Im Männerwohnheim an der Rehhoffstraße sollen schicke Single-Apartments entstehen. Bezirk und Bewohner setzen sich zur Wehr.

Hamburg. Peter Amtmann lebt bescheiden. Knapp neun Quadratmeter misst sein Zimmer im zweiten Obergeschoss des Ledigenheims an der Rehhoffstraße. Sauber ist es hier und ordentlich. Auf dem Bett liegt eine rote Tagesdecke, auf der Kommode am Fußende steht ein kleiner Fernseher, an der Wand gegenüber reihen sich Tisch, Kleiderschrank, Kühlschrank und Vorratsregal aneinander. Das Bad liegt draußen auf dem Flur. Der 71-jährige Amtmann, ein ehemaliger Stahlschiffbauer, teilt es sich mit den anderen Bewohnern seiner Etage. Männern wie Werner Scobel, der seit 44 Jahren im Haus wohnt, Edelberto Izon, den es 1996 hierherverschlug, oder Michael Gerdes, der hier 2005 ein Zuhause fand.

Damals waren noch alle 112 Zimmer des Wohnheims an der Rehhoffstraße belegt, heute ist die Zahl der Bewohner auf 65 geschrumpft. Ein Investor aus Kopenhagen hat das Gebäude im Juli 2009 gekauft. Seitdem vermietet der Immobilienfonds frei gewordene Zimmer nicht mehr und lässt sie leer stehen. Der neue Eigentümer plant, das Männerwohnheim zu modernisieren und dort attraktive Single-Apartments einzurichten. Das hätte eine drastische Mieterhöhung zur Folge. Amtmann, Scobel, Izon und ihre Mitbewohner müssten ausziehen.

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Bis 2013 sind den Dänen die Hände gebunden, so lange gilt die soziale Erhaltungsverordnung "Südliche Neustadt", die vom Senat 1995 beschlossen wurde. "Mit den eher ärmeren, allein lebenden Männern gibt es hier eine schützenswerte Bevölkerungsstruktur", sagt Markus Schreiber, Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte.

Deshalb lehnte das Bezirksamt den Antrag des Investors auf Aufhebung der Erhaltungsverordnung ab. Zusätzlich will der Bezirk das 1913 errichtete Gebäudeensemble unweit des Michel, zu dem auch das sogenannte Ledigenwohnheim gehört, unter Denkmalschutz stellen. Damit wäre das Wohnheim mit dem schönen Terrazzoboden und den schmiedeeisernen Treppengeländern auch von innen geschützt. "Das haben wir schon vor drei Jahren angestrebt, jetzt wird es dringend", so Schreiber.

Denkmalschutzwürdig ist das Ledigenheim allemal, ist es doch integriert in einen der ältesten großen, noch vor dem Ersten Weltkrieg entstandenen Wohnungsbaukomplexe in Hamburg. Neben günstigen Wohnungen entstand hier auch ein Heim für unverheiratete Arbeiter. In den niedrigen Mieten war Wäsche und Reinigung enthalten, im Erdgeschoss gab es eine Gaststätte mit günstigem Essen. Im Zuge mehrerer Verkäufe und Rückkäufe sind die Mieten gestiegen, die Struktur des Gebäudes wurde verändert. Peter Amtmann und Werner Scobel haben alte Mietverträge und zahlen 153 Euro, Michael Gerdes zahlt bereits 178 Euro, alle, die später dazukamen, müssen für die kleinen Zimmer 250 Euro ausgeben. Die Gaststätte gibt es schon lange nicht mehr. In dem schönen, hohen Raum wurden die Decken abgehängt und Zwischenwände eingesetzt, die Räume sind jetzt an eine kulturelle und soziale Einrichtung vermietet. Die Bäder auf den Etagen sind marode, an den Wänden hat sich Schimmel gebildet. "Geputzt wird nur noch das Nötigste", sagt Peter Amtmann.

Trotzdem möchte der ehemalige Schiffbauer bleiben - ebenso wie die anderen Bewohner des Ledigenheims. "Wir fühlen uns hier wohl", sagt er. Die bescheidene Größe seines Zimmers sei für ihn nie ein Problem gewesen - er sei früher oft auf Montage im Ausland gewesen, etwa in Saudi-Arabien, da habe er auch oft in Containern gewohnt. Den anderen geht es ähnlich. "Viele von uns sind früher zur See gefahren, da hatten wir auch nur kleine Kojen", sagt Edeberto Izon, der seinen Beruf als Seemann 1999 an den Nagel hängte und seitdem als Koch arbeitet. Und Michael Gerdes ist froh, dass er überhaupt ein Dach über dem Kopf hat. Der frühere Maschinenschlosser war mit 40 Jahren zunächst arbeits-, dann obdachlos geworden. Zwei Jahre hat er auf der Straße gelebt und sich dabei große gesundheitliche Schäden zugezogen. Im Ledigenheim hat er ein neues Zuhause gefunden. Wenn es nach dem Willen der Bewohner ginge, sollten diese Möglichkeit auch andere Obdachlose bekommen. "Es ist doch nicht einzusehen, dass hier Zimmer leer stehen und andere Menschen keine Unterkunft finden", sagen sie. "Auch Studenten könnten hier untergebracht werden."

Um sich gegen die Umgestaltungspläne zu wehren, haben die Bewohner des Ledigenheims eine Arbeitsgruppe gegründet. Unterstützt werden sie dabei von einer Handvoll junger Menschen, die sie über die im Erdgeschoss untergekommene Kulturinitiative kennengelernt haben. "Wir haben eine große Sympathie für diese Männer, die in keinster Weise Sozialwracks sind, sondern einfach eine Lebensform bevorzugen, die vielen von uns fremd ist", sagen Eugen Regensburg, Sozialarbeiter, und Korbinian Fischer, Medizinstudent.

"Hier gibt es eine einzigartige Sozialstruktur, die eng mit dem Gebäude verknüpft ist", sagt auch Andreas Kroneder, der als Soziologe an der Humboldt-Universität in Berlin arbeitet und mit der Arbeitsgruppe für den Erhalt des Ledigenheims und des Milieus dort kämpft. Ihr Ziel ist es, das Erdgeschoss des Gebäudes in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen und das Haus zu sanieren, ohne die Mieter daraus zu vertreiben. Außerdem möchten sie den Leerstand beenden.

Regensburg, Fischer und Kroneder haben schon viele Hebel in Bewegung gesetzt. Sie haben bereits Rechtsanwälte um juristischen Beistand gebeten, den Architekten Peter Wilkens, SPD-Bezirkspolitiker Andy Grote, Michel-Pastor Hartmut Dinse und den Mieterverein zu Hamburg als Unterstützer gewonnen. Sie haben Termine mit potenziellen Investoren vereinbart und sich das Kloster St. Johannis in Eppendorf angeschaut, das durch eine Stiftung finanziert wird. "Etwas Ähnliches wäre auch für das Ledigenheim eine gute Lösung", sagen sie.

Andreas Kroneder hat das Männerwohnheim sogar zum zentralen Thema einer soziologischen Untersuchung gemacht. "Die Situation der Männer hier und die Weise, wie sie leben, schneiden viele gesellschaftliche Themen an", sagt er. "Wohnform im Alter, Gentrifzierung und Verdrängung - hier kommt alles vor." Unter www.rehhoffstrasse.de informiert die Arbeitsgruppe über ihre Arbeit und das Ledigenheim. Peter Amtmann, Werner Scobel, Michael Gerdes und die anderen Bewohner hoffen, dass sich eine Lösung findet, die ihrem Zuhause eine Zukunft sichert.