Unterwegs mit den Politikern Andreas Dressel, Rüdiger Kruse und Katharina Fegebank, die ein “Sommerpraktikum“ machte.

Hamburg. Wenn schon auf den Sommer keinen Verlass mehr ist, dann wenigstens auf die Politiker. Ein solcher fährt auch in regnerischen Zeiten zum Urlauben am liebsten in den Harz, und wenn er nicht urlaubt, dann ist er auf Sommertour. Diese ist in der Regel ein bisschen so wie Wahlkampf - nur ohne Wahl. Doch wie die Beispiele tourender Hamburger Politiker zeigen, kann der Besuch beim Volk auch sehr aufschlussreich sein.

Vor allem, wenn man sich wie Andreas Dressel direkt in die Höhle des Löwen wagt: auf den Uni-Campus. In Zeiten drastischer Kürzungen der Hochschulmittel ist ein SPD-Politiker dort ungefähr so gern gesehen wie Karl-Theodor zu Guttenberg in einem Doktorandenkolloquium. Dressel allerdings traut sich und erfährt bei diesem Besuch, wie schön es für einen Politiker sein kann, einmal nicht erkannt zu werden. Oder sogar ignoriert zu werden.

Nun ist der Fraktionsvorsitzende Dressel bei Weitem nicht der Typ, der die Konfrontation scheut. Beim Mittag in der Schweinemensa (deren Name keinerlei Rückschlüsse auf das dort zu Verzehrende zulässt), ist die Dressel-Entourage aber wohl doch erleichtert darüber, dass ihnen kein aufgebrachter Student in die Currywurst spuckt. Oder Protest-Flyer gegen die Sparpläne an der Uni verteilt. "Früher gab es generell mehr Flugblätter", stellt Dressel, der hier Jura studiert hat und ohne die Krawatte noch immer ganz gut an die Uni passen würde, beim Gang durch die Mensa fest. Aber so bleibt mehr Zeit für die Anliegen der Uni-Mitarbeiter.

Jürgen Allemeyer vom Studierendenwerk beispielsweise kämpft auch während des Essens für den Betriebshaushalt, schließlich ist Hamburg jetzt die erste deutsche Stadt, die den Studenten den Mensazuschuss streicht. Mehr bezahlbare Wohnungen brauchen die Studierenden auch, ebenso eine flexiblere Kinderbetreuung. Und die Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften, an der Dressel zuvor vorbeigeschaut hatte, brauche neue technische Geräte. Als Jurist, der die Zeiten des Physik-Leistungskurses bis heute verflucht, ahnt man nicht, dass ein Mikroskop manchmal sauteuer sein muss.

Dressels Currywurst erkaltet langsam, durch Gespräche versucht er, den "Stein der Weisen gegen die Kürzungen" doch noch zu finden. Oder sich zwischen zwei Happen wenigstens eine Meinung zu bilden. Neben ihm sitzt die Abgeordnete Annkathrin Kammeyer und versucht derweil, ganz persönliche Empfindungen zu verdauen. Sie ist 21 Jahre alt und selbst Studentin, die Kürzungen des SPD-Senats mittragen zu müssen, kann da schon mal ein "Scheißgefühl" sein. Der Tag des ersten Wissenschaftsausschusses sei der schlimmste ihres Lebens gewesen, auch wenn sie verstanden habe, dass die Sachzwänge eben da seien. "Ich werde aber weiterhin die Stimme der Studenten sein", sagt Kammeyer, darum habe sie Dressel auch eingeladen.

Der gerät kurz nach dem Essen doch noch an Studierende. Der Asta-Vorstand hat sich formiert und ist skeptisch, wie der Uni-Bau bezahlt und die Rücknahme der Studiengebühren kompensiert werden sollen. Dressel hört zu, spricht und erklärt, und muss doch lernen: "Für einen Politiker konnte man gut mit ihm diskutieren", sagt Luise Günther später. "Was nicht heißt, dass wir aufhören werden, gegen die Kürzungen zu demonstrieren."

Ortswechsel. Für Rüdiger Kruse beginnt die "Sendung mit der Maus" im Krähenweg in Niendorf. Bei der Firma GK Kliewe lernt der Bundestagsabgeordnete von der CDU, dass man 76-Millimeter-Rohre auch im kalten Zustand biegen kann, dass ein 4000-bar-Wasserstrahl leise durch Metall schneidet, und dass dieser keine Nachwuchssorgen hat, Junior Thomas Kliewe führt das Unternehmen seit 2002 in dritter Generation.

Eine ganze Menge Information für einen 60-Minuten-Besuch. "Das war doch gut", sagt Hjalmar Stemmann. Der Bürgerschaftsabgeordnete und Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung MIT hat die Betriebsbesuche im Rahmen von Kruses Sommertour organisiert. Beide lassen sich auf dem Hof noch kurz den 42-Tonnen-Tauchsieder erklären, der für die Kupferhütte Aurubis überholt wird, dann geht's zur nächsten Station. "Wenn ich mit den Kammern spreche, bekomme ich einen guten Querschnitt", sagt Kruse, unterwegs in seinem dunklen Volvo, älteres Modell. "Aber ein 200-Mann-Betrieb hat eben andere Themen und Probleme als ein Fünf-Mann-Betrieb."

Kleinere Probleme auf dem Weg zum nächsten Termin lassen sich schneller beheben, auf dem Parkplatz vor der Textilpflege Niendorf würgt Kruses Mitarbeiterin den Volvo ab. Betreiber Andree Wolfert ignoriert das, er spricht von den Schwierigkeiten eines kleinen Unternehmens, die unzähligen Umweltauflagen zu erfüllen. "Aber andererseits will ich ja in zehn, 20 Jahren auch noch auf diesem Planeten leben", sagt Wolfert. Also hat er den Chemikalieneinsatz in seiner Reinigung auf ein Minimum reduziert. Und die 2500 Liter Wasser, die er täglich zum Kühlen braucht, fängt er unterirdisch wieder auf und speist damit Wasserhähne und Toilettenspülung. Kruse weiß natürlich, dass Nachhaltigkeit Geld sparen kann, dennoch sagt er: "Für mich ist die Sommertour immer wie die ,Sendung mit der Maus'."

Mäuse kommen Michael Durst nicht ins Haus. Der Fleischermeister hat sich mit Kollegen zur Durst & Günther Genuss-Factory GmbH zusammengetan. In der neuen 400-Quadratmeter-Produktion an der Oldesloer Straße ist alles picobello, die Besucher müssen weiße Kittel überziehen, grüne Schuhschützer und eine weiße Haube aufsetzen. Doch auch hier will der Besitzer Probleme ansprechen. Er würde gern expandieren, aber gutes Personal zu finden, werde schwieriger. Und dann das mit den Därmen, das sei nicht nachhaltig. Seine Wiener Würstchen muss Durst in Schafsdärme aus Neuseeland stecken, die aus EU-Ländern darf er nicht verwenden - ein Überbleibsel der BSE-Hysterie. Aber Därme aus Nicht-EU-Staaten werden gar nicht erst auf BSE getestet. Kruse schüttelt den Kopf. Er hat da mal ein Zitat von Bismarck gelernt: "Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie."

Katharina Fegebank gehört eher nicht zu diesen Leuten. Die Parteichefin der Grünen will alles ganz genau wissen, weshalb sie keine Sommertour macht, sondern ein "Sommerpraktikum". "Ich will den Grünen ein stärkeres sozialpolitisches Gesicht geben", sagt Fegebank. "Und damit ich weiß, wovon ich rede, muss ich vor Ort sein." Heute ist das der Hölderlin e. V. in Volksdorf, ein Verein für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Und als gute Praktikantin trinkt Fegebank nicht nur Kaffee, sondern greift in der therapeutischen Malgruppe selbst zum Pinsel. Die Gruppe, eher politikskeptisch, ist überrascht. "Die ist ja gar nicht wie ein richtiger Politiker, so steif und mit Krawatte", befindet eine etwa 30-Jährige. Fegebank, obwohl im Malen nach eigenen Angaben eine Niete, guckt glücklich. Selbst der ältere Mann, der bis dahin wortlos sein buntes Schneckenhaus ausmalt, erzählt plötzlich von seiner Erkrankung. Dass mal ein Politiker vorbeischaue, wünsche man sich doch, so Vereinsleiter Peter Borchardt. "Nur weil es Politiker sind, haben sie von ihrem Fach ja noch lange keine Ahnung."

Auf Fegebanks Bild prangen am Ende übrigens Windräder, die durch den rotorangefarbenen Hintergrund aussehen, als würden sie in Flammen stehen. Was man daraus über die Politik lernen kann, sei jedem selbst überlassen.