Die Verdrängung, neudeutsch Gentrifizierung, in dem Stadtteil ist enorm. Einige Alteingesessene scheinen ihn bereits aufzugeben.

Hamburg. Die Abendsonne taucht die Rote Flora in ein sanftes Licht. Vom "Galao-Strich" aus, so nennen Schanzenbewohner spöttisch die mit Stühlen und Tischen voll gestellte Piazza vor den portugiesischen Cafés am Schulterblatt, lässt sich das Elend komfortabel besichtigen. Es teilt sich unter dem Vordach des verwitterten Gebäudes ein paar - schanzenuntypisch kostenlose - Quadratmeter, dafür stinkt es hier, im Revier der Obdachlosen, erbärmlich. Der Russe Juri hat solche Nebensächlichkeiten längst hinter sich gelassen, eine Flasche Wodka in der Hand, eine vor Dreck starrende Matratze vor sich, fragt er: "Hast du Euro?" Er rechnet gar nicht mit einer Antwort.

Von ihrem Schmuddel-Image ist die Schanze längst runter. Frisch sanierte Altbauten säumen das Schulterblatt, allenthalben wird gebuddelt und verschönert. Wie aus der Zeit gerückt wirken da die Obdachlosen an der Flora, wo der Gegensatz zwischen den urbanen Hipstern auf der Piazza und den Menschen mit den fast zu Ende geschriebenen Lebensgeschichten besonders augenfällig ist. Die Schanze wird mehr und mehr zur Gastro- und Shoppingmeile - und nicht wenige Alteingesessene fühlen sich plötzlich fremd im eigenen Stadtteil. Die Mieten klettern seit Jahren, Wohnraum ist knapp oder wird aus finanziellem Interesse künstlich verknappt, der Quadratmeterpreis liegt bei rund zwölf Euro, in Spitzenlagen bei 20 Euro. Und die Kosten für Eigentum steigen nicht nur. Sie explodieren. Um satte 40 Prozent im vergangenen Jahr, belegt eine aktuelle Studie. Die Frage ist nicht, wer in die Schanze will. Sie lautet: Warum sollte man sich die Schanze leisten?

"Da ist mehr Schein als Sein", sagt Christiane Hollander vom Verein Mieter helfen Mietern. Die Schanze gelte vor allem bei jungen Leuten von außerhalb als kompromisslos hipp. "Ich wohne in der Schanze" sei schon eine Art Label geworden - dabei sprächen Alteingesessene nicht einmal von "der Schanze", sondern immer vom "Schanzenviertel". So beliebt der Stadtteil ist, so groß seien die Probleme: Für Kinder bliebe kaum Platz, stattdessen prägten "dicke Autos" das Bild. Und nun, wo in den Parkbuchten an der Susannenstraße eine Außengastronomie entsteht, werde es noch enger, noch lauter. "Wohnen wird hier immer anstrengender", sagt Hollander. Sie schätzt, dass sich das Viertel ähnlich entwickeln wird wie St. Georg, Ottensen oder auch wie in Berlin der Prenzlauer Berg: Auf die alternativen Trendsetter folgen die finanzstarken Singles, es wird saniert, kleine Händler verschwinden, große Ketten kommen - und am Ende bleibe von der Vielfalt nur eine öde, urbane Monokultur übrig. "Was hier abläuft", sagt sie, "ist nicht mehr gesund."

"Einfach nur irre", findet Werner Koch, 67, das Ganze. Er trägt einen Zylinder, einen braunen Blazer. Bis unter die Decke stapeln sich die Bücher in seinem Trödelladen an der Rosenhofstraße, in der Vitrine Nippes in rauen Mengen. Ein kauziges Original, ein Schanzen-Urgestein, das ist Koch. Einer, der seit 30 Jahren in der Schanze lebt und dort 15 Jahre - "gerne" - gearbeitet hat. Nun ist die Zuversicht geschwunden. "Die Leute kommen doch nur noch zum Essen und Trinken ins Viertel."

Andreas Schmieder, Inhaber von Elektro Kölsch, hat es bereits erwischt. 38 Jahre konnten Kunden in dem Geschäft am Schulterblatt Schrauben stückweise kaufen. Im September hat er die Segel gestrichen. "Je mehr junge Leute ins Viertel zogen, desto geringer war der Umsatz", sagt Schmieder. Innerhalb von vier Jahren habe sich die Kundschaft halbiert. Inzwischen hat er das Geschäft in Hamm neu eröffnet - zur deutlich geringeren Miete.

Bei etablierten Händlern hat sich längst das Gefühl eingestellt, dass die großen Ketten nur darauf lauern, das Viertel im Handstreich zu nehmen. Erst Adidas, dann McDonald's, jetzt der Schuhladen Goertz 17 - was kommt dann? Nicht wenige fürchten ums Überleben, bei Mietpreisen von bis zu 40 Euro/qm kommt das nicht von ungefähr. "Sehr wahrscheinlich werden noch mehr kleine Händler schlappmachen", sagt Bäcker Norbert Stenzel. Als die Bäckerei 1971 am Schulterblatt öffnete, lebten in der Schanze überwiegend Arbeiter und Ausländer, Mitte der 90er-Jahre geriet das Viertel als Treffpunkt von Drogenabhängigen in Verruf. Attraktiver wurde es erst, als von 2004 an umfänglich saniert wurde. "Das war anfangs positiv", sagt der 69-Jährige. "Es gab mehr Geld, alles ist viel sauberer geworden." Nun aber sei das Viertel "kurz vorm Umkippen", die Entwicklung "total überhitzt". Und wenn die Flora falle, dann falle wohl auch die Schanze. Nicht nur Linken, auch den Urbewohnern gilt das verwitterte Gebäude als letzte Bastion gegen Gentrifizierung, als buchstäblich zu Stein gewordenes Herz des Viertels.

Leute wie Stenzel hoffen, Leute wie Toni, 53, fügen sich zynisch ins vermeintlich Unvermeidliche. Vor einem Gemüseladen hält er Klönschnack mit seinem Kumpel Günni, 41. Toni wohnt seit 30 Jahren an der Juliusstraße, für 500 Euro auf 70 Quadratmetern. Mit einem alten Mietvertrag geht das. Einiges passt dem Altlinken nicht: dass ein Backpacker-Hotel mit 100 Zimmern an der Juliusstraße und ein Boardinghouse in einem Hinterhof am Schulterblatt entstehen. Das bedeutet: Noch mehr Touristen, noch mehr unappetitliche Hinterlassenschaften auf den Gehwegen, noch mehr Lärm. "Inzwischen hast du Preise wie in Eppendorf, aber nicht die Qualität von Eppendorf. Das sollte mal eine Begegnungsstätte für Anwohner werden", sagt er. "Nur die Anwohner findest du hier nicht mehr."

Es gibt sie, nur sie passen nicht jedem ins quadratisch-praktische Bild. Neubewohner wie Familie Peters: jung, erfolgreich, aber noch lange nicht abgehoben. Vor neun Jahren kauften Fiona Peters, 37, und ihr Mann Matthias, 41, ein Loft für damals 2500 Euro/qm an der Susannenstraße. Die Marketing-Frau und der Unternehmensberater leben mit Töchterchen Mhairi, acht Monate, auf 100 schicken Quadratmetern. Sie habe Verständnis für die aktuelle Diskussion, sagt Fiona Peters. "Ich weiß, dass wir diejenigen sind, die man eigentlich nicht hier haben will."