Auch die Kirchen leben mit dem Trend. Aber Benedikt XVI. punktet mit Glaubwürdigkeit, auch wenn viele seine Grundsätze nicht teilen

Früher waren Religion und Kirche für Heilsversprechen und Paradiesvorstellungen zuständig. Heute und in Zukunft sorgt eine mächtige Erlebnisindustrie für Glücksversprechungen, und ein Wettlauf der Erlebniswelten hat begonnen. Im 21. Jahrhundert ist jedes Ereignis ein Event, über das die Medien berichten, schon bevor es stattgefunden hat. Übersättigte Erlebniskonsumenten verlangen nach immer Neuem, nach nie Dagewesenem. So werden Ereignisse inszeniert, getrieben von der Suche und Sucht nach Superlativen, bei denen Steigerungen kaum möglich erscheinen. Das Luther-Jahr 1996 zum 450. Todestag des Reformators beispielsweise hatte für 250 000 zusätzliche Übernachtungen gesorgt und den Veranstaltern gleichzeitig Millioneneinnahmen beschert.

Events machen sich bezahlt, wenn Ultimatives geboten wird. Das gilt für den Sport, die Kultur, den Unterhaltungssektor und auch für die Kirchen. Sie leben vom Trend zum Event - von Kirchentag zu Kirchentag, von Papstwahlen und Papstbesuchen ebenso.

Jetzt ist es wieder soweit: Der Papstbesuch in Deutschland wird zum Jahrhundertereignis hochstilisiert, das Massen begeistert und Emotionen freisetzt. Das Erlebbare wird zum Bericht- und Erzählbaren, an das die Teilnehmer noch lange zurückdenken werden, weil sie sich als Teil des Ereignisses fühlen. Gemeinschaftsgefühl wird garantiert. Das kann beides sein - eine Gemeinschaft von Gläubigen und/oder eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten und Erlebnishungrigen.

Ist das "Religion light"? Immer mehr Bundesbürger sind konfessionslos. Jedes Jahr verlassen Zehntausende ihre Kirchen. Ist Deutschland bald entkirchlicht und entchristlicht? Wächst die nächste Generation in einem Leben ohne Gott auf? Regiert dann die Religion des Marktes? Werden Waren wichtiger als Werte? Und können Kirchen dann nur noch als Eventagenturen überleben, die Feste und Feiern arrangieren und die Messe zur Bühne für Popstars und Populisten machen? Nur auf den ersten Blick.

Die Zeiten haben sich gewandelt. Wir leben in einem Zeitalter der Wertebeliebigkeit, in dem Politiker von einem Thema zum anderen springen und aus Stimmungen Stimmen machen. Die Position der Positionslosigkeit verspricht am meisten Erfolg. Heute FDP und morgen MTV. Nichts ist unmöglich. Das Problem unserer Wertekultur ist doch nicht der Verfall des Religiösen, sondern die Inflationierung des Lebens mit Ersatzreligionen aus Werbung und Lifestyle.

Die vermeintliche Religionskrise ist eine Sinnkrise. Wer kann wem noch glauben? Die überwiegende Mehrheit der Deutschen hat den Glauben an die Glaubwürdigkeit der Politiker verloren.

Bei aller berechtigten Kritik an manchen Glaubensinhalten der katholischen Kirche können die Politiker von Benedikt XVI. lernen, wie man Person und Programm zu einer glaubwürdigen Einheit macht: Der Papst punktet mit Authentizität - wie andere charismatische Persönlichkeiten, die Menschen begeistern und in ihren Bann ziehen, ob Dalai Lama oder Mutter Teresa, Helmut Schmidt oder Graf von Stauffenberg. Das sind Persönlichkeiten, die für eine Haltung stehen und diese überzeugend leben oder gelebt haben. Sie verkörpern Maß und Maßstäbe, an denen sich Jugendliche orientieren können.

Die Frage ist doch heute nicht mehr "Welche Kirche bietet mir mehr Religion?", sondern: "Was hat mehr Sinn?". Ob es uns gefällt oder nicht: In Zukunft kann es mehr Sinnsucher als Gottesgläubige geben.