Polizei erlaubt Fahren auch entgegen der Richtung. Das gilt vor allem vor Schulen und Kindergärten. ADFC will aber noch mehr.

Hamburg. 195 Hamburger Einbahnstraßen werden zukünftig für Fahrradfahrer auch entgegen der vorgeschriebenen Richtung befahrbar sein. Das veranlasste die Polizei nach einer langen Begutachtungsphase, in der der Verkehr und die baulichen Gegebenheiten auf mehr als 400 Einbahnstraßen überprüft wurden. Vor allem vor Schulen, Kindergärten und öffentlichen Einrichtungen soll der Radverkehr mit dieser Maßnahme attraktiver gemacht werden. Die Bezirke sind nun gefordert, nach und nach entsprechende Schilder an den betreffenden Straßen zu installieren. Die Polizei bittet Autofahrer zudem, in Einbahnstraßen besonders aufmerksam zu fahren.

Bereits im Jahr 2008 hatte der damalige Senat beschlossen, bestimmte Einbahnstraßen beidseitig für Radfahrer zu öffnen. Erklärtes Ziel: Unnütze Umwege zu vermeiden und mehr Bürger zum Umsteigen auf das Velo zu bewegen. In Kooperation mit der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation und dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) sichteten Polizeibeamte sämtliche Straßen, auf denen eine Umwidmung infrage kam. Polizeisprecherin Sandra Levgrün: "Die Straßen liegen in allen Hamburger Bezirken. Mitarbeiter der Bezirksämter werden nach und nach weiße Schilder unter den blauen Einbahnstraßen-Symbolen montieren, auf denen ein Fahrrad und Pfeile in beide Richtungen abgebildet sind." Hier dürfen Fahrradfahrer dann offiziell in beide Richtungen fahren.

Die Polizei begrüßt die Initiative auch deshalb, weil viele Radfahrer nach Beobachtungen der Beamten in der Vergangenheit trotz Verbotes entgegen der erlaubten Richtung gefahren waren. Ein Verkehrsvergehen, dass mit 15 Euro Bußgeld geahndet wird und Gefahren birgt - vor allem dann, wenn Autofahrer nicht mit entgegenkommenden Radlern rechnen.

In der jetzt fertiggestellten Liste sind 195 Einbahnstraßen verzeichnet, die ganz oder teilweise umgewidmet werden. Darunter sind Abschnitte so bekannter und viel befahrener Straßen wie der Waitzstraße in Groß Flottbek oder im Innocentiapark. Auch am Niendorfer Marktplatz, am Pöseldorfer Weg, in der Talstraße (St. Pauli) und am Vogelhüttendeich in Wilhelmsburg wird es neue Freiheiten für Radfahrer geben. Vielfach handelt es sich bei den zukünftig beidseitig befahrbaren Straßen um Wohnstraßen, teilweise auch um Ringe. Der ADFC, der an der Umsetzung des Behördenplans aktiv beteiligt wurde, sieht die Neuerung naturgemäß mit Begeisterung. Sprecher Dirk Lau: "Das ist eine tolle Sache, macht das Radfahren in Hamburg auf jeden Fall attraktiver."

Allerdings, so Dirk Lau, könne die beidseitige Öffnung von 195 Einbahnstraßen nur der Anfang sein: "Nach unserer Auffassung gibt es keine rechtlichen Gründe, Einbahnstraßen nicht generell beidseitig für Radfahrer freizugeben." Bei der jetzt beschlossenen Straßenliste sei noch Ergänzungsbedarf, so Lau. Es gäbe sehr starke Schwerpunkte, andere Regionen seien hingegen mit deutlich zu wenigen Richtungsfreigaben bedacht worden. Lau: Die Ergebnisse, welche Straßen freigegeben werden, variieren stark nach Polizeikommissariat. So dünne sich die "Freigabedichte" nach Westen hin merklich aus, in vielen Teilen Altonas bewegt sich hier weniger als etwa in Barmbek.

"Diese Ungleichbehandlung entbehrt aus unserer Sicht einer rechtlichen Begründung." Laut Lau wächst die Gesamtzahl der geöffneten Einbahnstraßen mit der aktuellen Liste auf rund 400. Der ADFC-Sprecher: "Immer noch aber gibt es in Hamburg 387 echte Einbahnstraßen mit einem Durchfahrverbot für Fahrzeuge aller Art, die nur für Anlieger frei, also auch für Radler dicht sind. Die Verkehrsdirektion kommt nur auf 209 nicht freigegebene Einbahnstraßen, zählt dabei aber eben auch nur die Einbahnstraßen und nicht andere Durchfahrtverbote."

Im November 2010 hatte das Bundesverwaltungsgericht dem ADFC in seiner Auffassung recht gegeben, dass Verkehrsbeschränkungen nur unter sehr eng gefassten Voraussetzungen zulässig seien. Demnach müssten die Behörden laut Lau für jede einzelne nicht freigegebene Einbahnstraße nachweisen, dass hier eine erhöhte Gefährdungslage besteht, die nur durch eine Einbahnstraßenregelung für Radfahrer behoben werden kann. Lau: "Ein solcher Nachweis dürfte nur in den seltensten Fällen gelingen." Seit 2008 setzt die Stadt in vielen kleinen Einzelschritten unter Führung der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation Teile der seinerzeit von einem Gremium aus Vertretern von Verwaltung, Politik und Verbänden erarbeiteten Radverkehrsstrategie um. Dennoch bemängeln seit Langem viele Radler die Zustände in Hamburg: So seien viele Radwege nach wie vor in schlechtem Zustand, bereits in den 90er-Jahren beschlossene Velo-Routen seien noch immer nicht fertiggestellt. Langfristig soll der Anteil des Radverkehrs in Hamburg auf 18 Prozent gesteigert werden. Im Jahr 2002 betrug er neun, im Jahr 2008 bereits zwölf Prozent.

Die vollständige Liste der Einbahnstraßen finden Sie hier