgenommen hatte, nahm mich als Patient auf. Als ich aus der Narkose aufwachte, stand er neben meinem Bett und sagte: „Alles wunderbar verlaufen. Mit der künstlichen Herzklappe können Sie 100 Jahre alt werden.“ Und augenzwinkernd: „Aber keine Kneipenschlägereien mehr. Sie müssen ab sofort Medikamente einnehmen, die Ihre Blutgerinnung beeinträchtigen.“ 100 Jahre sind okay, dachte ich, dann habe ich noch 60 Jahre zu leben.

Heute bin ich nicht mehr jeden Tag im Restaurant, gönne mir auch mal eine Auszeit. Wir haben es geschafft, die Betonung auf Familienbetrieb zu verstärken. Natürlich ist Susanne mit an Bord und seit jüngster Zeit auch Benny, ihr Sohn aus erster Ehe, der längst auch mein Sohn ist. Er und Dirk verstehen sich als Brüder. Mit ihnen hat sich der Kreis der Besucher erweitert, ist jünger und bunter geworden. Dieser Spagat zwischen jüngerer und älterer Generation ist für jeden Betrieb eine wichtige Voraussetzung für den Fortbestand. Dirk brachte neue Ideen ein, die gemeinsam verwirklicht wurden: die Terrasse mit Elbblick zum Beispiel oder die Oyster Bar, ein Lieblingsplatz vieler Gäste. Ich bin heute eher so etwas wie ein Schiedsrichter, Ratgeber und auch Zensor. Wissen, Erfahrung und Routine, das kann ich einbringen. Auch folge ich weiterhin dem alten Lenin-Spruch: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Wenn ich Dienst habe, gehe ich wie seit Jahrzehnten um 11.30 Uhr in die Küche und probiere alle Saucen, alle Suppen, alle Dressings. Manchmal fehlt ein wenig Zucker oder Salz, etwas Dijon-Senf. Auf meinen Gaumen ist immer noch Verlass. Das gestehen mir sogar die Küchenchefs zu.

Der ideale Tag

Im Alter wird man gelassener. Was ich in den Stressjahren mir nur selten leisten konnte und einen „idealen Tag“ nannte, das kann ich mir heute jederzeit leisten: nach einem ausgiebigen Frühstück mit Susanne und Hund am Elbufer spazieren gehen, dann die „Heideräuber“ treffen, meine seit 25 Jahren altvertrauten Sportsfreunde, mit ihnen 18 Löcher Golf spielen, dann bei frischem Bier vom Fass, Hausmannskost, Klönschnack und bei einer Runde Skat den Nachmittag verbringen.

Das Leben, habe ich mal gelesen, ist wie eine Wanderung. Für jeden Abschnitt braucht man ein anderes Tempo, eine andere Gangart, hat einen anderen Blickwinkel. Wohl wahr! Ich kann es gelassener angehen: Das Haus liegt in guten Händen. Und falls ich es eines Tages nicht mehr schaffe, die 29 Stufen zu erklimmen – den Sessellift werde ich nicht benutzen, um den Kontrolleur zu spielen. Das habe ich meiner Familie versprochen.

Das Buch „Fisch & Kult“ (Edel Books) mit Texten von Jörn Voss und Fotos von Michael Holz kommt am Montag in den Handel und kostet 29,95 Euro