Der THC-Anteil in Cannabis wächst konstant seit den 70er-Jahren. Hamburger Suchtexperte warnt vor Verharmlosung durch Eltern und Politik

Hamburg. Wenn er vor der Legalisierung von Drogen wie Cannabis warnt, stößt der Hamburger Suchtexperte Professor Rainer Thomasius gelegentlich auf Unverständnis. "Unser Problem ist", sagt Thomasius, "dass wir uns mit manchen Politikern herumschlagen, die in den 70er-Jahren selbst gekifft haben und nicht verstehen, wie gefährlich heute der Konsum für junge Menschen sein kann." Und nicht nur Politiker, auch manche Eltern dürften sich bei dem Drogenthema an eigene, oft amüsant verklärte Erlebnisse im Umgang mit Haschisch oder Marihuana erinnern und die Gefahren ausblenden.

Doch der Ärztliche Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am UKE in Hamburg sieht eine besorgniserregende Tendenz im Drogengebrauch, die dadurch schnell übersehen wird. Zum einen sei der Anteil des berauschenden THC in Cannabisprodukten seit den 70er-Jahren von etwa zwei auf acht Prozent gestiegen. Die Droge ist also gefährlicher geworden. Aber auch das Drogeneinstiegsalter - sowohl bei Cannabis als auch beim Alkohol - sei deutlich gesunken. "Während Cannabis beispielsweise früher eher erst im Studentenalter konsumiert wurde, liegt das Durchschnittsalter heute bei 15 Jahren", sagt Thomasius. Besonders gefährlich sei der Drogenkonsum bei der Gruppe der Zwölf- bis 13-Jährigen.

Rund sieben Prozent der zwölf bis 17 Jahre alten Jugendlichen und fast 40 Prozent der 18- bis 25-Jährigen hätten Umfragen zufolge schon mindestens einmal Cannabis konsumiert. Oft zunächst in der Gruppe, später dann auch allein vor dem Fernseher oder Computer. Thomasius: "Es ist aber etwas völlig anderes, ob ein Joint sich auf ein Studentenhirn auswirkt - oder auf eines, das sich noch entwickelt." Jüngste Studien hätten eindeutig gezeigt, dass es dann bei regelmäßigem Konsum zu morphologischen Veränderungen des Gehirns kommen kann. Vom "Untergang von grauer und weißer Hirnsubstanz", spricht der Suchtexperte dann. Folge: ein Verlust von sieben Punkten beim Intelligenzquotienten. "Fatal ist das für den Durchschnittsschüler", sagt Thomasius: Konzentrationsschwäche, Lern- und Gedächtnisstörungen seien dann zu beobachten.

Aber auch beim Umgang mit der legalen Droge Alkohol sieht Thomasius ein gefährliches Absinken des Einstiegsalters mit Folgen für das jugendliche Gehirn. 50 Prozent der Zwölfjährigen hätten in Deutschland bereits Erfahrung mit Alkohol.

In der UKE-Suchtklinik für Jugendliche und Jungerwachsene (bis 26 Jahre) werden die jungen Patienten ambulant oder auch stationär behandelt. Eine stationäre Aufnahme geschieht dabei über zwölf Wochen - wobei die ersten zwei Wochen der reinen Entgiftung dienen. Bei der weiteren Behandlung stehe eine Therapie der Ursachen der Sucht zunächst im Vordergrund. Thomasius. "Hinter regelmäßigem Konsum stehen meist soziale oder persönliche Problemlagen." Bei einer weiteren Nachbehandlung gehe es dann auch darum, den Leistungsverlust in der Schule wieder aufzuholen. In der eigenen Klinikschule würden die Jugendlichen beispielsweise wieder an das Lernen und den regelmäßigen Schulbesuch "herangeführt".

Bis zu 1500 Jugendliche kommen im Jahr in die Hamburger Klinik - wobei sich ein zunehmender Trend nicht eindeutig ausmachen lässt, da die Zahl der Betten und Mitarbeiter begrenzt ist. Allenfalls aus einer leichten Verlängerung der Wartezeiten ließe sich ein Trend zu einem vermehrten Drogenmissbrauch ableiten.

Thomasius unterteilt seine jungen Patienten dabei in drei Gruppen, die etwa gleich groß sind: Zum einen sind es reine Cannabis-Konsumenten, eine Gruppe, in der zu 80 Prozent Jungen vertreten sind. Bei den "Mischkonsumenten" (Cannabis, Alkohol, Pillen) sind beide Geschlechter eher gleich stark beteiligt, da bei jungen Mädchen das Trinken von Alkohol stark zugenommen habe. Eine dritte Gruppe, die am UKE behandelt werden muss, ist die wachsende Zahl der Internet- oder Computerspielabhängigen. Besonders Jungen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren würden zum Beispiel in die Welt der Rollenspiele abtauchen, sodass diese Beschäftigung Suchtformen annehmen könne.

Viele der Jugendlichen mit Suchtproblemen kommen nach der Beobachtung der UKE-Experten aus sozial schwachen Familien. "Die Kollegen sind aber auch erstaunt über einen vergleichsweise hohen Anteil von Privatpatienten", sagt der Suchtexperte. Hier sieht Thomasius vor allem eine Ursache im Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen - das könne eben auch in gut situierten Familien gestört sein. Thomasius: "Jungen zwischen 15 und 17 Jahren brauchen den Vater als Identifikation und Begleitung." Doch einige Väter seien weder zeitlich noch emotional dazu in der Lage. "Da herrscht dann die Vorstellung, die Erziehung könne man der Mutter oder anderen überlassen." Hinzu komme das Wissen dieser Jugendlichen, dass sie bei Problemen "weich fallen werden". Thomasius: "Das ist dann eine fatale Mischung."

Doch was ist zu tun? Für Eltern hat Thomasius eine deutliche Botschaft: "Cannabis für Jugendliche oder gar Kinder muss absolut tabu sein." Wenig hilfreich sei es, wenn zum Beispiel der Vater Verständnis zeige und die Mutter den Drogenkonsum streng verurteile. "Die Jugendlichen pendeln dann zwischen den Erziehungsstilen."

Die staatliche Suchtprävention ist aus Sicht von Thomasius in Hamburg zwar inzwischen eine der besten in Deutschland. "Doch was wir hinbekommen müssen, ist, dass sich das Einstiegsalter wieder ändert." Bei Cannabis-Konsumenten über 18 Jahren sieht Thomasius indes nicht immer gleich eine Gefahr. "Ein Joint am Wochenende ist noch kein Missbrauch", sagt er. Ein solches Verhalten sei vergleichbar mit der in der Erwachsenenwelt völlig akzeptierten Art des Drogenkonsums: dem abendlichen Glas Bier oder Wein.