Ältere Mediziner finden wegen wirtschaftlicher Probleme keine Nachfolger. Pro Halbjahr schließen 20 Praxen. Trotzdem gilt Hamburg als überversorgt.

Hamburg. "Die flächendeckende hausärztliche Versorgung steht auf dem Spiel", warnt Klaus Schäfer, Vorsitzender des Hamburger Hausärzteverbands. "Der Anreiz, diesen schönen Beruf zu ergreifen, wird wegen der wirtschaftlichen Situation immer geringer." Der Hintergrund: Hamburgs Hausärzte stehen ganz unten auf der Einkommensskala der niedergelassenen Ärzte. Besonders in Stadtteilen mit vielen älteren Patienten und wenig Privatversicherten stehen sie vor großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

Auch das vom Bundestag gestern verabschiedete Versorgungsstrukturgesetz , das die medizinische Versorgung auf dem Land verbessern und junge Mediziner mit mehr Geld in ländliche Regionen locken soll, helfe nicht weiter. Zwar wurde die Residenzpflicht abgeschafft, Ärzte müssen jetzt nicht mehr dort wohnen, wo sie arbeiten, außerdem sollen sie keine Abschläge mehr auf ihre Honorare hinnehmen müssen, wenn sie in dünn besiedelten oder unterversorgten Gebieten arbeiten.

Hamburg gilt mit einer Versorgungsquote von 110 Prozent jedoch als überversorgt. "Zu Unrecht", sagt Volker Lambert, Vizechef des Hamburger Hausärzteverbands. "Von den angeblich 1300 Hausärzten nehmen etwa 300 gar keine hausärztlichen Tätigkeiten wahr", schätzt er. Und: Der Anteil der "echten" Hausärzte schrumpfe rapide. Pro Halbjahr geben 20 von ihnen ihre Praxis auf, derzeit finden in Hamburg mindestens zwölf keinen Nachfolger, drei Praxen mussten dieses Jahr schon schließen. Viele weitere Hausärzte gehen in den nächsten Jahren in Rente.

+++ Hausärzte ohne Aussicht auf Nachfolger +++

+++ Kein Versorgungsproblem: Ärztemangel nur gefühlt +++

Dr. Martin Müller (Name geändert), der seit 1984 eine Hausarztpraxis am Stadtrand betreibt, sucht seit sechs Jahren vergeblich einen Nachfolger. Der Anteil seiner Privatpatienten liegt unter den durchschnittlichen zehn Prozent, fast ein Fünftel seiner Patienten betreut er in Alternheimen. "Die jungen Kollegen schrecken vor dem Investitionsrisiko und der unklaren Ertragssituation zurück", sagt er. Grundleistungen würden Allgemeinmedizinern mit 35 Euro pro Quartal honoriert, das sei weniger als anderswo in Deutschland. Mit Spezialleistungen könne man auf 45 Euro pro Patient kommen - dabei sei egal, wie häufig dieser in die Sprechstunde komme. "Doch gerade ältere Patienten gehen oft zum Arzt", sagt Müller. "Wir erbringen also bei beschränktem Honorar unbegrenzte Leistungen."

Die Regelleistungsvolumina (sie sollen die ärztliche Vergütung für gesetzlich Krankenversicherte begrenzen) seien bereits in diesem Jahr um bis zu 20 Prozent gekürzt worden. "Schon eine zehnprozentige Absenkung bedeutet jedoch für mein Arzteinkommen, das zu 60 Prozent für die Praxiskosten draufgeht, eine Senkung um 25 Prozent", sagt Müller. Das seien Verhältnisse, die keinen Mut machten.

Dr. Thomas Timmann, Allgemeinmediziner und Hausarzt in Barmbek-Nord, wird für das bestraft, was ihn in den Augen seiner Patienten zu einem vorbildlichen Arzt macht: dass er sich Zeit für sie nimmt und alles tut, um ihnen zu helfen. Die Gemeinsame Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hamburg nimmt ihn wegen Überschreitung des Heilmittelbudgets 2009 in Regress. Teure Maßnahmen wie spezielle Krankengymnastik und Lymphdrainagen, die er seinen größtenteils älteren Patienten etwa nach Schlaganfällen und Brustkrebsoperationen verschrieb, waren zwar wichtig und notwendig, aber nicht abgedeckt. Hier habe er rund 10 500 Euro zu viel ausgegeben, moniert die Prüfungsstelle. Die normale Krankengymnastik, die er beispielsweise Hüftoperierten verschrieb, lag rund 8000 Euro über dem Soll; die Hausbesuche durch Physiotherapeuten, die er seinen Patienten - darunter vielen Heimbewohnern - verordnet hat, wurden ihm mit 9500 Euro als "unwirtschaftlich" angelastet.

"Natürlich könnte ich es mir leicht machen und Rezepte nur nach den Richtlinien ausstellen", sagt Timmann. Dann könne er seinen Beruf aber auch an den Nagel hängen. "Ich bin Arzt geworden, um Menschen dabei zu helfen, gesund zu werden. Und das lässt sich mit der bei uns geltenden Heilmittelverordnung oft nicht vereinbaren." Diese schreibt die Anzahl von Maßnahmen vor, die ein Arzt seinen Kassenpatienten verordnen darf. "Ein von außen aufgestülptes Programm, das nichts mit dem Praxisalltag zu tun hat", sagt Timmann. Schlaganfallpatienten oder Brustkrebsoperierten etwa könne man durch eine zeitlich begrenzte Therapie oft nicht nachhaltig helfen.

"Es gibt Regionen, in denen Hausärzte besser verdienen als in Hamburg", gibt Ralf Baade, Referatsleiter Ambulante Versorgung beim Verband der Ersatzkassen Hamburg, zu. Das Einhalten der Heilmittelrichtgröße werde von einer unabhängigen Stelle geprüft, das sei so vorgeschrieben.