Weniger Schulabgänger und mehr Pflegebedürftige: Der demografische Wandel schlägt sich in der Branche gleich doppelt nieder.

Norderstedt. Der demografisch bedingte Fachkräftemangel sorgt unter den Verantwortlichen der Pflegedienste für nachdenkliche Mienen. Und dies trotz der Ankündigung der Kieler Koalition, einem Pflegenotstand entgegenwirken zu wollen. Das Bündnis aus SPD, Grünen und SSW stellte bereits im September ein Programm vor, das vor allem die Ausbildung stärken soll. Jetzt wurde zudem die Gründung einer Pflegekammer bekannt gegeben. Ob dies aber die Lösung des Problems ist, bezweifeln private wie öffentliche Pflegedienste im Landkreis.

Nach Angaben der Sozialdemokraten in Kiel werden bis 2020 etwa 11 000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, 2100 davon alleine für den Bereich der Altenpflege. Die Befürchtungen gehen dahin, dass die Ausbildung nicht mit der steigenden Zahl der Pflegebedürftigen mithalten könnte. 80 000 Menschen sind im Norden momentan auf Pflege angewiesen. Im Jahr 2020 könnten es laut der SPD 100 000 sein.

Einige Ausbildungsschulen bekommen schon jetzt ihre Kurse nicht mehr voll

"Es wird zunehmend schwer, qualifizierte Bewerber zu finden. Wir sind inzwischen froh, wenn wir auf eine Stellenausschreibung für examiniertes Personal überhaupt eine Bewerbung erhalten", sagt Tim Kalweit, Geschäftsführer der "Bliev to Huus" Häusliche Kranken- und Altenpflege in Kaltenkirchen. Die Kapazitäten seien zwar noch nicht erschöpft, doch die abnehmende Zahl der Schulabsolventen und daher sinkende Zahl der potenziellen Auszubildenden in der Kranken- und Altenpflege gebe Anlass zur Sorge.

Andreas Hamann, Geschäftsführer des Instituts für Berufliche Aus- und Fortbildung in Norderstedt (IbAF), sieht das ähnlich. Das Institut bildet Menschen für die Pflege aus, doch es werde zunehmend schwerer, Bewerber zu finden. "Das demografische Problem ist seit Jahrzehnten bekannt, doch keine Regierung hat rechtzeitig reagiert. Einige Ausbildungsschulen bekommen schon jetzt ihre Kurse nicht mehr voll", sagt Hamann. Auch in Norderstedt werde daher inzwischen mit gezieltem Marketing um Interessenten geworben. 24 Teilnehmer hätte man gerne in den Kursen - diese Zahl wurde zuletzt kaum noch erreicht, trotz des steigenden Bedarfs der Branche.

Die Pflegebranche hat ein Imageproblem - auch intern

Zu dem Problem der sinkenden Schulabgängerzahlen bei einer zeitgleich steigenden Zahl der Pflegebedürftigen kommt, dass der Pflegeberuf in der breiten Öffentlichkeit nach wie vor ein Imageproblem hat. "Das ist natürlich schlecht, wenn man den Nachwuchs für diesen Beruf begeistern will", sagt Uwe Braun von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Kreis Segeberg. Die Verbände und Institutionen versuchen diesem Problem zu begegnen, indem etwa Kooperationen mit Schulen vereinbart werden. "Wir geben Grund- und Realschülern die Möglichkeit, im Rahmen eines Praktikums einen Einblick in das Tätigkeitsfeld zu gewinnen - in der Hoffnung, dass sich natürlich auch die öffentliche Meinung zu dem Berufsfeld ändert", sagt Braun. Doch diese Maßnahmen bräuchten Zeit, um das Ansehen des Berufes aufzuwerten. "Diese Zeit haben wir aber in einigen Regionen nicht mehr. Es gibt Regionen - wie auch im direkten Hamburger Umland -, wo es schon heute nicht mehr leicht fällt, freiwerdende und neu geschaffene Stellen zu besetzen", sagt der Leiter des Awo-Pflegedienstes.

Viele Pflegekräfte fühlen sich als Marionetten im Gesundheitssystem

"Vor allem intern haben wir ein Imageproblem, die Mitarbeiter schätzen ihre Arbeit oft selbst als Arbeit zweiter Klasse ein. Unsere Erfahrung ist, dass dagegen den Bürgern die Bedeutung des Berufes endlich deutlich geworden ist", sagt der IbAF-Geschäftsführer Hamann.

Und trotzdem fehlen Fachkräfte. "Der Beruf ist toll und sehr verantwortungsvoll, doch er ist, das muss man auch zugeben, nicht gerade familienfreundlich. Das ist einer der Gründe, weshalb es für uns immer schwerer wird, Pflegekräfte zu finden", sagt Timm Kalweit. Solange etwa die Kinderbetreuung nicht optimal geregelt werden könne, könnten sich auch viele junge Mütter und Väter nicht ihrem Pflegeberuf widmen, da dieser im Grunde ein 24-Stunden-Beruf ist.

Nils Martiensen, Koordinator des Senioren- und Pflegemanagements bei der Diakonie, stimmt dieser Einschätzung zu. "Nicht wenige haben starke Bedenken und entscheiden sich gegen den Pflegeberuf und für ihre Familie", sagt Martiensen. Die Folge sei für die Diakonie bereits spürbar: "Wir können teilweise keine Anfragen für Dienste mehr annehmen, weil uns das Personal für die mobile Pflege fehlt. Es entstehen Wartelisten wegen des Fachkräftemangels, die für uns und auch für die Bürger ärgerlich sind", sagt Martiensen.

Eine Entlastung der Pflegedienste sei vorerst nur zu erreichen, indem die Pflegeanbieter die hohen Anforderungen der Pflegebedürftigen einerseits und die zur Verfügung stehenden Mittel andererseits so aufeinander abstimmen, dass möglichst wenig Reibungspotenzial entsteht. "Wir müssen also Arbeitsmodelle finden, die sowohl den Bedürfnissen der Angestellten, wie auch jenen der Kunden gerecht werden", sagt Uwe Braun. Eine hohe Flexibilität im Pflegeberuf zu schaffen und aufrechtzuerhalten, ohne das Personal zu verheizen, das sei die große Herausforderung für die Branche.

"Dem Beruf muss deutlich mehr Respekt entgegengebracht werden, auch von ärztlicher Seite", sagt Martiensen. Viele der Pflegekräfte würden als Marionetten im Gesundheitssystem gesehen, der Wert der Pflege innerhalb des Gesundheitssystems viel zu gering eingestuft.

Ehrenamtliches Engagement in der Pflege ist gut, aber nicht die Lösung

Timm Kalweit: "Viele meinen, dass die Pflege einfach nur das Saubermachen älterer Menschen ist. Doch damit wird man dem Beruf und den Pflegedienstleistern nicht gerecht. Es ist eine vielseitige und umfangreiche Betreuung, die geboten wird und auch entsprechend honoriert werden sollte", sagt der "Bliev to Huus"-Geschäftsführer. Er würde es begrüßen, wenn die Politik eine gewisse Entlastung bei den Kriterien für Pflegeberufe schaffen würde. "Viele Aufgaben müssen von examiniertem Personal erledigt werden, das will der Gesetzgeber so. So darf etwa nur examiniertes Personal den Kunden Thrombosestrümpfe anziehen. Das sehe ich als wenig sinnvoll an, denn solche Aufgaben könnten theoretisch auch von anderen, etwa ehrenamtlichen Personen übernommen werden. Der Gesetzgeber sollte sich daher überlegen, ob die einst geschaffenen Regeln heute noch sinnvoll sind", sagt Kalweit.

Das sieht IbAF-Geschäftsführer Hamann wiederum ganz anders. "Gerade Thrombosestrümpfe sollten nur von examiniertem Personal angezogen werden, denn ohne Fachwissen können da langfristig negative Folgen eintreten. Gerade bei Medikamenten und medizinischen Strümpfen gibt es aus gutem Grund Grenzen. In anderen Bereichen könnte aber durchaus über Entlastungen mit Hilfskräften nachgedacht werden", sagt Hamann.

Auch Martiensen sieht ein Mehr an Ehrenämtlern in dem Berufsfeld kritisch. "Die Politik setzt zunehmend auf das ehrenamtliche Engagement der Bürger. Ob das aber im Pflegebereich sinnvoll ist, ist schwer zu sagen. Denn neben der Frage der Qualifikation von Ehrenamtlichen gibt es auch rechtliche Probleme, wie etwa die Haftung in Problemfällen", sagt der Diakonie-Koordinator. Somit bleibe der Branche derzeit als einziger Weg, die vorhandenen Ressourcen so effektiv wie möglich einzusetzen, bis die Politik eine tragfähige Lösung gefunden hat, dem Fachkräftemangel zu begegnen.