In Deutschland ist das schwierig. Viele haben es versucht – und sind gescheitert. Die Grünen haben es richtig gemacht.

Hamburg. Das Jahr 1982 hatte gerade begonnen, als sich die Alternative Liste (AL) erstmals auf einer Pressekonferenz den Hamburger Journalisten präsentierte. Im Schanzenviertel an der Bartelsstraße, im ersten Stock, im Hauptquartier. Sieben Mitglieder der jungen Partei wagten den Schritt in die Öffentlichkeit und sahen sich dabei als ein Delegiertenrat – ohne Häuptling, alle gleichberechtigt. „Es gab schon eine gemeinsame Position, in Form von Programmentwürfen, aber vor allem gab es ein abgrundtiefes Misstrauen gegenüber den Medien“, erinnert sich Gründungsmitglied Kurt Edler. Keinem der sieben durfte etwas Unabgesprochenes herausrutschen. „Für individuelle Positionen war kein Raum“, so Edler. Stattdessen wurde die konsternierte Presse mit einem bunten Spektrum von Meinungsträgern konfrontiert.

„Unsere Mitglieder setzten sich aus vielen verschiedenen Strömungen und den unterschiedlichsten politischen Selbstverständnissen zusammen“, sagt Edler. Die Kunst habe darin bestanden, ein gemeinsames ideologisches Dach zu schaffen und das Misstrauen der Strömungen auch untereinander abzubauen. Mit dem Einzug in die Bürgerschaft 1982 musste sich die Partei zudem mit der realen parlamentarischen Arbeit und der breiten Themenpalette auseinandersetzen und lernen, die eigenen Illusionen zu hinterfragen.

Doch trotz des holperigen Starts spürten Edler und dessen Weggefährten damals, dass sich das politische System bewegte: „Es war das Gefühl, dass wir uns in einem Umbruch befinden. Es geschieht etwas Neues, und wir können dabei sein. Das war prickelnd.“ Wenig später, im Frühjahr 1982, fusionierte die AL mit den Grünen zur Grün-Alternativen Liste (GAL). Unter ihnen Edler. Erst 2012 entschieden sich die Mitglieder, sich auch in Hamburg in Bündnis 90/Die Grünen umzubenennen. Sie fungierten bereits seit 1984 als Landesverband der Grünen.

Der Weg der GAL ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass sich eine Partei langfristig einen Platz auf den Stimmzetteln und in den Parlamenten erkämpfen kann. Der STATT Partei oder auch der Schill-Partei, zunächst Partei Rechtsstaatliche Offensive (PRO), glückte dies hingegen nicht.

Dabei ist die Gründung von Parteien selbst noch der einfachste Schritt, ist sie doch gemäß Artikel 21 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes frei. Das Parteiengesetz schreibt nicht einmal eine Mindestzahl von Parteimitgliedern vor. Allerdings sollten jene Vereinigungen von Bürgern „dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag mitwirken wollen“. Und ab da beginnen die Probleme: „Es dahin zu bringen, dass man zu einer Wahl zugelassen wird, ist wesentlich schwieriger, da man schon vorhandene Unterstützung beweisen können muss“, sagt der Hamburger Politologe Oliver Strijbis

Eine Partei schließlich zu etablieren ist der nächste und zugleich schwierigste Schritt. „Kurzfristig ist es zwar möglich, als Protestpartei ein gutes Wahlergebnis einzufahren. Das funktioniert allerdings nur, wenn man einen Moment mit hoher Abneigung gegenüber Regierungs- und Oppositionsparteien erwischt“, erklärt der Mitinitiator von politikprognosen. de. Zudem müsse der Zuspruch bereits vor der Wahl so stark sein, dass die potenziellen Wähler an ein Überschreiten der Wahlhürde glauben.

Markus Wegner erwischte 1993 so einen Moment. „Die Gründung der STATT Partei – anfangs als reine Wählerinitiative – war eine Antwort auf die beginnende Parteienverdrossenheit und die Selbstläufer-Kandidatenaufstellungen mit Namenslisten, die auf Parteitagen de facto nicht verändert werden konnten“, begründet Wegner. Der ausschlaggebende Anlass war dann „die Tatsache, dass ein mehrheitlich SPD-besetztes Verfassungsgericht keine Nachwahl zur Wahlaufhebung von 1991 für die restlichen zwei Jahre, sondern 1993 eine Neuwahl für vier Jahre zuließ“. Der darauf folgende Einzug der STATT Partei in die Bürgerschaft verhinderte eine absolute Mehrheit der Sozialdemokraten. „Ich hatte der SPD buchstäblich in die Suppe gespuckt“, sagt Wegner.

Laut Strijbis gelingt eine Etablierung vor allem mit einer inhaltlichen Positionierung, die sich von anderen Parteien unterscheidet. „Das muss ein Thema betreffen, das über eine längere Zeit in der Bevölkerung als bedeutendes Problem wahrgenommen wird“, sagt der Politologe. Und nicht zuletzt hätten neue Parteien einen entscheidenden Nachteil: „Sie erhalten noch keine namhaften Beiträge aus der Parteienfinanzierung. Um Wahlkämpfe bestreiten zu können, brauchen sie daher eine relativ große Zahl an Mitgliedern oder Mäzenen“, erklärt Strijbis.

Der PRO, später nach ihrem Vorsitzenden Ronald Barnabas Schill benannt, fehlte diese inhaltliche Positionierung. So erlebte die Partei eine Karriere im Schnelldurchgang – vom kometenhaften Einzug in die Bürgerschaft 2001 und der Regierungsbeteiligung unter Bürgermeister Ole von Beust (CDU) über Personalquerelen und den Koalitionsbruch bis zum Zerfall und Niedergang. Keiner der angefragten Protagonisten aus jener Zeit wollte sich übrigens gegenüber dem Abendblatt äußern. Politologen zufolge ist die Partei an den strategischen Fehlentscheidungen, den Skandalen und der fehlenden inhaltlichen Substanz ihres schillernden Namensgebers gescheitert. Ferner änderten sich die Wahlkampfthemen: Die innere Sicherheit, mit der Schill 2001 noch punktete, spielte in der Folge keine Rolle mehr.

Auch die STATT Partei suchte nach der ersten Euphorie nach einer gemeinsamen Ausrichtung und verlor sich. Wegner: „Schon Tucholsky schrieb: Man wünscht sich eine große Lange und bekommt eine kleine Dicke. Das ist bei Parteigründungen manchmal auch so.“ Es brauche klare Ansagen, sonst drohten krasse Missverständnisse. Verstand sich die STATT Partei zunächst als Gegenbewegung zu den Etablierten, einigten sich die Mitglieder anfangs noch auf Kernziele. Mehr Transparenz und innerparteiliche Demokratie sowie offene Mitsprache und Beteiligung sollten das Parteileben prägen.

Kompliziert wurde es dann in der Zusammenarbeit mit dem SPD-Partner, „der rein machtpolitisch arbeitete, uns zur Stabilisierung seiner Lager benötigte und allmählich unsere Ansätze auflöste, sodass wir keinen maßgeblichen Einfluss auf die Senatsentscheidungen nehmen konnten“, erklärt der heute 61-jährige Wegner. Ihn störte das, andere nicht.

Die Grünen sind aus einer Strömung von Bürgerinitiativen hervorgegangen

„Das bedeutet dann schnell Schluss mit lustig, also mit der Fraktion als Einheit.“ Unvorbereitet habe die Partei zudem eine hineingetragene Zerstörungswut getroffen. „Und ist erst einmal der Wurm drin, gehen leider meistens die Besten zuerst und fehlen als Stabilitätsanker, betont Wegner, der im Jahr 1994 den Fraktionsvorsitz aufgab und Monate später austrat. Bald darauf verschwand die Partei in der Bedeutungslosigkeit.

Die Grünen sind noch da, „weil sie aus einer relativ mächtigen Strömung von verschiedenen Bürgerinitiativen hervorgegangen sind, die Durchbrüche im gesellschaftlichen Bewusstsein in einem Ausmaß erzielt haben, wie das zum Beispiel bei der STATT Partei nie der Fall war“, sagt der mittlerweile 64-jährige Edler, der von 2000 bis 2001 Landesvorstandssprecher war. Entscheidend bei seiner Partei sei die breit aufgestellte Programmatik aus Sozialem, Ökologie, Gewaltfreiheit und Basisdemokratie gewesen. „Wir brachten ein neues Demokratiemodell und einen neuen Parteityp ein, weil wir starke Satzungsinstrumente gegen das Durchregieren schufen.“

Politologe Strijbis bezeichnet den Erfolg der Hamburger Grünen als nichts Außergewöhnliches: „In fast allen westeuropäischen Großstädten ist genug Wählerpotenzial für links von den Sozialdemokraten positionierte Parteien vorhanden.“ Ein Stadtstaat biete ferner den Vorteil, dass auch seine Wählerschaft rein städtisch sei. „Berücksichtigt man diesen Umstand, finde ich die Wähleranteile der GAL eher enttäuschend“, betont Strijbis.

Aktuellen Neulingen wie den Piraten und der Alternative für Deutschland (AfD) rechnet der Politologe unterschiedliche Überlebenschancen aus. „Die Piratenpartei kann es nur schaffen, wenn sie neben ihren Forderungen mit Bezug auf die Netzpolitik viel stärker auf ihre Forderung nach mehr direkter Demokratie setzt.“ Erfolgversprechender agiere die AfD. „Mit ihrer EU- und migrationskritischen Haltung positionieren sie sich in allen Bundesländern außer Bayern deutlich anders als die etablierten Parteien“, erklärt Strijbis. Umfragewerte zu diesen Themenbereichen und die Erfahrung aus dem nahen Ausland bescheinigten der AfD damit ein enormes Wählerpotenzial.

Kurt Edler glaubt, dass zu einer Partei mehr als eine Satzung, ein Programm und Parlamentssitze gehören: „Zu einer Partei gehört auch so etwas wie eine Kultur. Und Teil einer politischen Kultur zu sein und zu werden, das ist schwierig“, sagte Edler dem Abendblatt. Andernfalls bleibe es lediglich bei einem Feuerwerk.