Jeden ersten Dienstag im Monat stellen wir Hamburger Institutionen vor, die wie eine Stadt in der Stadt funktionieren. Heute: Der Hafen.

Der Hafen gilt als Jobmotor der Metropolregion, 155.000 Arbeitsplätze hängen von ihm ab. Damit er rund um die Uhr läuft, unterhält die Hamburg Port Authority eigene Straßen, Brücken, Bahngleise, Hafenbecken und lenkt den Verkehr darauf. Andere Einrichtungen kümmern sich um die Ver- und Entsorgung der 11.000 Seeschiffe, die jedes Jahr hierherkommen.

Das Rathaus und der Bürgermeister

Nur einen Straßenzug entfernt von seinem Büro steht ein prächtiges Gebäude in der Speicherstadt, das allgemein als Hafen-Rathaus bezeichnet wird: die Zentrale des Umschlagunternehmens HHLA, das mit rund 4700 Mitarbeitern tatsächlich der Platzhirsch im Hafen ist. Doch Jens Meier weiß wohl, dass dieser Titel Rathaus eher den Anklängen von Gotik und Renaissance in der hübschen Fassade zu verdanken ist. Das eigentliche Rathaus des Hafens heute dürfte eben der alte, vor einigen Jahren zum Büro restaurierte Speicher P sein, in dem die städtische Hamburg Port Authority (HPA) ihren Sitz hat.

Gut 1800 Mitarbeiter hat die aus dem früheren Amt für Strom- und Hafenbau hervorgegangene Hafenverwaltung. Alles, was dazugehört, damit der Hafen rund um die Uhr funktioniert und Unternehmen wie die HHLA arbeiten können, wird von der HPA organisiert. Sie baut eigene Hafenstraßen, unterhält eine eigene Hafenbahn, baggert die Fahrrinnen aus, baut und pflegt fast 35 Kilometer Kaianlagen, vermietet die Hafenflächen, regelt den Verkehr von Schiffen und Lkw, vergibt Lizenzen für Lotsen und Hafenschiffer.

Jens Meier, ein blonder IT-Fachmann mit freundlichem Lächeln, ist ihr Chef. Der Bürgermeister einer Stadt, die sich Hafen nennt, wie manche sagen. 7187 Hektar ist diese Stadt groß, was immerhin zehn Prozent des Hamburger Staatsgebiets ausmacht: der größte Hafen Deutschlands, der drittgrößte Europas. Doch Meier selbst hört das Wort Bürgermeister nicht so gern, weil ihm dann auch noch politische Ambitionen unterstellt werden könnten. "Hafenmeister", sagt er, das treffe es besser. Auch "Vordenker" lässt er sich gefallen: Denn tatsächlich muss die HPA heute oft schon die Weichen für die Zukunft stellen.

Und einige hat Meier, ein studierter Informatiker, der aus der freien Wirtschaft kommt, schon auf den Weg gebracht. Lkw und Güterbahnen und natürlich die Schiffe werden immer mehr durch IT-Technik gesteuert. "Wir müssen den Hafen permanent effizienter machen, weil die Flächen ja begrenzt sind", sagt Meier, der aber trotz aller modernen Technik tief im maritimen Geschäft verwurzelt ist. Sein Vater fuhr als Ingenieur zur See. Und sein Großvater war selbst im Hafen beschäftigt.

Die Bewohner

Wie viele Bewohner diese Stadt eigentlich hat, ist gar nicht so klar. Geht es darum, Investitionen zu begründen, heißt es von den Hafenplanern oft, dass sie ganz viele seien. Man zählt dann die Hafenleute einfach mit, die woanders leben: So sollen in der gesamten Metropolregion rund 155 000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Hamburger Hafen abhängig sein. Immerhin noch etwas mehr als der gesamte Bezirk Bergedorf Einwohner hat oder sogar 50 000 mehr als die Stadt Cuxhaven. Insgesamt in Deutschland sollen es sogar 261 000 Menschen sein, deren Jobs irgendwie mit dem Hafen zusammenhängen. Direkt mit dem Hafen verbunden sind etwa 62 000 Arbeitsplätze in den Umschlagbetrieben wie HHLA, Eurogate oder Buss, bei Speditionen, bei Packbetrieben, in der Verwaltung, bei Polizei und Zoll oder auch bei speziellen Banken. Immerhin doppelt so viel, wie in einer Stadt wie Buxtehude wohnen. Und noch einmal 16 000 Menschen arbeiten in der Hafenindustrie, wie beispielsweise den Stahlwerken, deren Grundstoffe direkt per Schiff geliefert werden. Allerdings heißt es in den Statistiken, diese Jobs seien "hafenabhängig". Im Hafen selbst arbeiten verschiedenen Schätzungen zufolge knapp 40 000 Menschen.

Mit allen Einnahmen aus Steuern und Pachten erwirtschaften all diese Hafenianer jährlich mehr als 700 Millionen Euro in die Kasse Hamburgs. Und damit ist der Hafen nicht nur Jobmotor, sondern auch eine gute Geldquelle: Denn im Gegenzug investiert Hamburg jährlich etwa 115 Millionen Euro in diese Stadt in der Stadt. Unterm Strich bleibt also eine Menge übrig.

Die Verkehrsleitzentrale

Wer von seinen rund 50 Mitarbeitern kein nautisches Patent hat? Hafenkapitän Jörg Pollmann hält kurz inne bei dieser Frage. Eins, zwei, drei - er muss überlegen. Schließlich arbeiten im Oberhafenamt fast nur Nautiker, alles erfahrene Seeleute. Ein Kapitänsklub sozusagen? "Ja, kann man sagen", sagt der hochgewachsene Chefnautiker und lacht. Pollmann, der aus einer ostfriesischen Seemannsfamilie stammt, fuhr selbst als Kapitän auf großer Fahrt, arbeite dann bei Stauerei- und Kaibetrieben, bevor er vom Senat 1994 zum Hafenkapitän bestimmt wurde. Eine Mischung als maritimer Repräsentant der Stadt und oberster Verkehrslenker im Hafen - so könnte seine Stellenbeschreibung lauten. Pollmann selbst vergleicht die Aufgaben seiner nautischen Zentrale draußen am Seemannshöft auf Waltershof eher mit der Deutschen Flugsicherung. Tatsächlich hat er sich dort umgeschaut, und man habe gegenseitig "verblüffende Parallelen" festgestellt. Kein großes Schiff im Hafen fährt unbeobachtet und ohne Vorgabe durch das Oberhafenamt. "Die Slots der Flieger sind hier die Tidefenster", sagt Pollmann. Rund 11 000 Seeschiffe laufen Hamburg jährlich an. 320 Liegeplätze gibt es hier. 24 Stunden vor der geplanten Ankunft müssen sich Frachter anmelden. Wasserstand, Wind, andere, größere Schiffe im Begegnungsverkehr, besetzte Liegeplätze - das sind Variablen, die in der rund um die Uhr besetzten nautischen Zentrale im Blick bleiben. Und daraus ergeben sich Anweisungen an die Schiffe. Nichts wird dem Zufall überlassen, jede Schiffsbewegung ist via Transponder in Echtzeit zu sehen. Aber das Oberhafenamt ist noch mehr: Zulassungsstelle und TÜV für Hafenbarkassen, Pollmann selbst vergibt die Lizenzen für die rund 75 Hafenlotsen, die er auch in Theorie prüft. Mit der Wasserschutzpolizei kümmern sich die Nautiker um die Terrorabwehr.

Viel ist da zu tun, und nicht selten im Jahr klingelt bei Pollmann auch nachts das Telefon, wenn es zu besonders haarigen Situationen auf dem Fluss kommt. Aber ein Amt, sagt Pollmann, das sind wir eigentlich nicht. Eher so etwas wie ein Dienstleistungsbetrieb. Die täglichen Kontrollfahrten seiner Leute durch den Hafen nennt er dann auch lieber "Beratungsfahrten".

Der Hauptbahnhof

Der Raum ist in Dämmerlicht getaucht, auch jetzt am Vormittag, auf zahllosen Bildschirmen sind bunte Linien und Lichtpunkte zu sehen. Männer sitzen mit konzentriertem Blick davor, es wird nur leise gesprochen. Ein Flugzeugtower, so scheint es, wenn der Blick durch die großen Rundumscheiben nicht auf eine Vielzahl von Gleisen fallen würde. Rote Dieselloks rollen darüber, endlos erscheinende Waggonreihen mit Containern im Schlepptau. Wolf-Jobst Siedler, ein Mann in dunklem Anzug, mit runder Brille und freundlichem Blick, begrüßt die Besucher: "Ja, wir sind hier im Hauptbahnhof, im Hauptbahnhof des Hafens", sagt er. Siedler ist Leiter Bahnlogistik/-telematik bei der HPA und damit vielleicht einer der wichtigsten Leute im Hafen - obwohl er selbst das nie so sagen würde. Zwar denkt man beim Hafen vor allem an Schiffe. Doch der Hamburger Hafen verdankt seine Spitzenposition auch der Bahn, er ist der größte Eisenbahnhafen Europas, mehr als 300 Kilometer umfasst das Gleisnetz, das die HPA unterhält und das erst sicherstellt, dass die Container zum Kunden kommen.

Drei große und einige kleine Rangierbahnhofe gehören dazu, heute sind wir im größten auf Waltershof, dem Güterbahnhof Alte Süderelbe. Hier werden Containerzüge zerlegt, wie die HPA-Bahner sagen, Hier kommen die Boxen aus ganz Deutschland oder auch anderen Ländern an und werden auf die Terminals verteilt. Oder es werden Züge zusammengestellt, bis zu 700 Meter lang. Die Ziele liegen oft viele Hundert Kilometer weit weg, nicht selten in Südosteuropa. Rund 230 Züge mit gut 5000 Waggons rollen so täglich über die Hafengleise, hinein oder wieder hinaus. Immer elektronisch erfasst, Wartezeiten müssen gemieden werden, um effizient zu bleiben.

Kommt es irgendwo zur Störung, reagieren die Fahrdienstleiter sofort, stellen die Weichen. Immer unterstützt von neuer Informationstechnologie, die Siedler und seine Leute quasi permanent weiterentwickeln. Dem 44-Jährigen kommt dabei eine ungewöhnliche Kombination aus seinem Lebenslauf zugute. Schon als Student der TU Hamburg hatte er eine eigene Softwarefirma, ein Hamburger Handelshaus engagierte ihn schließlich als IT-Leiter in Asien, zehn Jahre verbrachte er "ein Leben im Flieger". Als er sich wegen der Familie wieder nach Hamburg orientierte, wurde die HPA hellhörig - und das nicht nur wegen seiner IT-Erfahrung. Schon seit der Schulzeit ist er bei einem Verein in Niedersachsen dabei, der eine Museumsbahn betreibt. Neben Studium und Beruf legte Siedler sogar offizielle Prüfungen zum Zugführer ab. "Ich würde mich nicht als Freak bezeichnen", sagt er, "aber wie Eisenbahn funktioniert, das weiß ich."

Das Straßenbauamt

Es war diese Stellenanzeige, die sie faszinierte: 1992 war das, und das damalige Amt für Strom- und Hafenbau warb um Ingenieure. Christine Muruszach, damals in Dortmund zu Hause, war vor allem von einem kleinen Bildchen in der Ausschreibung begeistert: Die Köhlbrandbrücke im Hamburger Hafen war darauf zu sehen. "Brücken faszinieren mich einfach, Ästhetik wie Statik", sagt die heute 48 Jahre alte Bauingenieurin. Und was könnte da schöner sein, als dort zu arbeiten, wo nicht nur die majestätische Köhlbrandbrücke, sondern noch 80 weitere Straßenbrücken stehen. Eben im Hamburger Hafen. Heute ist Christine Muruszach Leiterin Straßennetz bei der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA). Herrin über ein 130 Kilometer langes System von Hafenstraßen. Anders als im "Rest der Stadt", wie sie sagt, baut und pflegt die HPA dieses Netz in völliger Eigenregie. "Alles aus einer Hand im Hafen - das ist unser Leitgedanke", sagt sie. Und zu diesem Straßennetz gehören eben auch jene 80 Brücken. Viele kleine sind dabei, aber auch sehr gewaltige wie die Köhlbrandbrücke, deren theoretische Lebensdauer die HPA derzeit untersuchen lässt. In 20 Jahren vielleicht steht ein Neubau an. Konkreter ist das Projekt einer neuen Retheklappbrücke. Gut 100 Millionen Euro wird sie kosten und soll einmal die größte Klappbrücke Europas werden. Was kann einem Brückenfan Besseres passieren als ein solcher Job?

Die Polizei

Er trägt vier goldene Streifen am Ärmel seines dunklen Jacketts, eine weiße Mütze, Krawatte und weiß, wie man jovial und nett lächeln kann: Wer Frank-Martin Heise im Hafen begegnet, könnte auch einen Kreuzfahrtschiff-Kapitän vor sich wähnen. Das ist der 44-Jährige zwar nicht, aber wie der Kommandant auf einem großen Schiff ist er Chef für eine ziemlich große Crew: Heise ist seit 2010 Leiter der Hamburger Wasserschutzpolizei, der immerhin ältesten Hafenpolizei der Welt. 1787 wurde sie mit zwölf Mann gegründet, um die immer zahlreicher werdenden Ladungsdiebstähle im Hafen zu verhindern. Seit 225 Jahren hat der Hafen daher eine eigene Polizei, die aber weit mehr macht, als nur hinter Langfingern her zu sein. "Unser Hafen ist immer sicherer geworden", verspricht Heise dann auch und meint vor allem die Terrorabwehr, die heute eine der Zentralaufgaben der immerhin mehr als 500 Leute umfassenden Truppe ist.

Tatsächlich gleicht der Hafen heute einer Hochsicherheitszone, seit die Vorschriften nach den Anschlägen vom 11. September 2001 immer weiter verschärft worden sind. Heute kommt kein Besucher mehr auf ein Terminal oder gar auf ein Schiff ohne strenge Zugangskontrollen. Frachter müssen ihre Daten zudem 24 Stunden vor dem Einlaufen bei der manchmal als "Waschpo", manchmal auch etwas respektlos als "Entenpolizei" bezeichneten Wasserschutzpolizei anmelden. Jederzeit können die Beamten verdächtige Container öffnen und Personen auch ohne Verdachtsmomente überprüfen. Nur im Hafen, versteht sich.

Die Stadtwerke

Kräftig muss Jeanine Reinecke an der schweren Stahlklappe rucken, bis sie sich öffnet. Der Blick fällt auf klares Wasser, das dort tief im Bauch der 38 Meter langen "Hadersleben" schwappt. Trinkwasser, das mit einem solchen Wassertanker zu den großen Schiffen im Hafen gebracht wird. Jacobsen & Cons., so heißt das Unternehmen, das die 30 Jahre alte Biochemikerin mit ihrem Vater leitet. Drei solcher Wasserboote betreibt sie im Hafen, gut 500 Tonnen kann die "Hadersleben" laden, bis zu 1000 braucht ein Kreuzfahrtschiff. Alle drei Monate werden ihre Tanks streng kontrolliert. Es ist ein altes Geschäft im Hafen, schon der Ururgroßvater von ihr war als Teilhaber dazugekommen.

Im 18. Jahrhundert wurden die Wasserboote noch gerudert, und mehrere Familien waren daran beteiligt. Auch wenn heute viele Schiffe Wasseraufbereitungsanlagen an Bord haben, die Wasserboote von Jacobsen & Cons. liefern rund um die Uhr, zuverlässig wie städtische Wasserwerke, das frische Nass ihren Kunden an den rund 320 Liegeplätzen. Sie gehören damit zu einer riesigen Flotte von solchen Hafenfahrzeugen, die die Ver- und Entsorgung von Seeschiffen als Service anbieten. Ölrückstände, Abfall, Abwasser - das alles übernehmen ein gutes Dutzend Hafenbetriebe mit ihren kleinen Schiffen. Pläne gibt es, große Kreuzfahrtschiff mit mobilen, schwimmenden Kraftwerken auch mit Strom zu versorgen. Emsig wie Bienen in einem Ameisenstock kreisen diese Ver- und Entsorgungsschiffe durch das weit verzweigte Hafengebiet, nachts schwirren die roten, grünen und weißen Positionslichter vor den Kaikanten. Ein Schwarm, der immer in Bewegung ist, schwimmende Stadtwerke, die den Hafen am Leben erhalten.

Das Krankenhaus

Schon bei der ersten Kontaktaufnahme per Telefon wird klar, dass man dort eine eigene, eine maritime Welt betreten wird. "Durch den Haupteingang - und dann ein Deck tiefer", erklärt Jan-Gerd Hagelstein den Weg zu seiner "Seemannsambulanz" im Wilhelmsburger Krankenhaus Groß Sand. Seit 1995 schon behandelt der Mediziner Seeleute aus aller Welt in Hamburg. Vor knapp drei Jahren verlegte der 55-Jährige die Praxis in das Wilhelmsburger Hospital, mit dem er kooperiert. Eine Art Hafenkrankenhaus oder eben das Krankenhaus des Hafens, wenn man ihn als eigene Stadt betrachtet. Im Wartezimmer hängen Bilder von Schiffen und alte Hafenpläne. Am Empfangstresen erklärt eine Mitarbeiterin einem asiatisch aussehenden Mann in den Dreißigern auf Englisch, welche Unterlagen sie von ihm benötigt. Unmengen von Teddybären mit Matrosenuniformen sind in einer Vitrine ausgestellt. Eine Sammelleidenschaft, wie Hagelstein sagt.

Und auch ein Wiedererkennungszeichen. Seeleute, die in Hamburg einen Arzt brauchen, erinnern sich vielleicht nicht an die Adresse. "Aber an den Doktor mit den vielen Teddys - da wissen die Taxifahrer gleich Bescheid", sagt Hagelstein, der an seinem Arztkittel noch die goldenen Knöpfe aus seiner Marinezeit trägt. Nach dem Abitur hatte er zunächst Schifffahrtkaufmann gelernt, bekam dann einen Studienplatz und ging nach dem Abschluss zur Marine, wo er zuletzt Flottillenarzt war. Mit diesem Hintergrund gründete er seine Praxis für Seeleute. Nicht unbedingt für Not- und Unfälle, Hagelstein versteht sich eher als der Hausarzt für die Crews der rund 11 000 Schiffe, die den Hafen jedes Jahr anlaufen.

Viel hat sich da verändert in den vergangenen Jahren. Kurze Liegezeiten, extrem wenig Schlaf, permanenter Lärm und Sorge um den Arbeitsplatz. Das setzt den Menschen auf den Schiffen zu. Gerade Seeleute aus Ländern wie den Philippinen stehen heute unter einem extremen Druck, sagt Hagelstein. Oft sind es stressbedingte Erkrankungen, die er behandeln muss. Schnell behandeln muss. Aus Angst vor dem Jobverlust zögern viele den Gang zum Mediziner hinaus. "Die kommen erst, wenn sie den Kopf unterm Arm tragen", sagt Hagelstein. Termine bei Laboren oder Fachärzten können aber nicht lange hinausgezögert werden, weil die Schiffe nach wenigen Stunden wieder auslaufen. Sein persönliches Netzwerk und die Nähe zu den Einrichtungen des Wilhelmsburger Krankenhauses seien daher hilfreich, um rasch helfen zu können.

Die Schulen

Mit metallischem Scheppern lässt ein XXL-Stapler einen Container zu Boden, eine Zugmaschine kurvt daneben zwischen roten Zylinderhütchen, gelbe Warnleuchten flackern - auf dem Asphaltplatz neben dem Musical-Zelt auf Steinwerder herrscht normaler Hafenbetrieb, so könnte man meinen. So wie auf den großen Containerterminals im Hafen auch, wo Tag und Nacht die stählernen Boxen verladen werden. Doch hier wird gerade geprobt - so wie vormittags bei den Musical-Leuten nebenan auch. Der 10 000 Quadratmeter große Platz gehört zur Hafenakademie. "Wir besetzen hier eine Nische", sagt Thomas Rübcke. 2007 hatte der 60-Jährige die Akademie auf Initiative einer Hafenfirma gegründet, die Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften hatte. Heute bildet die Hafenakademie in Drei-Monats-Kursen mit Theorie und Praxisteilen für den gewerblichen Bereich im Hafen und darüber hinaus aus. Die Grundschule ist dabei quasi das Staplerfahren - ein Job, der gekonnt sein will und der bei vielen Lager- und Packbetrieben angeboten wird. Spezialisiert ist die Akademie auch auf Großgeräte, wie Rübcke sagt. Jene Monstren, die Container an Land bewegen. Und dabei ist die Hafenakademie nicht die einzige Schule des Hafens. Im Schatten der Köhlbrandbrücke bietet auch das Maritime Competenzcentrum ma-co etliche Seminare für einen Job im Hafen an: eine spezielle Lkw-Fahrer-Ausbildung etwa, Fahren mit Container-Großgeräten, Schiffsverladung, Terrorabwehr oder den Umgang mit Gefahrgut - so lauten die Kursprogramme. 20 feste und 75 freie Trainer arbeiten dort.

Die Kirche

Wer aus dem Dachfenster schaut, blickt direkt auf die Köhlbrandbrücke. Lkw um Lkw reihen sich dort, ein fernes Dröhnen ist zu hören und gelegentlich der Krach der nahen Containerterminals. Der Hafensound eben, der hier drinnen im ersten Stockwerk des Seemannsclubs Duckdalben aber schnell in den Hintergrund tritt. Eine Bibel liegt dort auf einer Art Altar. Dazu ein Kruzifix aus schwarzem Ebenholz, Ikonen der orthodoxen Kirche. Aber auch einen Koran mit grün eingefassten Seiten entdeckt man in einer Nische des Raums mit dem schrägen Holzdach. Einen kleinen Tisch mit Bildern von Gottheiten der indischen Sikh, religiöse Symbole von Hindus und Buddhisten: Ein Tempel, eine Kirche für alle Religionen, so erscheint es, ist dieser "Raum der Stille", wie er im Klub genannt wird.

"Ja, man kann sagen, dass wir und speziell der Raum hier die Kirche des Hafens sind", sagt der 55-jährige Seemannsdiakon Jan Oltmanns, der den international oft ausgezeichneten Klub seit seiner Gründung vor 26 Jahren leitet. Eine kleine Oase der Ruhe ist er mitten im Industriegebiet Hafen. Längst besteht der Landgang vieler Seeleute nur aus einem kurzen Bustransfer zu diesem Klub, wo sie mit der Familie telefonieren können, ins Internet schauen, Kaffee trinken oder auch mit Kollegen Billard spielen.

Für Touren in die eigentliche Stadt fehlt den Männern, die vielfach aus Billiglohnländern kommen, nicht nur die Zeit, sondern auch das Geld. Mit Romantik hat Seefahrt nichts mehr zu tun, sagt der hagere, in Ostfriesland geborene Diakon mit einer tiefen, sonoren Stimme. Und darum habe der Klub auch den Raum der Stille geschaffen, gleichberechtigt für viele Religionen. Man wolle bewusst nicht missionieren, sondern jedem Seemann ein Stück heimischer Kultur und Besinnung bieten, sagt Oltmanns. "Seeleute", sagt er, "üben einen Beruf aus, der sie fort von den Familien, dem eigenen Sprachraum, dem gewohnten Klima, der Kultur bringt." Der ihnen förmlich den Boden unter den Füßen nimmt. "Wir wollen da Halt bieten", sagt Jan Oltmanns. Und Religion sei ein solcher Halt, "und dieser Halt ist uns heilig".