4400 Demonstranten folgen dem Aufruf des Bündnisses “Mietenwahnsinn stoppen“. Farbanschlag auf das Büro von einem SPD-Abgeordnetem.

Hamburg. Es kamen mehr Demonstranten als erwartet. Rund 4400 Menschen versammelten sich ab 12 Uhr mittags bei sonnigem Herbstwetter auf dem Millerntorplatz, um gegen steigende Mieten und Wohnungsnot sowie mehr Mitbestimmung der Mieter und Anwohner bei Neubauprojekten zu demonstrieren. Die Polizei setzte ein Großaufgebot von 1500 Beamten und mehreren Wasserwerfern ein.

Mehr als 85 verschiedene Organisationen und Verbände hatten zu der Kundgebung am Sonnabend aufgerufen. Der Zeitpunkt der Protestveranstaltung - kurz vor der Veröffentlichung des neuen Mietenspiegels - war bewusst gewählt worden. Veranstalter Maarten Thiele vom Bündnis "Mietenwahnsinn stoppen" sah nur darin eine Möglichkeit, weiter an der Mieterhöhungsspirale drehen zu können. "Die wild zusammengeschusterte, angeblich wissenschaftliche und neutrale Berechnungsbasis des Mietspiegels führt stets nur zu Erhöhungen der Vergleichsmieten", sagte der 27-Jährige.

Im vergangenen Jahr wurden in der Hansestadt nach Angaben des Statistikamts Nord 3520 neue Wohnungen gebaut - 1,9 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Bei den Baugenehmigungen wurde ein Rückgang um 1,4 Prozent auf 4129 neue Wohnungen verzeichnet. Auf der anderen Seite steigen nach Angaben der HypoVereinsbank die Mieten in kaum einer deutschen Stadt so sehr wie in Hamburg.

Das protestierende Bündnis fordert vom Senat: niedrigere Mieten, keinen Wohnraumleerstand, einen gerechten Mietspiegel und feste Mietobergrenzen. Nach Angaben der Veranstalter fehlen in Hamburg derzeit 35 000 Wohnungen. Auf der anderen Seite stünden nach wie vor rund 1,4 Millionen Quadratmeter Büroraum ungenutzt leer.

+++ Mietenspiegel +++

+++ CDU und GAL lehnen Antrag gegen Mietwucher ab +++

"Mietwucher ist zu verbieten!", lautete eine der zahlreichen Thesen, die der "Orden der sanften Überredungskunst" als Gebet rezitierte, das etwa 50-köpfige Ensemble der Performance-Gruppe Schwabing-Grad-Ballett.

Tomte-Sänger Thees Uhlmann unterstrich seine Solidarität mit dem Bündnis durch einen kurzen Liveauftritt, den er mit einem, wie er selbst meinte, "schlechten Witz", eröffnete. Mit Blick auf die "Tanzenden Türme" des Stararchitekten Teherani am Millerntorplatz sagte Uhlmann: "Jemand muss mal dringend den Architekten anrufen - die Häuser sind schief!"

Neben etlichen jungen Menschen begaben sich jedoch nicht so viele Familien mit Kindern und Rentner auf den Herbstspaziergang durch St. Pauli und Ottensen wie erhofft. Einer der bürgerlichen Demonstranten, der 35-jährige Tobias Frank aus Hummelsbüttel, war mit seinem vier Jahre alten Sohn Moritz auf dem Arm "stellvertretend für die vielen jungen Familien gekommen, die sich keine günstige Wohnung in Citynähe mehr leisten können".

Die zahlenmäßig stärkste zusammenhängende Gruppe bildete jedoch der Schwarze Block, die Polizei sprach später von etwa 400 linksautonomen Demonstranten. St.-Pauli-Pfarrer Sieghard Wilm, der den Zug auf seinem roten Mountainbike begleitete, empfand den Versuch des Bündnisses, praktisch alle gesellschaftlichen Gruppen unter einen Demonstrationshut zu bekommen, als gewagt: "Jeder hat natürlich das Recht auf freie Meinungsäußerung, aber ich glaube, dass die extremen politischen Kräfte viele bürgerliche Demonstranten abschrecken."

Seine Hoffnung, die Demonstration möge friedlich bleiben, zerstob in der Bernstorffstraße. Nachdem auf das Büro des SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Andy Grote, der sich gerade im Sinne der Demonstranten für mehr bezahlbaren Wohnraum einsetzt, mit Farbe gefüllte Flaschen geworfen wurden, kam es dort zu Scharmützeln zwischen Mitgliedern des "Schwarzen Blocks" und der Polizei. Die Beamten setzten Pfefferspray ein, einige Demonstranten wurden leicht verletzt. Allerdings muss die Taktik der Polizei infrage gestellt werden, ob es klug war, mit massiver Präsenz die Bürgersteige gerade hier, an der engen, zugeparkten Bernstorffstraße, zu blockieren, wodurch der gesamte Demonstrationszug ins Stocken geriet und auseinandergerissen wurde. Erst dieses Polizeimanöver ("Verdichten!") führte augenscheinlich zu den üblichen "Haut ab!"-Sprechchören - und zu Provokationen und Handgreiflichkeiten.

Erstaunlich war die Nicht-Anteilnahme der Bevölkerung. Selbst an der Bernhard-Nocht-Straße, in Höhe der Hafenstraßen-Häuser, war von Anwohner-Solidarität kaum etwas zu sehen, zu hören oder zu spüren. Die Straßencafés und Restaurants entlang der Route waren voll, Kaffee und Kuchen schmeckten, und es schien, als fühlten sich die meisten Anwohner und Passanten regelrecht gestört.

Die Abschlusskundgebung auf dem Alma-Wartenberg-Platz verfolgten dann noch etwa 2500 Demonstranten. Die Stimmung war auch nach über fünf Stunden engagiert, aber friedlich. So friedlich, dass mehrere Polizistinnen endlich die Zeit fanden, in den zahlreichen Döner-Imbissen und Restaurants einem menschlichen Bedürfnis nachzugehen, das wahrscheinlich genauso dringend ist wie bezahlbares Wohnen.