Der deutsche Branchenprimus Allianz greift nach der Hamburger Versicherung. Ver.di befürchtet einen massiven Stellenabbau.

Hamburg. Es wäre ein erneuter Einschnitt für den Versicherungsstandort Hamburg mit unabsehbaren Folgen für 270 Beschäftigte: Die Hamburger Feuerkasse, mit dem Gründungsjahr 1676 der älteste Versicherer der Welt, könnte als Teil der Gruppe Provinzial Nordwest an den deutschen Branchenprimus Allianz verkauft werden.

"Das hätte massive Konsequenzen für den Standort Hamburg", sagt Ralf Neidhardt, Vorsitzender des Betriebsrats der Feuerkasse, "denn die Allianz ist vor Ort selbst stark vertreten". Der Münchner Konzern hat einschließlich der Kreditversicherungstochter Euler Hermes mehr als 3300 Beschäftigte in der Hansestadt. "Doppelarbeit leistet sich in dieser Branche kein Unternehmen mehr, schon gar nicht ein börsennotiertes", ergänzt Jürgen Klempau, bei der Gewerkschaft Ver.di zuständig für die Feuerkasse.

Finanzkreisen zufolge bietet die Allianz zwischen 2,0 und 2,5 Milliarden Euro für die Provinzial Nordwest. Der zweitgrößte Versicherer der Sparkassen-Finanzgruppe hat gut drei Millionen Kunden in Westfalen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg.

Offiziell äußert sich der Münchner Allianz-Konzern nicht zu dem Angebot. Die Eigentümer der Provinzial Nordwest bestätigten, dass es "Interesse aus dem Versicherungslager" an einer Übernahme gibt. Man wolle "sehr zeitnah entscheiden, ob ein Verkauf überhaupt und wenn ja, zu welchen Bedingungen infrage kommt", teilte Reinhard Boll, Präsident des Sparkassen- und Giroverbands Schleswig-Holstein, im Namen aller Anteilseigner dazu mit.

Neben diesem Verband, der mit 18 Prozent an der Provinzial beteiligt ist, gehören dazu der Sparkassenverband Westfalen-Lippe und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) mit je 40 Prozent sowie der Ostdeutsche Sparkassenverband (zwei Prozent). Bereits Ende nächster Woche könnten die Gremien der beiden Hauptgesellschafter die Weichen stellen.

Die Gewerkschaft Ver.di hatte von den Eigentümern eine Klarstellung gefordert, dass man den Sparkassenversicherer nicht an die Allianz verkaufen werde. Dieses Bekenntnis zum Festhalten an der Provinzial Nordwest wurde verweigert.

Man wisse aber, dass es in dieser Frage "unterschiedliche Auffassungen" im Eignerkreis gibt, sagt Uwe Grund, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) in Hamburg und Aufsichtsratsmitglied der Provinzial Nordwest. So hatte sich der LWL, dem neun Städte und 18 Kreise angehören, gegen einen Verkauf ausgesprochen. "Wir gehen aber davon aus, dass die Sparkassen ein Interesse daran haben müssten, ihre klammen Kassen zu füllen", erklärt Grund.

Gerade in Schleswig-Holstein könnte man die Chance sehen, ein Gegengewicht zu den finanziellen Risiken, die aus der Beteiligung an der HSH Nordbank resultieren, zu erhalten. Auf der anderen Seite hat sich Ralf Stegner, Landesvorsitzender der SPD Schleswig-Holstein, auf die Seite der Gegner eines Verkaufs gestellt. "Alle Sicherheit für uns im Norden - dieser Werbespruch der Provinzial muss auch für die Mitarbeiter gelten", so Stegner. "Das soziale und gesellschaftspolitische Engagement darf nicht preisgegeben werden, um die Defizite der Allianz zu kompensieren."

Nach Angaben von Uwe Grund will man auch in Hamburg die Politik mobilisieren: "Es gibt bereits Kontakte zum Senat." Die Feuerkasse sei "eine der Perlen Hamburgs - und wir hoffen, dass Hamburg sich um seine Perlen kümmert". Der Senat könne kein Interesse daran haben, dass die Belegschaft des Versicherers "radikal zusammengestrichen" wird.

Abgesehen von der Gefährdung der insgesamt 2700 Beschäftigten allein im Innendienst der Provinzial Nordwest sei eine Übernahme durch die Allianz aber auch politisch brisant, sagt Grund. Nach Auffassung von Ver.di würde dadurch der gesamte Sparkassen-Finanzverbund infrage gestellt. Denn die Allianz sei daran interessiert, sich den flächendeckenden Vertriebsweg über die Sparkassen zu sichern. "Dann wäre es mit dem Kauf der Provinzial Nordwest nicht getan", so Grund.

Ver.di hatte gestern Betriebsversammlungen in Münster, Kiel und Hamburg abgehalten, um gegen die Verkaufspläne zu protestieren. Auf dem Weg zu der Versammlung wurde der Vorstandsvorsitzende der Provinzial Nordwest, Ulrich Rüther, in der Tiefgarage des Unternehmens in Münster von einem Unbekannten mit einem Schraubenzieher angegriffen. Der Täter habe Rüther zweimal einen Schraubendreher in die Brust gerammt, sagte ein Firmensprecher.

Der Manager musste in einem Krankenhaus behandelt werden, befinde sich aber auf dem Weg der Besserung, teilte der Versicherer am Nachmittag mit. Rüther werde seiner Arbeit in den nächsten Tagen wieder nachgehen können. Ob der Angriff im Zusammenhang mit den Verkaufsplänen steht, war zunächst unklar. In der Hauptverwaltung der Provinzial Nordwest hatten sich 1700 Menschen zu der Betriebsversammlung eingefunden.