Jeden ersten Dienstag im Monat stellt das Hamburger Abendblatt Institutionen aus der Hansestadt vor, die wie eine Stadt in der Stadt funktionieren.

Das AEZ hat so viele Mitarbeiter wie Ochsenwerder Einwohner. In seinen 240 Geschäften kümmern sich rund 2300 Menschen um die Kunden. 47.177 sind es im Schnitt an einem Sonnabend.

Die Bürgermeister

Das Handeln liegt bei Karsten Bärschneider in der Familie. Der Vater des 44-Jährigen arbeitete schon bei Karstadt, Bärschneider selbst schob als Jugendlicher die Einkaufswagen in der Lebensmittelabteilung der Warenhauskette zusammen, um sich ein wenig Taschengeld hinzuzuverdienen. Später managte der hochgewachsene Handelsfachwirt Filialen von Peek & Cloppenburg und arbeitete im Modehaus Beutin am Jungfernstieg. "Daher kann ich mich gut in die Mentalität und die Bedürfnisse der Einzelhändler hineinversetzen", sagt der Centermanager des Alstertal-Einkaufszentrums (AEZ).

Seit 2009 ist Bärschneider Herr über Hamburgs größtes Shoppingcenter, das 240 selbstständige Geschäfte auf fast 60 000 Quadratmetern umfasst. Es ist Teil des Hamburger Konzerns ECE, der weltweit mehr als 180 Einkaufszentren betreibt und seinen Sitz nur wenige Meter entfernt im Herzen Poppenbüttels hat. Rund 300 Millionen Euro werden jährlich im AEZ umgesetzt. Die Mieter reichen von großen Konzernen wie C&A, Hollister oder Apple bis hin zu kleinen, inhabergeführten Geschäften wie dem Modeladen Von Herzen, in dem die Chefin selbst bedruckte T-Shirts und Kissen verkauft.

"Wir verstehen uns vor allem als Berater der Mieter", sagt Bärschneider. Wenn Umbauten eines Ladens anstehen, die Geschäfte nicht optimal laufen oder die Verlängerung eines Mietvertrags bevorsteht, beratschlagt der Centermanager mit den Filialleitern über die passenden Maßnahmen.

Zusammen mit seiner Kollegin Julita Hansen, 33, achtet Bärschneider auch darauf, dass der Mietermix im Einkaufszentrum stimmt. Rund zwei Drittel der Geschäfte sollten an große internationale Modelabels vergeben sein, weil sie am besten gewährleisten, dass die Kunden auch längere Wege auf sich nehmen, um ins AEZ zu kommen. Daneben gibt es im Einkaufszentrum fast alles, von teuren Uhren über günstigen Schmuck, Stofftiere, Bücher und Schuhe bis hin zu Kaffee, Handys und Computern. "Nur eine Zoohandlung wünschen sich viele Kunden noch", sagt Bärschneider. Die steht auf der sogenannten Fehlbranchenliste, die der Centermanager am Informationsschalter führen lässt und die ergänzt wird, wenn Kunden nach einem Geschäft fragen, das nicht vorhanden ist.

+++ Wissenswertes +++

+++ Geschichte des AEZ +++

+++ Die Serie im Überblick +++

Die Bewohner

Die Zahl der Kunden, die ins AEZ strömen, schwankt je nach Wochentag. 36 076 sind es an einem durchschnittlichen Montag, 32 705 Mitte der Woche und 47 177 am Sonnabend. Dabei reicht das Einzugsgebiet bis nach Ahrensburg, Bargteheide und Norderstedt. Tendenziell besuchen mehr Frauen als Männer das Einkaufszentrum. "Unsere durchschnittliche Kundin ist eher etwas älter, kaufkräftig und anspruchsvoll", sagt Julita Hansen.

In den 240 Geschäften sind rund 2300 Menschen beschäftigt - vor allem Verkäuferinnen, aber auch Friseure, Kellner, Bankangestellte oder Techniker. Das eigentliche Team des Centerbetreibers ECE ist hingegen mit gerade einmal 20 Mitarbeitern recht überschaubar.

Die Bürgervertretung

Die Mieter im AEZ entscheiden in der Regel vollkommen unabhängig vom Centermanagement, wie sie ihre jeweiligen Geschäfte führen. Gemeinsam beraten sie nur über Marketingmaßnahmen, die das gesamte Einkaufszentrum betreffen. Dazu tagt viermal im Jahr die Geschäftsführung der Werbegemeinschaft, in der alle Mieter vertreten sind. "Wir entscheiden beispielsweise über die Gestaltung des Weihnachtsmarkts oder darüber, in welchen Medien geworben werden soll", sagt der Vorsitzende der Gemeinschaft, Dieter Zeih, der auch Geschäftsführer der Kaufhof-Filiale im AEZ ist.

Die Katakomben

Abseits der blank geputzten, glitzernden Ladenstraßen gibt es im AEZ noch ein paralleles Labyrinth aus grauen Gängen, Lagern und Technikräumen, die der gewöhnliche Kunde nie zu Gesicht bekommt. Dies ist das Reich von Haustechniker Marcus Peters, 42, der schon seit 17 Jahren in den sogenannten Katakomben dafür sorgt, dass die Geschäfte im Einkaufszentrum nicht aus technischen Gründen ins Stocken geraten. Regelmäßig wartet er etwa die störanfällige Lüftungsanlage, die warme und kalte Luft in die Läden schaufelt. "Die Kühlung ist in einem Einkaufszentrum viel wichtiger als die Heizung", sagt Peters. "Warm wird es im AEZ durch die vielen Menschen und die unzähligen Lampen fast von allein." Peters und seine sieben Kollegen kümmern sich aber beispielsweise auch um die Brunnenanlage, die dafür sorgt, dass die sieben Springbrunnen im Center ständig mit gechlortem und mit einem Algizid versetzten Wasser versorgt werden. "Einmal wöchentlich müssen wir die Wasserqualität kontrollieren", sagt der gelernte Elektroinstallateur. "Im Prinzip funktioniert unser Pumpensystem wie in einem Schwimmbad."

Am häufigsten werden die Haustechniker übrigens ins Parkhaus des AEZ mit seinen mehr als 3000 Plätzen gerufen. "Drei- bis viermal am Tag kommt es vor, dass ein unaufmerksamer Autofahrer beim Heraus- oder Reinfahren die Schranke beschädigt", erzählt Peters. Meist lässt sich das Malheur mit einigen Handgriffen beheben. Für die ganz schweren Fälle haben die Techniker aber ein eigenes Lager mit Ersatz-Schlagbäumen angelegt.

Ärztliche Versorgung

Optiker, Hörakustiker, ein Sanitätshaus und eine Apotheke haben ihren Sitz im AEZ. Wenn allerdings ein Kunde mit einem Schwächeanfall oder gar einem Herzinfarkt in der Ladenstraße zusammenbricht, dann sind es einmal mehr die Haustechniker, die mit einem Notfall-Koffer zum Unglücksort eilen. Angesichts des vergleichsweise hohen Durchschnittsalters der Kundschaft kommen solche Unglücke recht häufig vor. "Wir verfügen alle über eine Erste-Hilfe-Ausbildung", sagt Haustechniker Björn Gaack, 29. Er selbst übernahm erst kürzlich die Erstversorgung eines Mannes, der im AEZ einen Herzinfarkt erlitten hatte. Er lagerte ihn stabil, fühlte den Puls und sprach mit dem Mann bis der Notarzt im Zentrum eintraf. "Das ist eine große Herausforderung", sagt Gaack, der als ehemaliger Marinesoldat aber auch mit brenzligen Situationen vertraut ist.

Sicherheit

Kahl rasierter Schädel, eine Körpergröße von 2,10 Metern und ein Gewicht von 145 Kilo: Die wenigsten Störenfriede und Ladendiebe begehen den Fehler, sich mit Dominik Seyler anzulegen. "Meine Statur hat eine gewisse deeskalierende Wirkung", sagt der freundliche Hüne, der sich im Auftrag des Sicherheitsunternehmens Pütz Security AG und zusammen mit fünf weiteren Kollegen um Ruhe und Ordnung im AEZ kümmert. Seyler schlichtet Streitigkeiten in den Geschäften, wenn sich Ladeninhaber und Kunden nicht mehr einigen können. Er hilft den Ladendetektiven, wenn sie einen Dieb auf frischer Tat ertappt haben, und er weist alkoholisierte Jugendliche in ihre Schranken, wenn sie sich nicht an die Hausordnung halten. "Insgesamt ist dies aber ein sehr ruhiges Center", sagt Seyler, der auch schon in der Hamburger Meile arbeitete und als stellvertretender Objektleiter der O2-Arena Tausende randalierende Boxfans voneinander trennte. Hausverbote muss er nur ein- bis zweimal im Monat aussprechen.

Hilfe durch Videokameras haben Seyler und seine Kollegen übrigens nur noch eingeschränkt. Zwar hatte ECE die Ladenstraßen vor einigen Jahren mit einem umfangreichen Überwachungssystem ausgestattet. Doch Hamburgs Datenschützer Johannes Casper äußerte massive Bedenken, weil die Kameras nahezu flächendeckend Rolltreppen, Eingänge und Ladenpassagen beobachteten. Daraufhin ließ das Centermanagement im vergangenen Jahr 24 von 75 Kameras demontieren. Überwacht werden nach wie vor die Schranken und Kassenautomaten in den Parkhäusern sowie die Warenanlieferung. Darüber hinaus haben auch zahlreiche Mieter im AEZ in ihren Geschäften eigene Überwachungssysteme installiert.

Gottesdienst

Für Kritiker sind Einkaufszentren schlicht große Konsumtempel, in denen vor allem dem Mammon gehuldigt wird. Im Dezember 2008 wurde das AEZ allerdings wirklich zu einer provisorischen Kirche. Pastor Anton Jansen predigte am Heiligabend in der festlich geschmückten Ladenstraße des Shoppingcenters, weil die St.-Bernard-Kirche in Poppenbüttel durch einen Brandanschlag schwer beschädigt worden war. Rund 500 Stühle wurden damals für die Gläubigen aufgestellt, vor der Rolltreppe stand ein Altar, und statt Easy-Listening-Musik klangen traditionelle Kirchenlieder durch die weitläufigen Hallen.

Service für Senioren

Die Rentnerin M. Uhland wohnt nur wenige Minuten vom Alstertal-Einkaufszentrum entfernt, doch für die alte Dame in ihrem Rollstuhl ist die kurze Strecke zu einem fast unüberwindlichen Hindernis geworden. Deshalb ist die 88-Jährige dankbar, dass mehrmals in der Woche die Mitarbeiter des Seniorenservice bei ihr vorbeischauen und sie zum Einkaufen und zu Arztbesuchen begleiten. "Ohne diesen Dienst käme ich kaum noch aus dem Haus", sagt die Rentnerin. Finanziert wird der kostenlose Service mit Sitz im AEZ von der Stadt Hamburg und der Agentur für Arbeit. "Wir helfen älteren Bürgern dabei, ihren Alltag besser zu bewältigen und bieten zugleich Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt nur schwer zu vermitteln sind", sagt Projektleiterin Bettina Siegmund. Manchmal gehe es auch einfach nur darum, den Senioren zuzuhören. Gut 30 Ein-Euro-Jobber sind für sie im Einsatz, wobei sich die Hilfsleistungen nicht nur auf das Shoppingcenter beschränken, sondern im ganzen Stadtteil angeboten werden.

Kinderclub

Ein paar Jungs toben durch eine Ritterburg mit eingebauter Kletterwand, andere schießen mit Softbällen auf ein Tor und eine Gruppe Mädchen hat sich zum Ausmalen bunter Bilder in eine Ecke zurückgezogen: "In diesem Ort steckt mein ganzes Herzblut", sagt Erzieherin Gabi Krieger. Seit November 2007 leitet die temperamentvolle Frau mit den blonden, zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren den Kinderclub im AEZ. Oft braucht die 55-Jährige dazu Nerven wie Drahtseile. Denn während die Eltern endlich mal in Ruhe shoppen gehen können, tummeln sich bis zu 40 Kinder in dem Klub, der von ECE betrieben und von der Hamburger Schuhhandelskette Görtz und anderen Mietern gesponsert wird.

Das Angebot ist ausgesprochen beliebt. "Am Sonnabend und in der Vorweihnachtszeit kommt es oft vor, dass wir wegen Überlastung keine zusätzlichen Kinder mehr annehmen können", sagt Krieger, der bis zu 14 Mitarbeiter bei der Betreuung der Mädchen und Jungen zur Seite stehen. Maximal vier Stunden können Eltern ihre Jüngsten im Kinderclub abgeben, müssen in dieser Zeit aber immer erreichbar bleiben. "Es kann schließlich passieren, dass ein Kind mit den anderen nicht klarkommt oder sich nach den Eltern sehnt", sagt die Pädagogin. "Die meisten Kinder fühlen sich aber sehr wohl und kommen immer wieder in den Klub."

Lebensmittelversorgung

Das AEZ mit knurrendem Magen zu verlassen ist schon eine Kunst, denn Besucher kommen bei einem Rundgang an mehr als 40 Restaurants, Coffeeshops, Schokoläden, Bäckereien und Supermärkten vorbei. Sven Töde, 33, ist einer der kleineren Händler, die sich in der sogenannten Markthalle des Einkaufszentrums angesiedelt haben. An seinem Stand "Alster Obst" türmen sich frische Erdbeeren, Äpfel, Pfirsiche und Salatköpfe - Ware, die der Chef selbst jeden Morgen vom Hamburger Großmarkt holt. Das bedeutet für Töde, dass er nachts um 3 Uhr aufstehen muss, seinen Lkw in der Nähe der Speicherstadt mit Obst und Gemüse füllt und einmal quer durch die Stadt ins AEZ fährt. An einer der zentralen Entladerampen parkt er dann und zieht rund 30 Rollcontainer durch die Versorgungsgänge bis ins Kühllager und die Schneideküche, wo einige Obstsorten von seinen Mitarbeitern aufgeschnitten und portioniert werden. "Das Publikum hier in Poppenbüttel ist sehr anspruchsvoll", sagt der Händler.

Bauabteilung

Die Herbstdekorationen mit viel Filz und gedeckten Tönen sind gerade fertig geworden, nun bereitet sich Winfried Lazarek, 63, schon auf die Weihnachtszeit vor. Bei einem der größten Mieter im AEZ, der Galeria Kaufhof, ist der Gestalter für visuelles Marketing für die Verführung der Kunden mit optischen Mitteln zuständig. Vor einigen Jahren hat Lazarek mal 50 spiegelnde Kugeln in jedes Schaufenster gehängt. In diesem Jahr soll es eher nostalgisch werden. Das zumindest schreibt ein etwa 100 Seiten dickes Handbuch vor, in dem die Kaufhofzentrale detailliert darlegt, wie die Dekorationen in diesem Jahr auszusehen haben. Wie genau die Schaufenster gestaltet sein werden, darf er noch nicht verraten, ein paar Tannenbäume hat er aber schon mal vorsorglich geordert.

Entsorgung

Die grüne Tonne für Bioabfälle, die gelbe für Wertstoffe und die blaue für Papier: Manch ein Hamburger mag schon mit der Mülltrennung im privaten Haushalt überfordert sein. Doch dies ist nichts im Vergleich zur Müllstation des AEZ, wo der Abfall in fast 20 unterschiedlichen Kategorien sortiert wird. Elektroschrott, Pappen, Styropor, Kleiderbügel, Holz oder Folien landen alle in separaten Containern, dazu Altfett aus zahlreichen Fritteusen und Speisereste. Allein 15 Tonnen Papier und Pappe werden wöchentlich im Einkaufszentrum zusammengepresst und dann von externen Entsorgungsunternehmen abtransportiert. Den Abfall aus den Geschäften wegbringen müssen in der Regel die Verkäufer. So schieben beispielsweise Mitarbeiterinnen der Drogeriekette Budnikowsky jeden Tag mit einem Dutzend Metallwagen durch die Gänge, um Folien und Kartons zu entsorgen, in denen vorher Shampoos oder Deos steckten.

Kultur

Einmal im Jahr veranstaltet das AEZ einen Jazzsonntag, zu dem sich Hunderte von Besuchern in den Ladenstraßen drängen. Darüber hinaus organisiert das Centermanagement Ausstellungen, etwa über das Leben im Alstertal oder über die Welt der Ozeane, die zusammen mit Marum, dem Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Uni Bremen, entwickelt wurde.

Reinigung

Liegen gelassene Verpackungen aufheben, kurz mit dem Tuch über Metallgeländer und Glasflächen wischen: Darin besteht die Aufgabe von Hülya Bayazit, einer von vier sogenannten Tagesdamen, die täglich im Einkaufszentrum im Einsatz sind. Die Angestellten der Firma Piepenbrock sollen in ihren grauen Kostümen für das letzte i-Tüpfelchen an Sauberkeit sorgen. Die Grundreinigung des Centers läuft hingegen zwischen 5.30 und 9 Uhr morgens unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Bis zu 25 Mitarbeiter fahren dann mit großen Reinigungsautomaten durch die Ladenstraßen und bringen die Glaskuppeln wieder auf Hochglanz.

Eine Reinigung besonderer Art findet sich im Parkhaus des AEZ. Hier bringt eine Truppe von Autowäschern die Fahrzeuge der Kunden per Hand wieder auf Vordermann, während diese beim Einkaufen sind.