Wie Vera Dautner engagieren immer mehr Hilfsbedürftige Betreuerinnen aus Osteuropa, weil sie günstiger sind und deutsches Personal fehlt.

Hamburg. Bis vor zwei Jahren führte Vera Dautner, 86, in der Nähe von Wedel eine Hundepension. Dann bekam sie einen Schlaganfall, musste zum ersten Mal in ihrem Leben zum Arzt und sollte anschließend in einem Pflegeheim untergebracht werden. Manchmal vergisst sie Dinge. Und auf der linken Seite ist sie bewegungseingeschränkt. Doch, ins Heim? "Nie im Leben", sagt Frau Dautner und ihre grünen Augen blitzen entrüstet auf. "Im Krankenhaus war es schlimm genug. Ich wollte so schnell wie möglich wieder nach Hause."

In dem Häuschen gleich hinter der Gartentür, in dem früher die Verwaltung der Hundepension untergebracht war, lebt heute Liliana. Die 54-jährige Polin kommt aus der Nähe von Stettin und ist eigentlich gelernte Buchhalterin. "Nachdem ich ein Jahr arbeitslos war, habe ich beschlossen, in Deutschland als Pflegerin zu arbeiten", sagt sie in gebrochenem Deutsch. Eine Ausbildung brauchen Pflegemigrantinnen nicht. "Sie sollten etwas Deutsch sprechen, erste Pflegeerfahrungen besitzen und Lust haben, mit Menschen zu arbeiten", sagt Mateusz Wysocki von der Agentur Pflegehelden. Von seinem Bruder Martin 2005 gegründet, hat das Franchiseunternehmen deutschlandweit mittlerweile 14 Filialen. In Kooperation mit einer Firma in Krakau, bei der die Frauen fest angestellt und damit sozial-, kranken- und unfallversichert sind, hat Pflegehelden bislang mehr als 5000 Frauen vermittelt.

Neben Liliana waren es auch ihre beiden Freundinnen Regina und Czeslawa. Die drei lösen sich bei der Betreuung von Vera Dautner ab. Jeweils zwei Monate ist eine von ihnen bei ihr, dann ist die Nächste dran. Für Vera Dautner ist das in Ordnung. "Ich komme mittlerweile gut klar mit Lilli und den anderen beiden Damen", sagt sie. Daran, dass immer jemand bei ihr ist, musste sie sich erst gewöhnen. Ihr Mann Erich, ein Zoologe, starb vor 30 Jahren. Danach hat sie lange nur mit Shetlandponys und Hunden zusammengelebt. In den vergangenen zwölf Jahren waren ihr die Pudeldamen Fränzi und Maxi treue Begleiter. Jetzt zählt Vera Dautner auch die drei Osteuropäerinnen zu ihrem engsten Kreis.

Die Pflegesituation in Deutschland verschärft sich weiter. Laut einer Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag der R+V-Versicherung haben schon zehn Millionen Deutsche einen Pflegefall in der Familie. Bis 2022 kann sich diese Zahl nahezu verdreifachen. Gleichzeitig wird der Mangel an Pflegekräften immer größer. Nach Angaben des Bundesverbands Haushaltshilfe und SeniorenBetreuung (BHSB) werden 2030 eine halbe Million Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen.

Der Verband fordert daher, sowohl die Pflege durch Angehörige zu stärken als auch mehr ambulante Pflegeangebote zu machen. Beide Aspekte ließen sich durch den Einsatz von osteuropäischen Kräften in der sogenannten 24-Stunden-Betreuung stärken, sagt Werner Tigges vom BHSB, der in Polen die Agentur Care Work zur Vermittlung polnischer und bulgarischer Hauswirtschafts- und Betreuungshilfen gegründet hat.

Auch in Hamburg werden zunehmend Pflegekräfte aus Ländern wie Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik oder dem Baltikum engagiert. Seit dort die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt, boomt das Geschäft mit der Pflegemigration. Wie viele der auf mehr als 100.000 geschätzten ausländischen Pflegekräfte in Deutschland aus Osteuropa kommen, ist jedoch nicht bekannt.

Die meist weiblichen Betreuer arbeiten für weniger Lohn, verdienen mit etwa 1000 bis 1700 Euro netto aber deutlich mehr als in ihrer Heimat. Bei freier Kost und Logis helfen sie den Pflegebedürftigen beim Waschen, Anziehen und dem Gang zur Toilette, kaufen ein, kochen und putzen, begleiten sie beim Spaziergang oder gehen mit ihnen zum Arzt. Etliche werden gleich als Vollzeitbetreuung beschäftigt und ersparen ihren Auftraggebern damit den Weg ins Heim.

Grund für die große Nachfrage nach osteuropäischen Pflegekräften ist allerdings nicht nur der niedrige Lohn - sondern auch der Mangel an einheimischem Pflegepersonal. "Das Betreuungsloch wäre allein mit deutschen Kräften nicht zu füllen", sagt Dominica Tigges von der Agentur Care Work. "Viele alte Menschen in Deutschland haben von früher Beziehungen zum heutigen Polen", sagt Dominica Tigges. "Das schafft Berührungspunkte bei den Betreuerinnen und ihren Klienten."

Eine der von ihr vermittelten Pflegekräfte ist Maria, 58, aus der Nähe von Warschau. Um sich zu qualifizieren, hat sie bereits vor Jahren Pflegekurse absolviert. "Ich liebe meine Arbeit", sagt sie. Sieben Jahre lang hat sie in Amerika gearbeitet, dann in der Nähe von Dortmund, jetzt betreut sie eine 98-jährige Seniorin in Tangstedt. "Die Arbeit ist nicht anstrengend", sagt Maria. Trotzdem verdient sie damit doppelt so viel wie in Polen - doch das ist nicht der einzige Grund, warum sie in Deutschland arbeitet. "Ich möchte die Sprache besser erlernen", sagt Maria. Deshalb ist es auch für sie eine Bereicherung, wenn sie mit ihrer Patientin Gedichte liest, über klassische Musik spricht oder darüber, was sie am nächsten Tag kochen soll.