Ein Jahr nach dem Methadon-Tod des Mädchens dauert die Aufarbeitung an. Hamburgs Sozialsenator ist zufrieden, doch es gibt Kritik.

Hamburg. Es ist ein Jahr her, dass ein viel zu kurzes Leben abrupt endete: In Wilhelmsburg starb am 16. Januar 2012 die elfjährige Chantal an einer Methadon-Vergiftung. Sie wurde in der Wohnung ihrer drogensüchtigen Pflegeeltern gefunden - in Obhut jener Menschen, zu denen das Jugendamt Mitte das Mädchen gegeben hatte. Offenbar wissend, dass das Mädchen in der Wohnung an der Fährstraße kein eigenes Bett hatte, dass die Pflegeeltern Drogenprobleme hatten, dass in den Monaten vor Chantals Tod mehrere Angehörige auf die schwierige Lebenssituation in der Familie hingewiesen hatten.

Niemand, so sieht es nach einem Jahr Aufarbeitung aus, hat etwas zum Schutz des Mädchens unternommen. Und so nahm Chantal am Abend jenes Januartages jene verhängnisvolle Tablette des Heroin-Ersatzstoffs, mit dem ihre Pflegeeltern ihre Sucht behandelten. Sieben Tage blieb ihr tragischer Tod unbemerkt. Doch dann sorgte die Nachricht bundesweit für Entsetzen und Fassungslosigkeit.

"Der Methadon-Tod von Chantal hat mich sehr erschüttert", sagt Detlef Scheele (SPD), Hamburgs Sozialsenator, heute. "Wir haben ein Desaster vorgefunden", erinnert er sich an die Tage und Wochen nach dem Tod des Mädchens, in denen Stück für Stück ans Licht kam, welche Versäumnisse es im zuständigen Jugendamt gegeben hatte, wie unzureichend die Pflegeeltern geprüft worden waren und wie mangelhaft die Aktenführung war.

Seitdem wird der Tod Chantals aufgearbeitet. Die Behörden haben sich die Akten aller anderen Pflegekinder der Hansestadt angesehen und haben die Arbeit der Jugendämter überprüft. In beiden Untersuchungen sind sie auf Fälle gestoßen, die die Sorge um Hamburgs Kinder steigen ließ. Auf Fälle, die deutlich machten, dass sich in der Jugendhilfe der Hansestadt Strukturen ändern müssen.

Am morgigen Dienstag kommt der Sonderausschuss zum Tod des Mädchens zu seiner nächsten Sitzung zusammen. Es wird um ein Qualitätsmanagement in der Jugendhilfe gehen. Eine der Maßnahmen, die nun ergriffen werden, damit sich Fälle wie jener der kleinen Chantal nicht wiederholen. "Man kann das System nur optimieren. Das tun wir, damit hoffentlich nie wieder ein Kind in einer Pflegefamilie stirbt", so Scheele. "Eine hundertprozentige Sicherheit, dass das nie wieder passiert, kann es jedoch nicht geben."

Zu den Maßnahmen, die die Stadt ergriffen hat, gehört eine strengere Überprüfung von Pflegeeltern. Wer heute ein Kind bei sich aufnehmen möchte, muss ein erweitertes Führungszeugnis sowie einen Drogentest für alle volljährigen Familienangehörigen vorweisen und an einer professionellen Vorbereitung auf die Pflegeelternzeit teilgenommen haben. Außerdem hat die Sozialbehörde mit den Akteuren der Suchthilfe den Schutz von Kindern drogenabhängiger Eltern neu geregelt und wird in diesem April eine Jugendhilfeinspektion einführen.

Bis Ende des Jahres, so kündigte es Sozialsenator Scheele am Wochenende an, werde die Stadt zudem überprüfen, wie stark die Mitarbeiter der Jugendämter belastet sind. Immer wieder - so auch im Fall Chantal - sind in den vergangenen Jahren Vorwürfe laut geworden, dass die Mitarbeiter der Allgemeinen Sozialen Dienste ihre Aufgaben zum Schutz der Kinder nicht gut genug wahrnehmen können, weil sie zu viele Familien betreuen.

"Wir sind sehr zufrieden mit dem, was wir schon erreicht haben", fasst Scheele die Arbeit der vergangenen Monate zusammen. Die Opposition aber gibt ihm nur zum Teil recht. "Es gibt einige gute Ansätze, zum Beispiel die Vereinheitlichung der Auswahlkriterien für Pflegeeltern", sagt die Grünen-Jugendhilfeexpertin Christiane Blömeke.

"Im Sinne eines umfassenden Kinderschutzes, der die gesamte Jugendhilfe und die Arbeit des Allgemeinen Sozialen Dienstes umfasst, sehen wir aber weiteren dringenden Handlungsbedarf", sagt Christoph de Vries, familienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.

So sei beispielsweise die Jugendhilfeinspektion zwar eine gute Idee. Sie sei aus Sicht der Christdemokraten aber nicht unabhängig genug, um die Fehler im System aufzudecken, und habe zudem keine Rechte, in die Strukturen einzugreifen, wenn sie Fehlentscheidungen entdecke.

Christiane Blömeke wirft dem Senat überdies vor, in der Aufarbeitung über das Ziel hinausgeschossen zu sein und beispielsweise das Pflegekinderwesen "unnötig überreguliert" zu haben. Nicht die Regelungen seien das Problem bei Chantal gewesen, sondern die Einhaltung der Standards. "Der Sonderausschuss hat hier noch ein großes Stück Arbeit vor sich."