Die Sozialbehörde will laut einem Schreiben zukünftig ohne freie Träger der Jugendhilfe arbeiten - obwohl das Parlament dagegen ist.

Hamburg. Ein internes Papier über den Umgang mit Pflegefamilien aus der Sozialbehörde sorgt für große Empörung bei den Bürgerschaftsabgeordneten. Das 13-seitige Schreiben legt nahe, dass sich die Behörde über den Willen der Ausschussmitglieder hinwegsetzt. Die Opposition fühlt sich hintergangen. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) beteuerte gestern, dass er weiter einen "breiten Konsens" finden wolle. Dabei hatte er bereits eine Schlappe erlitten, nachdem er im Jugendausschuss mit seinen Vorschlägen zu einer Reform des Pflegekinderwesens nach dem Methadontod der elfjährigen Chantal gescheitert war.

Worum geht es? Es ist der Entwurf einer sogenannten Fachanweisung Pflegedienst vom 24. Mai, der für Missmut sorgt und dem Abendblatt vorliegt. Darin heißt es: "In Hamburg werden zukünftig alle aufsichtlichen und unterstützenden jugendamtlichen Aufgaben im Zusammenhang mit Pflegekindern und Pflegepersonen in einem jugendamtlichen Pflegekinderdienst (PKD) wahrgenommen." Dieser PKD solle darüber hinaus Bewerber für ein Pflegekind werben und informieren. Im Klartext heißt das: Die Behörden sollen die Aufgaben wahrnehmen, die bisher freie Träger übernommen hatten. Genau darüber will der Jugendausschuss aber noch abstimmen.

Im Fall Chantal waren die freien Träger in Misskredit geraten. So ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen eine Mitarbeiterin des Trägers, der die Familie von Chantal betreut hat. Es besteht der Anfangsverdacht der Verletzung der Fürsorgepflicht.

+++ Der Fall Chantal +++

Auch deshalb setzte sich in der Sozialbehörde und in den Bezirken die Meinung durch, dass nur noch staatliche Stellen das Pflegekinderwesen organisieren sollten. Sozialsenator Scheele wollte deshalb die an freie Träger ausgegliederte Arbeit "rekommunalisieren". So heißt es in einem Eckpunktepapier, welches er dem zuständigen Jugendausschuss am 22. Mai vorgestellt hat. Doch in diesem Eckpunktepapier war die Rede davon, dass freie Träger sich noch bei der "Akquise und Qualifizierung" von Pflegeeltern betätigen sollten. In der Fachanweisung, die laut Datum zwei Tage nach der Ausschusssitzung verfasst wurde, ist davon nichts mehr zu finden.

Viel schwerer aber wiegt für Christoph de Vries, familienpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, dass sich die Behörde mit der Fachanweisung über den Willen der Parlamentarier hinwegzusetzen scheint. "Ich stelle mir die Frage, welchen Wert politische Zusagen von Senator Scheele haben, wenn zwei Tage nach einem einstimmigen Ausschussvotum unverdrossen an den Plänen weitergearbeitet wird."

Scheele hatte im Ausschuss bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers eine Niederlage erlitten, weil nicht nur die Opposition, sondern auch die SPD seinen Rekommunalisierungsplänen eine Absage erteilt hat. Das Eckpunktepapier sah vor, alle Verträge mit den Trägern vorsorglich zu kündigen - sofern der Sonderausschuss zustimmt. Als auch seine eigene Partei gegen dieses Vorhaben opponierte, sprach Scheele lediglich von einem "Vorschlag". Genau genommen braucht Scheele bei Fachanweisungen kein Votum des Ausschusses, sondern kann seine Vorstellungen einfach durchsetzen. Dennoch hat er sich für diesen Weg entschieden, "weil sich das Thema nicht für politische Grabenkämpfe" eigne.

Joachim Speicher, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, sagte, dass er nach Durchsicht des Behördenentwurfs "fassungslos" sei. Auf Träger werde offenbar kein Wert mehr gelegt. Freie Träger seien nicht nur günstiger als städtische Mitarbeiter, "ihre Arbeit ist aber auch wichtig, weil sich bei ihnen viele Menschen ehrenamtlich engagieren".

Melanie Leonhard, familienpolitische Sprecherin der SPD, sagte, dass der Behördenentwurf einen alten Sachstand wiedergebe. Es sei zwar "unglücklich, wie diese in den Umlauf gekommen" sei. "Ich bin aber überzeugt, dass der Sozialsenator seine Vereinbarung mit dem Ausschuss einhält." Das bekräftigte Scheele dann auch. "Mein Wort gilt. Die Verträge mit den freien Trägern werden nicht gekündigt." Die Neuordnung des Pflegekinderwesens werde ergebnisoffen mit den Abgeordneten des Ausschusses diskutiert. Das interne Arbeitspapier sei nicht mit ihm abgestimmt, sondern auf unterster Ebene entworfen worden. Aus der Behörde heißt es zudem: "Das Papier ist irrtümlich vordatiert worden."